Warum Gurgeln gegen Prüfungsangst hilft
Merken
Drucken

Warum Gurgeln gegen Prüfungsangst hilft

Lesedauer: 4 Minuten

Für viele junge Menschen sind Tests und Vorträge purer Stress. Die Angst, zu versagen, hockt ihnen im Nacken. Mit vier einfach umsetzbaren Soforthilfen können Kinder und Jugendliche ruhiger an belastende Situationen wie Prüfungsangst herangehen.

Text: Stefanie Rietzler
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Stress, Herzklopfen und Tränen beim Lernen, schlaf­lose Nächte vor Prüfungen, Panik und Blackouts trotz guter Vorbereitung und die ständige Befürchtung, es nicht zu schaffen: Rund 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen haben gemäss Studien aus dem deutschsprachigen Raum mit Prüfungsängsten zu kämpfen, bei Studierenden sind es doppelt so viele. Darüber hinaus gehört Prüfungsangst zu den häufigsten Gründen, warum Berufsschülerinnen und -schüler ihre Ausbildung abbrechen.

Eine schlechte Note sei nicht tragisch. Dieser Satz ist gut gemeint, hilft in der Regel aber nicht weiter.

Obwohl Leistungsstress die Lebensqualität junger Menschen stark beeinträchtigen kann, erhalten sie nur selten echte Hilfe. Meist hören sie von ihren Eltern und Lehrkräften lediglich aufmunternde Worte: Es sei doch nicht nötig, sich so sehr wegen eines Tests zu sorgen, sie müssten einfach mehr an sich glauben. Eine schlechte Note sei doch überhaupt nicht tragisch. Sie dürften nicht so hart mit sich selbst sein. Oder: Es gehe schon alles gut, sie hätten doch bisher auch immer alles geschafft.

Das ist gut gemeint, hilft in der Regel aber nicht weiter. Erfolgversprechender sind die folgenden vier Soforthilfen. Damit lernen Kinder und Jugendliche, besser mit der Prüfungsangst umgehen zu können. In ausgeprägteren Fällen oder bei bereits länger andauernder Symptomatik sollte hingegen eine Psychotherapie oder ein Lerncoaching in Betracht gezogen werden.

4 Tipps bei Prüfungsangst

1. Körperliche Angstsymptome positiv umdeuten

Wir alle sind in Bewertungssituationen etwas angespannter als sonst, spüren den Herzschlag bewusster, atmen schneller und flacher, schwitzen oder zittern vielleicht. Menschen die unter Prüfungsangst leiden reagieren jedoch besonders empfindlich auf diese körperlichen Stressanzeichen und neigen zu Katastrophendenken: «Bitte nicht das! Wenn mein Herz so hämmert, kann ich mich nicht mehr konzentrieren!», «Hilfe, meine Hände zittern wie verrückt, das kann am Ende niemand mehr lesen!» oder «Meine Birne glüht, das ist so peinlich! Gleich vergesse ich meinen Text!».

In einer gekrümmten Position werden Tests als deutlich schwieriger erlebt als in einer aufrechten.

In mehreren Untersuchungen der New Yorker Universität Rochester wurde ein Teil der Schülerinnen und Schüler im Vorfeld von Prüfungen darüber informiert, dass die körperlichen Erregungssymptome bei Tests normal seien. Sie schadeten der Leistungsfähigkeit des Gehirns nicht, sondern seien aktivierend und würden unserem Körper dabei helfen, besser mit Herausforderungen umzugehen.

Ein zweiter Teil erfuhr, dass man die Leistung in stressigen Testsituationen am besten dadurch steigert, indem man seine Anspannung ignoriert und negative Gedanken nicht weiter beachtet. Die Jugendlichen der ersten Gruppe, die ihre körperlichen Stresssymptome positiv umdeuteten, fühlten sich im nachfolgenden Mathetest weniger ängstlich und schütteten weniger Stresshormone aus. Insgesamt schnitten sie besser ab und brachen im Laufe des Schuljahres ihre Ausbildung seltener ab.

2. Auf die Körperhaltung achten

Wenn wir Angst verspüren, verspannen wir unsere Muskeln instinktiv, ziehen den Kopf ein sowie die Schultern zu den Ohren und nehmen eine kauernde Körperhaltung ein. Möchten wir uns sicherer und entspannter fühlen, wäre genau das Gegenteil hilfreich, wie mehrere Untersuchungen zeigen. In einer Studie der San Francisco State University liess man Lernende Kopf­rechenaufgaben lösen. Die eine Hälfte der Aufgaben lösten sie in aufrechter Sitzposition, die andere Hälfte in gekrümmter Sitzhaltung. In der gekrümmten Position wurde der Test als deutlich schwieriger erlebt als in der aufrechten, ins­besondere von Lernenden, die sich sehr vor Mathe fürchten und häufige Blackouts haben.

3. Über sich selbst in der dritten Person sprechen

Wie bereits beschrieben, sind leistungsängstliche Menschen in einem Karussell aus negativen Gedanken gefangen. Wie kann man damit umgehen? Werfen wir dazu nochmals einen Blick auf die Forschung. In einer Untersuchung mussten ­junge Menschen einen Vortrag vor Publikum halten, ohne sich ausreichend darauf vorbereiten zu können. Das Referat wurde auf Video aufge­nommen und danach bewertet: ein absoluter Stresstest!

Sprechen wir uns selbst in Gedanken in der Du-Form an, gewinnen wir Distanz und werden ruhiger.

Einen Teil der Versuchspersonen regte man vorgängig dazu an, über ihre Gefühle in der Ich-Form nachzudenken, etwa: «Wie werde ich diesen Vortrag wohl meistern?», «Ich bin echt aufgeregt!». Die zweite Gruppe sollte sich selbst in Gedanken mit dem eigenen Vornamen in der Du-Form ansprechen und so etwas mehr ­Distanz gewinnen: «Gell, Johanna, du machst dir viele Gedanken darüber, was dich hier erwartet. Du bist gerade ziemlich nervös.» Beim anschliessenden Vortrag fühlten sich diejenigen, die zu sich selbst in der Du-Form gesprochen hatten, nicht nur ruhiger, sie konnten ihr Wissen auch besser ­präsentieren. Hinterher grübelten sie weniger über ihre Fehler und schämten sich seltener.

4. Besser entspannen durch die Vagusnerv-Stimulation

Wenn uns die Angst überflutet, wird unser sympathisches Nervensystem aktiviert. Es versetzt uns blitzschnell in den «Flucht oder Kampf»-Modus oder lässt uns erstarren. Um uns wieder beruhigen zu können, müssen wir dessen Gegenspieler aktivieren: das parasympathische Nervensystem. In dessen Zentrum sitzt der sogenannte Vagusnerv, unser «Beruhigungs- und Erholungsnerv».

Summen, brummen oder gurgeln wirkt beruhigend.

Er verläuft vom Hirnstamm im Kopf über Hals und Brust in den Bauchraum hinein.

Wenn wir den Vagusnerv in Stresssituationen bewusst ansteuern, können wir unsere Ängste und die damit verbundene körperliche Anspannung besser regulieren. Kinder und Jugendliche können dazu beispielsweise am Morgen vor einem Test kräftig summen, aus tiefster Kehle brummen, ihr Lieblingslied schmettern oder beim Zähneputzen im Bad eine Minute Wasser gurgeln. Mutet seltsam an, hilft aber! Wer möchte, kann eine Handfläche mittig unter dem Schlüsselbein auf die Brust legen und spüren, wie der Brustkorb vibriert – dann wird auch der Vagusnerv aktiviert.

Buchtipp

Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund: Clever lernen. Hogrefe 2018, ca. 28 Fr.

Das Buch vermittelt Jugendlichen zwischen 11 und 15 Jahren, wie sie motivierter und konzentrierter lernen und Prüfungsängsten den Kampf ansagen.

Stefanie Rietzler
ist Psychologin und Autorin. Gemeinsam mit Fabian Grolimund leitet sie die Akademie für Lerncoaching, ein Beratungs- und Weiterbildungsinstitut. Rietzler ist Mutter eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Alle Artikel von Stefanie Rietzler