Ist eine geschlechtsneutrale Erziehung überhaupt möglich?
Unser Kolumnist Christian Johannes Käser hat vier Kinder – drei Jungs und ein Mädchen. Obwohl er diese möglichst emanzipiert zu erziehen versucht, merkt er, wie sie gewisse Geschlechterklischees bereits jetzt verinnerlicht haben.
«Boys will be boys.»
Hatte dieser Ausspruch vor zwanzig Jahren noch diesen leicht amüsierten Beiklang, wird er heute eher als Anklage an die aggressive Männlichkeit, die sich bereits im Kindesalter auszuprägen beginnt, gelesen. Jungs haben nicht den besten Ruf. Sie gelten als anstrengender, sind laut und neigen eher zu Prügeleien.
Während in gewissen Berufsbranchen Durchsetzungsvermögen oder diese «gesunde Aggressivität» durchaus verlangt werden, können Jungs in ihrer Schulkarriere damit oft keine Punkte sammeln. Ihre Lust am Wettkampf wird schon auf dem Spielplatz in die Schranken gewiesen.
Wenn wir einen Schritt zurück gehen, stellt sich natürlich die altbekannte Frage: Gibt es denn diesen Unterschied der Geschlechter überhaupt? Versuchen wir nicht, eine Welt zu erschaffen, die solchen Geschlechterzuschreibungen sehr kritisch gegenübersteht? Kultur oder Biologie?
Meine zwei mittleren Jungs im Alter von sieben und zehn Jahren würden nie ein Mädchen an ihren Kindergeburtstag einladen. Der Jüngere hat sich sogar zur Aussage gesteigert, er wolle grundsätzlich noch nichts mit diesen Mädchen zu tun haben (ja, er hat tatsächlich gesagt NOCH nicht). Sie lieben Männerfussball, sind gerne mal laut und … nein, Bier trinken sie (noch) nicht.
Kleider, Spielzeug, Znüniboxen und Zahnbürsten sind stark nach Geschlechterrollen gekennzeichnet.
Ich glaube, ich bin ein durchaus emanzipierter Mann. Mir ist es wichtig, dass der Unterschied der Geschlechter nicht wirklich relevant ist. Meine Frau und ich leben unseren Kindern ein egalitäres Modell vor. Trotzdem identifizieren sie sich offenbar stark mit ihrem biologischen Geschlecht.
Für diese Identifikation gibt es auch reichlich Futter da draussen. Kleider, Spielzeug, Znüniboxen und Zahnbürsten sind stark nach Geschlechterrollen gekennzeichnet. Die Marktlogik hat diesen Trend noch verstärkt, schliesslich kann man jedes Produkt mehrfach verkaufen, wenn man ihm eine Genderpräferenz andichtet. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass dies in meiner Kindheit so auffällig war. Und das im Kanton Appenzell Ausserrhoden, der erst 1989 das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene einführte.
Spielregeln kritisch hinterfragen
Was nun? Was können wir dagegen tun, dass unsere Kinder diese Zweiteilung der Welt etwas hinterfragen?
«Geschlechtsneutrale» Erziehung scheint im vorliegenden gesellschaftlichen Kontext kaum möglich. Dafür müsste man dann auch die Mitarbeitenden der Kitas dazu bringen, die Jungs nicht schon mit fünf Monaten in den «Bau-Eggä» zu setzen, um dann am Abend zu berichten, wie schön Hansli mit den Baggern gespielt hat, während das dreimonatige Vreneli im «Familie-Eggä» lag.
Ja, es ist auch ein Spiel, dieser Umgang mit Geschlechterrollen. Die Spielregeln können und müssen wir natürlich kritisch hinterfragen.
Wir lesen gerade Ronja Räubertochter von Astrid Lindgren, und die Jungs mögen dieses Mädchen, das sich gegen die patriarchalen Strukturen der Räuberbande ihres Vaters auflehnt. Oder auch Eva-Lotte, die Freundin von Meisterdetektiv Kalle Blomquist, die mit ihren schlauen Ideen und viel Tatendrang die Detektivarbeit erleichtert.
Ich habe ihnen auch ein Video gezeigt, in dem die ehemalige Profifussballerin Martina Moser gegen Kay Voser (auch er hatte zu seiner aktiven Zeit ein feines Füsschen) in einem Skills-Wettbewerb antritt. Sie müssen mit dem Ball Ziele treffen, über eine Distanz jonglieren oder Eckbälle direkt verwandeln. Dass die Frau diesen Wettbewerb gewinnt, hat sie dann schon auch beeindruckt. Jungs können nicht einfach aus biologischen Gründen besser Fussball spielen. Übung macht die Meisterin.
Es ist tatsächlich meine Hoffnung, dass es die Geschichten richten, dass die Erzählungen von Mädchen und Jungs, die anders sind als die gängigen Rollenbilder, das Weltbild meiner Kinder prägen. Diese Geschichten sollten wir ihnen erzählen.