SVP-positiv am Familientisch?

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren
Unsere Kolumnistin Michèle Binswanger erzählt von ihren unterhaltsamen Politikdiskussionen am Familientisch.
Normalerweise sind ja die Kinder nicht zu Hause, wenn sie es aber waren, verrät sich das beim ersten Blick in den Kühlschrank, der leer gefressen wird, sobald man etwas Leckeres darin verstaut. Alles Gesunde hingegen, das sich darin findet, vergammelt unberührt.
Dennoch freue ich mich ob meinen Teenies. Und besonders freue ich mich, dass sie auch politisch zu denken beginnen. Besonders meine Tochter tickt ähnlich wie ich in ihrem Alter auch, sie rennt jedes Wochenende zu einer Demonstration und streckt die Faust in die Luft, danach kommt sie nach Hause und berichtet mir davon. Und dann unterhalten wir uns jeweils darüber, was in ihren Kreisen so diskutiert wird.
Heute habe ich auf vieles eine differenzierte Sicht als damals.
Das erinnert mich dann jeweils an meinen Vater, mit dem ich in ihrem Alter oft so diskutierte, wobei er mir gegenüber ähnliche Positionen einnahm wie ich heute: konservativer, pragmatischer und realitätsnäher. Damals, in meiner feministischen Sturm-und-Drang-Phase, erzürnte mich das. Und wie gern würde ich mich heute, da ich mich ihm angenähert habe, mit ihm darüber unterhalten, aber leider ist mein Vater viel zu früh gestorben.
Dafür diskutiere ich nun mit meiner Tochter, und weil sie ein kluges Kind ist, lerne ich auch von ihrer vernünftigen und durchdachten Art, und so kann ich meine eigenen Ideen an den ihren schärfen. Was kann man sich als Mutter mehr wünschen.
Ich setzte mich also hin, begann zu schöpfen, als ich plötzlich feststellte, dass die Hand, die ich dem SVPler gegeben hatte, noch immer stark nach seinem Aftershave roch. Ich machte eine Bemerkung darüber, worauf mein Sohn fragte: «Was sagst du? Deine Hand riecht nach SVP?» Und dann: «Heisst das, du bist jetzt SVP-positiv?» Wir warfen uns weg vor Lachen.
Nein, kontaminiert bin ich nicht und mich SVP-positiv zu nennen, trifft es wohl auch nicht. Aber es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass wir selbst dann noch zusammen am Familientisch sitzen und vernünftig darüber diskutieren könnten. Was kann man sich als Mutter mehr wünschen?
Michèle Binswanger
Mehr lesen von Michèle Binswanger:
- Ein Käfer auf InterrailFlieg, Engelchen, flieg! Oder steig wahlweise auch gerne in den Zug. Die Tochter unserer Kolumnistin reist mit Interrail durch Europa.
- Der leise Neid auf pubertierende Teenies «Was macht die Pubertät mit meinem Kind?», fragt sich Michèle Binswanger.
- Hobbylos und stolz darauf «Hobbylos» ist der neue Begriff für «langweilig». Als der Sohn unserer Kolumnistin aber ständig hinter seinem Smartphone verschwindet, beginnt sie sich zu sorgen.