Bin ich eine gute Mutter?
Unsere Kolumnistin Mirjam Oertli merkt, dass sie noch nie von sich gesagt hat, sie sei eine gute Mutter. Gefragt hat sie sich das indes schon oft – die Antwort ist stets dieselbe.
Der Satz fiel in einem Podcast, in den ich beim Joggen reingehört hatte. Sie könne heute meist ohne Scham sagen, dass sie sich für eine gute Mutter halte, bekundete da eine Frau. Wenig später wechselte ich zu Musik. Doch während nun Queen aus den Kopfhörern dröhnte, hallten die Worte nach wie auf einer zweiten Tonspur.
Habe ich mich selbst schon einmal als gute Mutter bezeichnet? «Ich bin eine gute Mutter», probierte ich es gedanklich aus. «Don’t stop me now» schallte es motivierend in meinen Ohren. Es wäre mir weniger abwegig vorgekommen, mich eine gute Sprinterin zu nennen – trotz bescheidenem Lauftempo. Nein, ich hatte mich selbst noch nie eine gute Mutter genannt. Mich gefragt, ob ich eine bin, allerdings schon. Noch häufiger gebe ich die Antwort, ohne zu fragen. Meistens lautet sie «nein».
Nie reissen sie ab, diese inneren Buhrufe für die eigene Eltern-Performance.
Ich hätte die Kinder früher wecken sollen … Heute wieder nichts Gesundes im Znüni … Vorhin war ich überhaupt nicht bei der Sache, als die Tochter etwas erzählte … Einmal mehr blieb das Gemüse stehen … War ich zu streng, als ich sagte, zehn Partygäste sind genug …? Zu lasch, als ich erst nach einer Stunde Minecraft den Stecker zog …? Draussen waren sie heute auch kaum … Und zeitig an die Hausaufgaben zu erinnern, habe ich ebenfalls vergessen!
Nie reissen sie ab, diese inneren Buhrufe für die eigene Eltern-Performance – ob wegen fehlender Frischluft-Exposition oder ungenügender Ufzgi-Begleitung. Immer ist da etwas, von dem ich denke, ich könnte, ja ich müsste es besser machen. Das Regelwerk dazu, ein Mix aus Spielplatzgesprächen, pädagogischem Halbwissen und einem Haufen Erwartungen, habe ich längst verinnerlicht. Und zack, nicht aufgepasst, schon reicht ein verschmähtes Broccoli-Röschen, damit ich auf dem imaginären Beurteilungsbogen ein Kreuzchen bei den Minuspunkten mache.
Kein Wunder, scheint es da unerhört, sich als gute Mutter zu fühlen. Erst recht, sich so zu nennen. Selbst «gut genug» wirkt ja schon beinahe revolutionär. Doch «gut» im Unterschied zu «gut genug»: Da fällt nur ein Wort weg und lässt dafür mehr Raum für Anerkennung. Wieso nur sollten redlich bemühte Mütter (und natürlich auch Väter) sich diese nicht gönnen, und sei es nur hin und wieder? Wir reden ja nicht von «perfekt». Nur von «gut». Und ist es denn nicht … gut, wenn man morgens trotz Hektik die Nerven bewahrt und mittags zwei Sorten Gemüse auftischt? Wenn die Medienzeit trotz allem nicht aus dem Ruder läuft und die Hausaufgaben nicht vergessen gehen?
Sich wohlwollender zu bewerten, braucht Übung. Doch bevor mich ein Broccoli in die Knie zwingt – so dachte ich nun und joggte schneller –, sollte ich mein Training vielleicht intensivieren. Und dabei die Vorstellung kippen, dass nur perfekte Mütter (und Eltern) sich jemals gut nennen dürfen. Diese Annahme ist es, die einen stoppt, bevor man überhaupt erwägen könnte, mal nicht mit sich zu hadern. Der Elternalltag wäre einfacher ohne sie, der Schritt zu «Ich bin eine gute Mutter» kleiner. Und vielleicht fiele es dann sogar leichter, eine zu sein, manchmal. Eine entspanntere allemal.