«Schwimmen ist kein Plausch»
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«Schwimmen ist kein Plausch»

Lesedauer: 6 Minuten

Vielen Eltern ist es ein Anliegen, dass ihr Kind schwimmen lernt. Damit das auch klappt, sei einiges zu beachten, sagt Schwimmlehrerin Nadja Szabo Winter.

Interview: Evelin Hartmann
Bild: Adobe Stock

Frau Szabo, wann ist ein Kind bereit, schwimmen zu lernen? 

Das ist natürlich von Kind zu Kind verschieden. Grundsätzlich sollte sich ein Kind trauen, mit dem Kopf unter Wasser auszuatmen und die Augen zu öffnen. Lässt man ein Kind das Wasser immer wieder erleben und schaut es sich nichts von den Erwachsenen ab, dann fängt es in der Regel an, sich selbständig unter Wasser tauchend mit Auf-und-ab-Bewegungen der Beine fortzubewegen. Korrekt koordiniert schwimmen kann ein Kind frühestens mit etwa fünf Jahren. Das Schwimmenlernen beginnt aber nicht erst im Kindergartenalter. 

Sondern?

Die wichtigsten Kompetenzen, die zum Schwimmenlernen notwendig sind, können den Kindern bereits ab etwa zwei Jahren auf ganz einfache und spielerische Art und Weise vermittelt werden. Die wichtigste Grundlage dafür ist der regelmässige Wasserkontakt. Je häufiger das Kind im Wasser sein darf, desto mehr gewöhnt es sich an das nasse Element.

Den Kindern Schwimmflügeli überzustreifen und sie durchs Wasser zu ziehen, reicht nicht aus.

Wassergewöhnungskurse gibt es bereits für Kleinkinder. Aber ist es wirklich nötig, dass Eltern mit ihren kleinen Kindern einen Kurs besuchen? 

Wie gesagt, eine Grundvoraussetzung, um irgendwann schwimmen zu lernen, ist der regelmässige Wasserkontakt. Darüber hinaus sollten Eltern wissen, was sie denn genau zur Vorbereitung mit ihren Kindern üben wollen. Einfach die Schwimmflügeli überstreifen und die Kleinen durchs Wasser ziehen reicht nicht aus.

Nadja Winter ist Schwimmschulinhaberin und Kursleiterin in Glarus. Die Mutter von drei Kindern (3, 5 und 7) ist gelernte Pharmabetriebsassistentin und hat in Zusammenarbeit mit swimsports.ch ein Lehrmittel zum Thema Schwimmen publiziert. Auf Gumpifrosch-lernt-schwimmen.ch klärt sie Eltern über die Gefahren am Wasser sowie Lernprozess beim Schwimmen auf.
Nadja Szabo Winter ist Schwimmschulinhaberin und Kursleiterin in Glarus. Die Mutter von drei Kindern ist diplomierte integrative Erziehungsberaterin und hat mit Swimsports ein Lehrmittel zum Thema Schwimmen publiziert. Auf Gumpifrosch.ch klärt sie Eltern über die Gefahren am Wasser sowie die Lernprozesse beim Schwimmen auf.

Wassergewöhnung ist viel mehr als Planschen. So soll sich ein Kind nicht nur sicher im Flachwasser bewegen können und dabei das Schweben und Gleiten in Bauch- und Rückenlage üben, sondern sich auch im tieferen Wasser wohlfühlen. Hier sollten die Eltern ohne Schwimmhilfen mit ihrem Kind üben und ihm die Zeit geben, sich mit dem Tiefwasser vertraut zu machen, und ihm auch vermitteln, wie man richtig ins Wasser springt.  

Was ist dabei wichtig? 

Das Kind soll lernen, ins Wasser zu springen, nicht in die Arme der Bezugsperson. Darum steht der Elternteil neben dem Kind und nicht direkt davor. Solange das Kind Hilfe benötigt, sollen ihm eine oder beide Hände der Eltern beim Ins-Wasser-Springen zur Verfügung stehen. So lernt es auch, dass es nur ins Wasser springen darf, wenn niemand im Weg ist. In meinen Kursen vermittle ich Wissen immer spielerisch, aber zielgerichtet. Auf Gumpifrosch.ch habe ich Tipps und Übungen zum Thema Wassergewöhnung aufgeführt, die Eltern nutzen können, wenn sie ihre Kinder selbständig auf das Schwimmenlernen vorbereiten möchten. 

Das Kraulen ist für Kinder zu Beginn einfacher, als das Brustschwimmen.

Worauf kommt es noch an?

Das Kind sollte alles selbstbestimmt lernen. Es ist wichtig, dem Kind die nötige Hilfestellung zu leisten und es nicht zu Übungen zu überreden. Wasser ist ein Element, das reale Gefahren birgt. Daher sollten sich Kinder ohne Druck ans Wasser gewöhnen beziehungsweise schwimmen lernen dürfen. Ein Kind zu drängen, wäre sehr kontraproduktiv. Schwimmen lernt man nicht in 10-mal 30 Minuten, dies ist ein Prozess, der regelmässigen Wasserkontakt und viel Vertrauen ins Element voraussetzt.

Was macht man, wenn ein Kind besonders grosse Angst vor dem Wasser hat?

Diesen Kindern sollte besonders viel Zeit und die Möglichkeit zugestanden werden, das Element spielerisch und auf ihre Weise zu erkunden. Manche Erwachsene neigen dazu, die Kinder «zu ihrem Glück zu zwingen». Sie fangen sie beispielsweise nicht auf, wenn sie ins Becken springen, oder sie werfen den Nachwuchs einfach mal ins Wasser. Das ist der völlig falsche Ansatz.

In meinen Kursen baue ich die Übungen so auf, dass die Kinder Freude am Wasser haben und gar nicht merken, dass sie dabei ganz viel lernen. Spannend ist, zu beobachten, dass Kinder oft intuitiv die richtigen Bewegungen machen, wenn man sie lässt und sie zu nichts zwingt. 

Wie Frösche?

Eben nicht. Das Kraulen ist für Kinder einfacher, weil sie den Beinschlag oft schon selbst einbringen und die Bewegungen nicht in einem so komplexen Rhythmus koordinieren müssen wie beim Brustschwimmen. Ausserdem ist es auch ergonomisch sinnvoller. Der Kopf des Kindes ist im Verhältnis zum Körper noch zu gross. Das Kind erschöpft beim Brustschwimmen schneller. Ausserdem beugt sich der Rücken unnatürlich ins «hohle Kreuz».

Daher lehrt man seit mehr als 20 Jahren das Rückenschwimmen und Kraulen vor dem Brustschwimmen. Diese Schwimmarten sind für die Kinder einfacher zu erlernen und leichter auszuführen. So haben sie mehr Ausdauer und können eine weitere Distanz schwimmen. 

Die Fähigkeit, sich im Wasser zwischendurch ausruhen zu können, ist nicht zu unterschätzen.

In der Schweiz gilt das Ertrinken nach dem Unfalltod als häufigste Todesursache. Warum ertrinken so viele Kinder?

Eltern denken oft, dass es reicht, wenn kleine Kinder Schwimmflügel anhaben. Dann wiegen sie sich in Sicherheit und schauen nicht mehr genügend hin. Aber die Luft kann aus den Schwimmflügeln entweichen oder die Kinder können umfallen. Dann bleiben sie einfach mit dem Gesicht im Wasser liegen, kommen nicht mehr hoch und können innert 20 Sekunden im flachen Kinderbecken ertrinken. Sie gehören deshalb immer in Griffnähe.

Und was ist das Problem bei grösseren Kindern?

Dass sie sich falsch einschätzen. Insbesondere bei Teenagern kommen Mutproben, waghalsige Sprünge und Schwimmen unter Alkoholeinfluss dazu. Es ertrinken mehr Buben als Mädchen. Auch Eltern überschätzen die Schwimmfähigkeiten ihrer Kinder sehr oft. Sie denken, dass ihr Kind schwimmen kann, wenn es ein paar Züge Brustschwimmen am Stück hinkriegt. Dabei ist die Fähigkeit, sich zwischendurch ausruhen zu können, nicht zu unterschätzen. Ich übe in meinen Kursen beispielsweise das Ausruhen im Wasser, um dies in einer heiklen Situation anwenden zu können.

Wie machen Sie das?

In einer Übung beginnen die Kinder zum Beispiel, eine Länge zu schwimmen, und drehen sich bereits nach wenigen Zügen auf den Rücken, um eine kurze Zeit so zu verweilen. Damit nutzen wir den natürlichen Auftrieb des Wassers. Erst danach geht es weiter.

Das klingt jetzt nicht so schwierig.

Täuschen Sie sich nicht! Nicht nur Kinder überschätzen ihre Schwimmfähigkeiten gerne, sondern auch deren Eltern. Wenn ich die Eltern aber in meinen Kursen bitte, die Übungen mitzumachen, sieht es ganz anders aus. Immer wieder gehen Eltern beim Versuch, auf dem Wasser zu schweben, unter. Sie unterschätzen, welche Körperspannung es braucht, um auf dem Wasser flach liegen zu bleiben.

So finden Sie eine gute Schwimmschule für Ihr Kind

Informieren Sie sich auf der Website der Schwimmschulen, fragen Sie nach Erfahrungen in Ihrem Umfeld und suchen Sie den persönlichen Kontakt zu den Schwimmkursleitenden. Auf diese Punkte sollten Sie achten:

Sinnvolle Gruppengrösse

  • Eltern-Kind-Kurse (ElKi): 6 bis 12 Eltern-Kind-Paare, abhängig von der Badgrösse
  • Kidskurse: maximal 5 bis 8 Kinder (Nichtschwimmerinnen und -schwimmer) bzw. 8 bis 10 Kinder (Schwimmerinnen und Schwimmer) pro Kursleiter

Optimale Wassertemperatur

  • Kleinkinder: mindestens 30°C

Dauer der Lektion

  • Kleinkinder ab 3 Jahren mit Eltern: bis 40 Minuten
  • Kindergartenkinder ohne Eltern: 30 bis 40 Minuten
  • Schulkinder: 45 Minuten

Kursleitung

  • Welche Aus- und Weiterbildung haben die Kursleitenden?
  • Werden die Sicherheitsaus- und -weiterbildungen regelmässig absolviert?
  • Kann die Kursleitung auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen?
  • Ist die Kursleitung mit den Kindern im Wasser (bei Grundlagenkursen)?

Zuschauen

  • Es sollte immer erlaubt sein, bei einer Lektion zuzuschauen.

Quelle: Broschüre «Gumpifrosch gibt Infos rund ums Baby- und Kinderschwimmen»

Nun haben Kinder aber spätestens in der dritten Klasse Schwimmen als Schulfach. 

Was den Schwimmunterricht angeht, fehlt ein flächendeckendes Angebot. Mit dem Lehrplan 21 sollten zwar alle Kinder in der Primarschule Schwimmunterricht haben, aber für manche Schulen ist die Umsetzung sehr schwierig. Gerade für jene, bei denen es weit und breit kein Hallenbad gibt. 

Wie gut sind die Schwimmkenntnisse der Kinder, wenn sie in die Schule kommen?

Da haben wir die ganze Bandbreite.Je nach Wohnort, Bildungsstand und religiösen Überzeugungen der Eltern sind die Kinder entweder schon recht passable Schwimmer oder das Element Wasser ist ihnen noch fremd und sie haben vielleicht sogar Angst davor. In meinen Kursen sind hauptsächlich Kinder aus Familien, denen das Schwimmenlernen sehr wichtig ist und die sich einen Schwimmkurs leisten können.

Einige Anbieter von Schwimmkursen

  • gumpifrosch.ch
    Die Schwimmschule von Nadja Szabo Winter bietet Baby- und Kinderschwimmen in verschiedenen Altersstufen im Raum Glarus.
  • wassererleben.ch
    Die Schwimmschule «H20 Wasser erleben» unterrichtet nach der Methode Augsburger und ist die grösste Anbieterin von Baby- und Kinderschwimmkursen in der Schweiz.
  • zwergmaus.ch
    Die Schwimmschule bietet Baby- und Kinderschwimmkurse in Hallenbädern in der Zentralschweiz an.
  • swimsports.ch
    Als Verein und Verbandspartner prägt Swimsports seit 1941 das Schwimmenlernen in der ganzen Schweiz massgebend mit. Fast jeder kennt die bunten Schwimmabzeichen und erinnert sich mit Stolz an Seepferd, Krebs oder Frosch zurück. Swimsports bildet seit Jahrzehnten Fachlehrpersonen im Schwimmen und seit 2014 auch im Bereich Aqua-Fitness aus.

So ein Kurs ist natürlich auch eine finanzielle Belastung.

Das stimmt. Aber ich habe auch schon Fälle gehabt, bei denen das Sozialamt den Kurs übernommen hat, wenn es für die Familie schwierig war. Das Problem ist eher, dass Eltern Schwimmen als Plausch sehen, als nettes Hobby, und nicht als das, was es ist: überlebenswichtig in einem Land, in dem so viel gebadet wird wie in der Schweiz.

Evelin Hartmann
ist stellvertretende Chefredaktorin von Fritz+Fränzi. Sie wohnt mit ihrem Mann und den zwei Töchtern in Luzern.

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