Schlafen, wenn die Teenager schlafen
Schlafmangel mit Kleinkindern, damit konnte Mirjam Oertli leben. Nun sind die Kinder unserer Kolumnistin im Teenageralter und sie ist müder denn je.
Als unsere erste Tochter neugeboren war, schlief ich viel. Tagsüber, nicht nachts. Doch muss die Verrechnung meines Tagschlafs mit den nächtlichen Wachstunden eine taugliche Bilanz ergeben haben. Denn so ein Wandeln wie im Wachtraum durch Tage voller Zeitlosigkeit erlebte ich zunächst weniger. Wenn mir etwas anfangs glückte, dann dieses «Schlafen, wenn das Baby schläft»-Ding.
Die überall prognostizierte Übermüdung? Nicht so schlimm, dachte ich ahnungslos. Bis nach wenigen Wochen der Schlafbedarf des Kindes rapide schrumpfte und der Alltag an die Tür klopfte. Jetzt lernte ich ihn kennen: den dauerhaft-latenten Schlafmangel, mit dem man fortan den Kampf um Vereinbarkeit zu gewinnen versucht.
An Wochenenden takte ich meine Schlafzyklen schon mal um den Nachtbusfahrplan herum.
Angekommen im Zustand solider Ermattung war ich geheilt vom Ziehen vorschneller Schlüsse. Wenn auch nicht von jenem, der Schlafmangel sei eine Phase. Natürlich werden Kinder grösser, ihre Rhythmen geordneter. Doch wie langfristig es um den eigenen Schlaf unstet bleiben würde: Damit hatte ich nicht gerechnet.
Heute ist die damals Neugeborene längst ein Teenager. Und ich könnte schlafen, wann ich will, theoretisch. Nur praktisch liegen zwischen Können und Machen jetzt meist mehrere Stunden. Gut, an Wochenenden takte ich meine Schlafzyklen schon mal um den Nachtbusfahrplan herum. Aber unter der Woche schaffe ich es zuverlässig ohne Zutun, zu wenig zu schlafen.
Die späte Ruh dem Schlafen opfern?
Nach Tagen mit vollen Wäschekörben und leeren Kühlschränken, mit ausgefallenen Physikstunden und Erwerbsarbeit ergiesst sich abends das Familienleben mit grösseren Kindern ja gern noch wie aus Kübeln über einen drüber. So sehr ich sie mag, diese satten Stunden, die sich anfühlen, als enthielten sie stets mehr Leben, als sie fassen können, so sehr schätze ich die späte Ruhe, wenn nur noch ein Nachtlicht den Gang erhellt und der Geschirrspüler leise rumpelt.
Sie dem Schlaf opfern? Schade. Also bleibe ich sitzen und scrolle müde in die Unendlichkeit. Ein Elend, so ein Handy, dachte ich. Bis die Kinder dieses 1000er-Puzzle («gratis abzugeben») anschleppten. Auf einmal sass ich gebeugt über Santorini und hangelte mich Puzzleteil um Puzzleteil tiefer in die Nacht hinein. Erst als das Gestrüpp im unteren Bildteil gegen ein Uhr fünfzehn komplett war, raffte ich mich auf ins Bett.
Ich bezahle mit Schlaf für die entspannte Gewissheit, ein bisschen Zeit so unbehelligt wie ziellos verplempern zu können.
Das Scrollen ist es nicht, sah ich ein. Das Puzzeln aber auch nicht. Eher bezahle ich mit Schlaf für die entspannte Gewissheit, ein bisschen Zeit so unbehelligt wie ziellos verplempern zu können. Ein Bedürfnis, das früher kleiner war – als es gelang, zu schlafen, wenn das Baby schlief. Heute, gewachsen mit den Jahren des Eingebundenseins, türmt es sich oft gewaltig vor mir auf. Nicht selten beschert es mir den Wachtraum-Wandel, den ich anfangs zu umschiffen schaffte.
An besonders zähen Morgen wundere ich mich dann: Warum nur rät kein Mensch je zum Schlafen, wenn die Teenager schlafen? Bei aller Liebe für späte Ruhe: Dies müsste zu schaffen sein. Sobald ich mit Santorini durch bin.