Typisch Bube, typisch Mädchen?  7 Mythen auf dem Prüfstand - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Typisch Bube, typisch Mädchen?  7 Mythen auf dem Prüfstand

Lesedauer: 10 Minuten

Was ist dran an den vermeintlichen Unterschieden zwischen Mädchen und Jungen? Und worauf lassen sich diese zurückführen? Wir stellen sieben Geschlechter-Klischees auf den Prüfstand. 

Lena*, 14, und Lars, 12, leben mit ihren Eltern Andy und Brigitte Zimmermann in einem Zürcher Vorort. Lena geht in die zweite Sek, Lars besucht die sechste Klasse. Bis vor zwei Jahren haben sie sich ein Kinderzimmer geteilt, hatten immer Zugang zu allen Spielsachen. Lars konnte nie etwas mit Puppen anfangen. Lena auch nicht. Dafür liebte sie ihr rosa Tutu und auch Lars trug als Kleinkind hin und wieder Prinzessinnenkleider.

Heute haben beide die gleichen Hobbys: Sie spielen Fussball und tanzen Hip-Hop. Vater Andy ist selbständig im Finanzwesen tätig, Mutter Brigitte arbeitet in der PR-Branche. Sie haben sich sowohl das Geldverdienen als auch Haushalt und Kinderbetreuung von Anfang an geteilt.

Immer öfter entscheiden sich Paare für das egalitäre Familienmodell und leben ihren Kindern ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Mann und Frau vor.Trotzdem herrschen in unserer Gesellschaft nach wie vor klare Vorstellungen darüber, was «typisch Bub» und «typisch Mädchen» ist.


* Die Namen aller Familienmitglieder wurden von der Redaktion geändert. 

Kinder kommen von Anfang an mit Geschlechterstereotypen in Berührung

Was ist dran an diesen Stereotypen? Wo lassen sich Unterschiede festmachen? Und woher kommen sie? Es gibt unzählige Studien zu diesen Fragen – eine abschliessende Antwort gibt es bis heute nicht. Welche Unterschiede angeboren sind, lässt sich kaum ermitteln, da es sich gar nicht verhindern lässt, dass bereits Babys und Kleinkinder mit stereotypen Rollenbildern in Berührung kommen.

«Wir haben keine Chance, herauszufinden, welche Unterschiede im Hirn für komplexe menschliche Verhaltensweisen verantwortlich sind», sagt die kanadisch-britische Psychologin, Genderforscherin und Wissenschaftsautorin Cordelia Fine. 

Wir stellen sieben Mythen auf den Prüfstand: Zu welchen Erkenntnissen kamen Studien und Umfragen? Was sagen Forscherinnen und Forscher? Ausserdem haben wir erfahrene Pädagoginnen und Pädagogen um ihre Einschätzung gebeten – und bei Familie Zimmermann nachgefragt,wie das bei ihnen aussieht mit den Geschlechterunterschieden. 

Mythos 1: Buben sind das starke Geschlecht

«Weibliche Individuen haben bei der Geburt einen geringeren Muskelanteil und mehr Fettgewebe als männliche», erklärt die Zürcher Kinderärztin Madeleine Gartenmann Benz. Trotzdem gebe es im Kindesalter kaum Unterschiede bei den sportmotorischen Fähigkeiten, sagt der Berner Sportwissenschaftler Achim Conzelmann. «Die Leistungen in der Leichtathletik beispielsweise unterscheiden sich im Kindesalter nur unbedeutend.»

Das ist auch auf dem Fussballplatz zu beobachten. So rennt Lars zwar schneller als Lena, dafür hat die 14-Jährige den härteren Schuss. Noch. Mit der Pubertät öffnet sich die Schere: «Hinsichtlich der Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer haben erwachsene Männer im Schnitt deutliche Vorteile gegenüber Frauen », sagt Achim Conzelmann.

Wie aber sieht es bei der mentalen Stärke aus? «Grundsätzlich gibt es da keinen Unterschied. Mädchen und Buben können gleichermassen Ehrgeiz entwickeln und sich fokussieren», sagt Melanie Planzer-Mörth, Präsidentin des Schweizer Mentalcoaching-Verbands. «Aber Glaubenssätze, welchen die Kinder schon sehr früh begegnen, haben einen grossen Einfluss. Zum Beispiel, dass Mädchen fein und Jungen hart sein sollen.» 

Wir ermuntern Jungen, sich zu bewegen – und wundern uns dann, wenn sie in der Schule nicht stillsitzen können.

Mädchen würden zum ruhigeren Geschlecht erzogen, Buben dazu animiert, sich zu bewegen – «und dann wundert man sich, wenn sie in der Schule nicht stillsitzen können», sagt Melanie Planzer- Mörth. Sie ist überzeugt, dass Mädchen nicht konzentrationsfähiger sind als Jungen: «Ist das Interesse vorhanden, ist die Konzentration unabhängig vom Geschlecht trainierbar.»

Kinderärztin Madeleine Gartenmann Benz sagt: «Hormonbedingt ist das weibliche Immunsystem stärker als das männliche. Bei Jungen kommt es bei der Geburt häufiger zu Komplikationen und die Säuglingssterblichkeit ist höher.» Das schnell reagierende Immunsystem der Mädchen sei aber nicht nur zu deren Vorteil. So neigten sie schon im Kindesalter zu mehr Autoimmunerkrankungen.

In der Adoleszenz zeige sich dann die sozial bedingte geschlechtsspezifische Komponente stärker. Essstörungen seien bei Mädchen beispielsweise immer noch deutlich häufiger als bei Buben: «Das liegt am gesellschaftlichen Anspruch, als Mädchen schön und schlank sein zu müssen.»

FAZIT: Dass Buben das starke Geschlecht sind, stimmt nur bedingt. Fakt ist: Buben haben mehr Muskelmasse, Mädchen ein stärkeres Immunsystem. 

Inanna wäre manchmal lieber ein Bub. Auch weil sie in ihrem Ausbildungsbetrieb als Schreinerin immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert wird. Sie und ihre Schwester finden: «Buben sind manchmal ziemliche Kindsköpfe!» Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo
Inanna wäre manchmal lieber ein Bub. Auch weil sie in ihrem Ausbildungsbetrieb als Schreinerin immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert wird. Sie und ihre Schwester finden: «Buben sind manchmal ziemliche Kindsköpfe!» Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo

Mythos 2: Mädchen sind sozialer, emotionaler und fürsorglicher

Dass Buben weniger Gefühle als Mädchen hätten, gehöre ins Reich der Mythen und Legenden, sagt Entwicklungspsychologe Moritz Daum von der Universität Zürich. Wenn Buben diese weniger zeigen, sei dieses Verhalten gelernt, so Daum. «Die Emotionen sind trotzdem da.»

Auch Brigitte Zimmermann erlebt ihren Sohn nicht als emotionslos. Im Gegenteil: «Ich kenne kaum ein emotionaleres Kind als Lars. Schaut man ihn schräg an, kommen ihm die Tränen. Auf der anderen Seite kann er sich über Kleinigkeiten richtig freuen.»

Fritz Schellenbaum, pensionierter Seklehrer und Präsident der Sektion Sekundarschule des Zürcher Lehrerverbands, hat beobachtet, dass Buben ihre Gefühle einfach anders ausleben als Mädchen: «Wenn sie miteinander rangeln, ist das auch ein Ausdruck von Emotionen.»

Während diese Unterschiede gesellschaftsbedingt sind, sieht Moritz Daum einen biologischen Einfluss im Bereich des Spielens. «Es gibt Studien mit Schimpansen, bei denen man Affenjungen und -mädchen beobachtete, wie sie mit Stöcken spielen. Die Jungen benutzten sie eher als Waffe, die Mädchen wiegten sie im Arm.» Daum glaubt, dass sich bestimmte «geschlechtstypische» Eigenschaften wie Fürsorge aus angeborenen unterschiedlichen Interessen entwickeln würden: «Buben spielen im Allgemeinen wilder. »


Hinzu komme, dass bei Mädchen fürsorgliche Rollenspiele mehr gefördert werden. «Ein Junge lernt, dass der Papa eher mit ihm fechtet, anstatt mit Puppen zu spielen.»

Ist das weibliche also das sozialere Geschlecht? 

Die Ergebnisse einer Studie der Universität im norwegischen Stavanger sprechen dafür. Die Untersuchungen aus dem Jahr 2015 über das Sozialverhalten im Kindergartenalter zeigten, dass Mädchen sich häufiger an Spielen beteiligten und mehr mit anderen interagierten. 

Dieser Unterschied zeigt sich auch bei Zimmermanns: Lena hatte bereits als kleines Mädchen jede Menge Freundinnen und Freunde, während Lars bis ins Kindergartenalter lieber alleine spielte. 

Barbara Schwarz, seit 20 Jahren Kindergartenlehrperson im Zürcher Oberland, macht auch andere Beobachtungen: «Ich stelle sehr wohl fest, dass Jungen eher Konstruktionsspiele machen und Mädchen gemeinsame Rollenspiele lieben. Aber wenn man die Buben zu etwas anderem anhält, gefällt ihnen auch das.» 

 
FAZIT: Mädchen verhalten sich im Durchschnitt tatsächlich emotionaler und fürsorglicher. Woher dies kommt, ist umstritten. Sicher ist: Buben haben nicht weniger Gefühle, aber sie lernen, diese stärker zu unterdrücken und anders auszuleben als Mädchen.

Mythos 3: Mädchen sind sprachlich, Buben mathematisch begabt

Die Pisa-Studie von 2015, welche die Geschlechterunterschiede in Mathematik in diversen Ländern untersuchte, spricht eine deutliche Sprache: In Finnland oder Südkorea sind Mädchen signifikant besser in Mathe als Buben. In Schweden oder Griechenland ist das Verhältnis mehr oder weniger ausgeglichen. In der Schweiz sind Mädchen hingegen signifikant schlechter.

Entwicklungspsychologe Moritz Daum sieht die Ursache für dieses Ungleichgewicht in einem Zusammenspiel aus Interessen und Erfahrung: «Mädchen interessieren sich oft mehr für Buchstaben als für Zahlen.» Dies hänge auch mit der falschen, aber immer noch weit verbreiteten Annahme zusammen, dass Mathematik eher etwas für Männer sei. Dies könne dazu führen, dass Mädchen denken, sie seien schlechter darin, obwohl dem gar nicht so ist.

Diese Annahme bestätigt eine aktuelle Studie des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung, die herausfand, dass sich Mädchen ab der 5. Klasse schlechter in Mathe einschätzen, als sie tatsächlich sind. Lena Zimmermann sagt, sie habe bis zur 5. Klasse kein Problem mit Mathe gehabt, danach hätten ihre Leistungen nachgelassen. Warum, konnten weder sie selbst noch ihre Eltern sagen. 

Ob sich ein Kind für Bücher interessiere oder nicht, habe aber letztlich mehr mit dem Leseverhalten der Eltern zu tun als mit dem Geschlecht.

Was das Lesen angeht, bestätigte eine Umfrage der Universität Bern unter Achtklässlerinnen und Achtklässlern das gängige Vorurteil: 24 Prozent der Buben gaben an, dass sie in ihrer Freizeit nie lesen. Bei den Mädchen waren es nur knapp 10 Prozent. Primarlehrer Daniel Rutz sagt: «Bei Jungen scheinen Konkurrenzaktivitäten wie Sport und Spielen stärker ins Gewicht zu fallen.» 

Ob sich ein Kind für Bücher interessiere oder nicht, habe aber letztlich mehr mit dem Leseverhalten der Eltern zu tun als mit dem Geschlecht. Papa und Mama sind gute Vorbilder in Sachen Lesen – dennoch zeigen sich bei ihren Kindern deutliche Unterschiede: Brigitte bezeichnet sich als Leseratte, Andy liest jeden Tag mindestens eine Stunde Zeitung. Während ihre Tochter Lena alle «Harry Potter»-Romane mehrfach in Deutsch und in Englisch gelesen hat, würde ihr Sohn Lars niemals freiwillig ein Buch in die Hand nehmen. Und schlimmer als den Deutschunterricht findet er nur Französisch. 

Fazit: Dass Buben mathematisch und Mädchen sprachlich begabter sind, stimmt nicht. Dass Mädchen hierzulande Sprachen und Buben Mathe bevorzugen, hat kulturelle Gründe.

Mythos 4: Mädchen sind in der Pubertät schwieriger

Lena kam vor gut drei Jahren sozusagen über Nacht in die Pubertät. Sie war schlecht gelaunt, oft grundlos traurig und extrem launisch. Ihr um zwei Jahre jüngerer Bruder Lars hat seit Kurzem immer wieder mal schlechte Laune – sonst machen sich noch keine pubertären Anzeichen bemerkbar. Was bei Familie Zimmermann passiert, ist typisch: Bei Mädchen beginnt die Pubertät in der Regel früher als bei Buben. Während sie im Schnitt zwischen
11 und 13 Jahren in die Pubertät kommen, ist das bei Jungen erst zwischen 13 und 15 der Fall.

Warum das so ist, ist unklar. Fachleute vermuten den Eiweissstoff Leptin als Verursacher, der massgeblich an der Einleitung der Pubertät beteiligt sein soll. Da er sich in den Fettzellen befindet und Mädchen mehr davon haben, setzten bei ihnen die körperlichen Veränderungen früher ein, so die Erklärung. Entwicklungspsychologe Moritz Daum vermutet, dass der frühere Beginn der Pubertät ein Grund dafür ist, warum Mädchen in dieser Phase als «schwieriger» gelten: «Im Alter, in dem Buben pubertieren, ist die Selbstkontrolle bereits etwas weiterentwickelt und sie können deshalb möglicherweise besser mit den körperlichen Veränderungen umgehen, als Mädchen das mit 11, 12 Jahren können.»

Madeleine Gartenmann Benz sieht den Grund in den Hormonen. «Mädchen sind in der Pubertät mit einem unglaublichen Cocktail an miteinander kollidierenden Hormonen konfrontiert, dazu ist der Verlauf zyklisch. Bei Jungen ist der Hormonverlauf kontinuierlich, ohne Peaks und Tiefen, das ist weniger drastisch.» Die Kinderärztin betont aber, dass Charakter und Persönlichkeit sowie das soziale Umfeld prägender für das Verhalten seien als das Geschlecht. 

Ingrid Pizzini, soziokulturelle Animatorin und Stellenleiterin der offenen Jugendarbeit Zürich, sagt, sie beobachte bei den Jugendlichen kein geschlechterabhängiges Verhalten: «Die Themen, die sie beschäftigen, sind grösstenteils die gleichen. Die schrittweise Ablösung von den Eltern ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe, die bei Buben und Mädchen zu Diskussionen führen kann. Wie die Jugendlichen darauf reagieren, erlebe ich in meiner Arbeit als sehr unterschiedlich, unabhängig vom Geschlecht.» 

 
FAZIT: Mädchen kommen rund zwei Jahre früher in die Pubertät. Dass sie bei ihnen heftiger verläuft,  stimmt nur bedingt. Die Pubertät ist ein Prozess, der individuell sehr verschieden abläuft – das Geschlecht spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Der 8-jährige Matti wird manchmal wegen seinen langen Haaren für ein Mädchen gehalten. Das stört ihn aber nicht. Uns hat er erzählt, wann Buben auch weinen dürfen und warum Mädchen im Unterricht häufiger aufstrecken. Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo
Der 8-jährige Matti wird manchmal wegen seinen langen Haaren für ein Mädchen gehalten. Das stört ihn aber nicht. Uns hat er erzählt, wann Buben auch weinen dürfen und warum Mädchen im Unterricht häufiger aufstrecken. Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo

Mythos 5: Buben sind langsamer in der Entwicklung als Mädchen

Die bereits erwähnte Studie der Universität Stavanger kam zum Schluss, dass fast zwei Drittel der Mädchen zwischen 30 und 33 Monaten allein essen und trinken können, bei den Jungen sind es nur knapp die Hälfte. 21 Prozent der Mädchen tragen in diesem Alter keine Windeln mehr, bei den Buben sind es bescheidene 8 Prozent.

Lena war mit gut zwei Jahren trocken, Lars erst kurz vor Kindergarteneintritt. Die Kindergärtnerin Barbara Schwarz stellt in ihrem Berufsalltag ebenfalls fest, «dass Mädchen sich im Verlaufe der Schulzeit schneller entwickeln». Auch würden eher Knaben beim Kindergarteneintritt ein Jahr zurückgestellt oder ein drittes Jahr in den Kindergarten geschickt.

Der pensionierte Lehrer Fritz Schellenbaum betont, dass die Entwicklungsdifferenz bei Mädchen und Buben im Sekundarstufenalter bis zu zwei Jahre betragen kann. Das bestätigt eine Studie des deutschen Bundesamts für Familie. Jungen würden im Schnitt die Schule von Beginn an entwicklungsbedingt mit schlechteren Voraussetzungen beginnen, heisst es da. Dies setze sich im Laufe der Schulkarriere fort: Während 11 Prozent aller Mädchen eine Klasse wiederholen, sind es bei den Buben 21 Prozent. 

 
FAZIT: Dass sich Buben langsamer entwickeln, stimmt. Allerdings gilt es zu bedenken, dass es sich auch hier um Durchschnittswerte handelt und es individuell grosse Unterschiede gibt.

Mythos 6: Mädchen sind fleissiger als Buben

Lena möchte den Übertritt ins Gymnasium schaffen und bereitet sich intensiv auf die Prüfung vor. Lars lernt meist gerade so viel, dass es für eine genügende Note reicht. Die Verhältnisse bei Familie Zimmermann entsprechen den Beobachtungen, die Primarlehrer Daniel Rutz macht: «Ich bin der Meinung, dass das Konkurrenzfreizeitangebot die Knaben stärker beeinflusst als die Mädchen. Dies kann Auswirkungen auf die Dauer haben, die sie an den Hausaufgaben arbeiten, oder auch am Engagement, wie diese erledigt werden. Dass Buben Hausaufgaben allerdings weniger gern machen als die Mädchen, bezweifle ich.»

Mädchen sitzen länger an den Hausaufgaben als Jungen. Sind sie deshalb fleissiger?

Tatsächlich ergab die bereits zitierte Umfrage der Uni Bern zum Leseverhalten, dass Mädchen länger Hausaufgaben machen als Buben: Ein Viertel der Mädchen sitzt zwischen sechs und zehn Stunden wöchentlich an den Ufzgi, bei den Buben tun dies ein Fünftel. 5 Prozent der Buben geben an, gar keine Hausaufgaben zu erledigen, bei den Mädchen sind es 2 Prozent.

Sind Mädchen also fleissiger als Buben? Moritz Daum stellt die Gegenfrage: «Was heisst schon fleissig? Ist ein Bub, der stundenlang auf dem Fussballfeld herumrennt, nicht auch fleissig?»

Oder einer wie Lars, der vor einigen Jahren tagelang verbissen mit dem Snowboard den Hügel runterrutschte und wieder hochlief, bis er sich auf dem Brett halten konnte? Sportwissenschaftler Achim Conzelmann hält fest: «Beim sportlichen Training lässt sich nicht per se sagen, dass ein Geschlecht fleissiger ist als das andere.» 

 
Fazit: Mädchen sitzen im Durchschnitt länger an den Hausaufgaben als Buben. Ob sie deswegen fleissiger sind, ist Definitionssache: In anderen Bereichen, etwa sportlichen Aktivitäten, zeigen Jungen ein mindestens ebenso grosses Engagement wie Mädchen.

Während Mädchen vor Prüfungen häufig nervös werden, vertrauen Buben eher auf ihr Glück. Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo
Während Mädchen vor Prüfungen häufig nervös werden, vertrauen Buben eher auf ihr Glück. Bild: Salvatore Vinci / 13 Photo

Mythos 7: Buben sind mutiger und trauen sich mehr zu

Dass Buben Kampfsport betreiben und Mädchen Ballett tanzen, ist längst nicht mehr die Regel. «Im Sport haben die Unterschiede vor allem mit der Sozialisierung zu tun», sagt Sportwissenschaftler Achim Conzelmann. «Durch die Liberalisierung unserer Gesellschaft und auch des Sports vermischen sich die Grenzen zunehmend.» Kindergärtnerin Barbara Schwarz beobachtet zwar, dass Buben oft wilder und lauter sind als Mädchen – aber, so Schwarz: «Mutiger sind sie nicht.»

So auch bei Zimmermanns: Lena ist eine «Rampensau», die weder den Auftritt im Sologesang scheut noch den Zweikampf auf dem Fussballplatz. «Den Satz ‹Das kann ich nicht› höre ich von Lars wesentlich häufiger als von Lena», sagt die Mutter der beiden.

In der Pubertät hingegen scheint eine Verschiebung stattzufinden: Verschiedene Studien belegen, dass männliche Teenager dazu neigen, mehr Risiken einzugehen, und zum Beispiel wesentlich öfter in Unfälle verwickelt sind als weibliche. Der ehemalige Seklehrer Fritz Schellenbaum stellt fest, dass sich die Buben mit Einsetzen der Pubertät häufiger überschätzen: «Sie nehmen Rückschläge leichter in Kauf als Mädchen. Dies führt vor Prüfungen oft dazu, dass Mädchen nervös werden, obwohl sie gut gelernt haben, während Buben vor allem auf ihr Glück vertrauen.»

Fazit: Bei Kindern gibt es bezüglich Mut und Risikobereitschaft kaum Geschlechtsunterschiede. Dies ändert sich in der Pubertät – offen bleibt, welche Rolle dabei hormonelle Vorgänge spielen und welchen Einfluss gesellschaftlich geprägte Bilder von Männlichkeit haben.

Zur Autorin:

Sandra Casalini ist freie Journalistin und Mutter eines Jungen und eines Mädchens. Sie liebte es früher zwar, ihre Tochter in Röckli zu stecken, hatte aber auch nichts dagegen, wenn der Sohn sich die Nägel lackierte.
Sandra Casalini ist freie Journalistin und Mutter eines Jungen und eines Mädchens. Sie liebte es früher zwar, ihre Tochter in Röckli zu stecken, hatte aber auch nichts dagegen, wenn der Sohn sich die Nägel lackierte.


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