Wie unsere Kinder politisch fit werden
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Wie unsere Kinder politisch fit werden

Lesedauer: 3 Minuten

Sie sind die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von morgen: Damit unsere Kinder ihre politische Verantwortung dereinst wahrnehmen können, müssen sie darin geschult werden – schon im Kindergarten.

Text: Daniel Gebauer
Bild: Pexels

In keinem anderen Land haben die Bürgerinnen und Bürger so häufig die Möglichkeit, abzustimmen, wie in der Schweiz. Obwohl wir uns deshalb gerne als Weltmeister der direkten Demokratie bezeichnen, schneiden Schülerinnen und Schüler im Bereich des politischen Wissens im internationalen Vergleich schlechter ab als diejenigen in manch anderen Ländern.

Was bräuchte es also, damit die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von morgen über die notwendigen Kompetenzen ver­fügen? Diese Frage sollte uns alle beschäftigen, denn letztendlich ist die Demokratie der Schlüssel für ein friedvolles und freiheitliches Zusammenleben.

Mit einem Schul- und Klassenrat bekommen Kinder ein einfaches politisches Werkzeug an die Hand.

Der Grundstein für die politische Bildung wird in den Kindergärten gelegt. Damit ist nicht die Staats­kunde als Schulfach gemeint. Vielmehr sind es einfachste Regeln in einer Gemeinschaft, welche ab dem Kindergartenalter erlernt werden: ein konstruktives Zusammenarbeiten, gegenseitige Rücksichtnahme, aktives Zuhören, den anderen ausreden lassen und so weiter.

Dies sind natürlich Verhaltensweisen, die auch später im Berufsleben, in der Politik und in unserer Gesellschaft allgemein gefragt sind und wertgeschätzt werden. Gelernt werden diese im freien Spiel und in geführten Sequenzen durch die Lehrpersonen.

Das Recht auf Teilhabe

Im Schulverlauf kommen weitere Kompetenzen hinzu, welche das politische Verständnis fördern, wie Argumentieren, Verhandeln und Urteilen. Um solche Fertigkeiten zu erlernen, eignen sich alltägliche Situationen mit einem hohen Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler.

An einer Gesamtschule in unserer Gemeinde hat das Kollegium einen Schul- und Klassenrat eingeführt. Mit diesem Gefäss kann man die Schulkinder, die so einfachste politische Werkzeuge an die Hand bekommen, in Entscheidungen miteinbeziehen. Nicht selten werden dabei schulhauseigene Regeln definiert. Aufgrund der demokratisch ausgerichteten Entschlusskette in diesen Gremien werden die neuen Regeln häufig widerstandslos umgesetzt. Das Recht auf Partizipation hat im genannten Schulhaus zu einem besseren Schulklima geführt.

Die Schule soll parteipolitisch und religiös neutral sein. Dies bedeutet aber nicht, dass sie wertneutral sein muss.

Auf der Sekundarstufe macht ein Klassen- und Schulrat weiterhin Sinn. Das politische Debattieren gewinnt in diesem Alter an Bedeutung. Auch hier bietet der Alltag einen unerschöpflichen Fundus an kontroversen Themen. Eine anspruchsvolle und heikle Auf­gabe für die Lehrpersonen, denn die Schule soll parteipolitisch und religiös neutral sein. Dies bedeutet aber nicht, dass sie wertneutral sein muss. Lehrpersonen sollen Werte vermitteln und dürfen dabei auch ihre eigene Meinung einbringen. Unter Einhaltung des Beutelsbacher Konsenses kann dies gelingen.

Das ist der Beutelsbacher Konsens

Als Ergebnis einer Tagung von Fachleuten aus Politik und Bildung aus dem Jahre 1976 legt der Beutelsbacher Konsens drei Prinzipien für den Politikunterricht fest.

  1. Überwältigungsverbot: Lehrpersonen dürfen den Schülerinnen und Schülern ihre Meinung nicht aufzwingen, sondern sollen sie in die Lage versetzen, sich mithilfe des Unterrichts eine eigene Meinung bilden zu können.
  2. Kontroversität: Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
  3. Schülerinnen- und Schüler­orientierung: Die Lernenden sollen befähigt werden, eine ­politische Situation und ihre eigene Interessenlage zu analysieren sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen.

Ein fundiertes theoretisches Wissen zu politischen Prozessen, Regeln und Pflichten ist unverzichtbar. An geschichtlichen oder alltagsbezogenen Themen kann dieses Wissen exemplarisch erarbeitet werden. Der Unterricht findet aber im besten Falle nicht nur im Schulzimmer statt. Ausserschulische Lernorte erhöhen die Anschaulichkeit und sind für das politische Lernen von grosser Bedeutung. Der Besuch einer Gemeindeversammlung, eines Gerichts oder einer politischen Institution wie zum Beispiel eines Parlaments liefert bleibende Eindrücke und schafft eine Verknüpfung von Theorie und Praxis.

Stimmberechtigt mit 16!

Mit dem Ende der obligatorischen Schulzeit werden viele Schülerinnen und Schüler 16 Jahre alt. Wäre es nicht eine verantwortungsvolle Geste des Miteinbeziehens, wenn Jugendliche in diesem Alter politische Entscheidungen treffen könnten? Die Senkung des Stimmrechtsalters wäre in meinen Augen ein Vertrauensbekenntnis in unsere Jugend, die Zukunft von morgen. Politische Bildung in der nachobligatorischen Schulzeit würde auf einen Schlag eine ganz andere Bedeutung und Tragweite erhalten.

Zurück zu meiner Frage: Wie können wir die politischen Kenntnisse der Kinder und Jugendlichen an der Schule verbessern? Der Lehrplan scheint im Bereich der politischen Bildung unzureichend zu sein. Nebst einer Erweiterung der angestrebten Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler müssen auch die kantonalen Stundentafeln erweitert werden, damit die zeitlichen Ressourcen für deren Erwerb gewährleistet sind. Gerade hier existieren schweizweit unterschiedlichste Vorgaben.

Das Stimmrechtsalter zu senken, wäre in meinen Augen ein Vertrauensbekenntnis in unsere Jugend.

In den meisten Kantonen ist die politische Bildung als transversales Modul im Unterricht verankert. Der Kanton Aargau hingegen kennt ein eigenes Schulfach. In der kleinen Schweiz können wir uns aber solch unterschiedliche Voraussetzungen nicht erlauben. Kantonale Unterschiede sollten vereinheitlicht werden.

Für politische Bildung ist nicht nur die Schule gefragt

Weiter erachte ich die fachlichen und didaktischen Kenntnisse der Lehrpersonen im Bereich der politischen Bildung als zentral. Sie muss in der Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen einen integralen Bestandteil darstellen, damit diese über die nötigen Kompetenzen verfügen und befähigt werden, den hohen Ansprüchen an den Unterricht gerecht zu werden.

Ich bin davon überzeugt, dass die politische Bildung die erforderliche Priorität erhält, wenn diese Forderungen umgesetzt werden. Doch die Schule allein kann die gewünschte Entwicklung nicht stemmen, dafür ist ihr Einfluss zu klein. Politische Sozialisierung ist auch eine gesellschaftliche Aufgabe und wird zu einem bedeutenden Anteil durch das Elternhaus, den Freundeskreis und durch die Medien beeinflusst. Sie, liebe Eltern, tragen mit Ihrem eigenen Umgang und der Auseinandersetzung mit politischen Themen zu einem besseren Verständnis Ihrer Kinder für ebendiese bei.

Daniel Gebauer

Daniel Gebauer
ist seit August 2022 Mitglied der Geschäftsleitung des LCH. Er arbeitet als Co-Schulleiter in Lauperswil BE und unterrichtet in einem Teilpensum. Daniel Gebauer ist verheiratet, Vater zweier Töchter und wohnt mit seiner Familie in Burgdorf.