Endlich Lesen lernen
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Endlich Lesen lernen

Lesedauer: 4 Minuten

Mit dem Übertritt in die Primarschule stehen viele neue Kompetenzen auf dem Lehrplan. Eine von ihnen betrifft das Lesen. Was Eltern wissen sollten.

Text: Gina Domeniconi und Elisabeth Eggenberger
Bild: Adobe Stock

Kaum eine Fähigkeit ist so stark mit dem Schuleintritt verknüpft wie das Lesen. Und auch wenn die Schule zahlreiche weitere Kompetenzen vermittelt, ist das Lesen eine der zentralsten und wichtigsten. Wer lesen kann, kann sich Informationen beschaffen und erschliessen, kann sich an unbekannten Orten zurechtfinden, kann aktiv an der Gesellschaft teilnehmen.

Erst durch das Lesen ist der Weg geebnet für das Erlernen vieler anderer Dinge. Und nicht zuletzt: Wer lesen kann, vermag die riesige Welt der Geschichten in Büchern selbständig zu entdecken. Kein Wunder, sind mit dem Lesen auch viele Erwartungen von Kindern und Eltern verbunden – und vielleicht auch Ängste. Was kommt da auf uns zu? Was, wenn das Kind Mühe hat mit dieser grundlegenden Fähigkeit, wenn es keinen Spass daran hat, wenn es den Lesecode lange nicht knackt?

Lesenlernen ist ein langer Prozess

Zunächst einmal: Zwar kommt der Familie im Prozess des Lesenlernens eine wichtige Rolle zu, doch das Methodische dürfen Sie getrost der Schule überlassen. Schon im Kindergarten wurden diesbezüglich viele Vorgängerkompetenzen eingeübt, zum Beispiel das Erkennen von Schrift und Zahlen, das Lesen von Bildern und Symbolen, das Lernen von Reimen und weiteren Sprachspielen, die das Heraushören von Lauten fördern. In der Schule wird dies fortgesetzt. 

Die Neugier der Kinder aufs Lesenlernen kommt in der Regel ganz ­automatisch.

Dabei ist das Lesenlernen ein langer Prozess, der nicht in einigen Wochen abgeschlossen ist. So sieht der Lehrplan 21 vor, dass die Mädchen und Buben bis zum Ende der zweiten Klasse kurze Sätze lesen können. Und danach werden noch in vielen Schuljahren die Leseflüssigkeit und das Leseverständnis sowie das Lesen von Sach- und literarischen Texten geübt. Es ist also keine Eile geboten.

Die Spannbreite ist dabei naturgemäss gross: Manche Kinder interessieren sich schon früh für das Lesen und bringen es sich aus eigener Motivation selbst bei. Andere Kinder machen mit Beginn des Unterrichts schnell Fortschritte. Bei wieder anderen dauert es deutlich länger, bis der grosse Moment da ist und nicht nur einzelne Buchstaben entziffert, sondern diese auch zu Wörtern zusammengesetzt werden können. Druck wirkt hier nur kontraproduktiv. Machen Sie sich keine Sorgen: Wie bei so vielen anderen Entwicklungsaufgaben hilft es, darauf zu vertrauen, dass es manchmal einfach seine Zeit braucht.

Motivieren und Vorbild sein

Egal in welchem Tempo Ihr Kind unterwegs ist, Ihre wichtigste Aufgabe als familiäre Bezugsperson liegt darin, es bei der anstrengenden und herausfordernden Aufgabe des Lesenlernens zu unterstützen, indem Sie ihm motivierend zur Seite stehen. 

Doch wie macht man das? Indem Sie mit Ihrem Kind im Fami­lienalltag im Gespräch sind und Sprache mit Freude gebrauchen. Und zwar jene Sprache, die Ihnen selbst am nächsten liegt, auch wenn dies nicht die Schulsprache ist: Ihre Familiensprache.

Was für eine wunderbare Welt, die sich beim Lesen auftut, wenn Buchstaben zu Wörtern, Wörter zu Sätzen und diese zu Geschichten werden.

Verse, Reime und Lieder helfen dabei, kreativ mit Sprache zu spielen, aber auch Gespräche in der Familie erweitern den Wortschatz Ihres Kindes. Tauschen Sie sich mit Ihrem Kind darüber aus, was es interessiert, was es tagtäglich erlebt, aber auch, was Sie tun. So lernt Ihr Kind, wie Sprache in unterschiedlichen Situationen genutzt werden kann. 

Eltern dürfen darauf vertrauen: Die Neugier der Kinder aufs Lesenlernen kommt in der Regel ganz ­automatisch. Kinder sind dauernd umgeben von Schrift. Sie sehen Beschriftungen an Schildern und Geschäften, in Büchern und in den Medien.

Die Erwachsenen um das Kind herum bestärken diese Neugier, wenn sie selbst Lesevorbilder sind. Egal, ob Sie ein Rezept oder die Öffnungszeiten des Zoos googeln, in einer Zeitschrift blättern, eine Kurznachricht überfliegen oder in einem Roman schmökern: Sie zeigen Ihrem Kind damit, wozu Lesen in unserer Gesellschaft gut ist. 

Lesestoff finden und geniessen

Über alltägliche Situationen hinaus gibt es natürlich Möglichkeiten, das Interesse am Lesen mithilfe von Büchern zu fördern. Dank der Schul- oder Gemeindebibliotheken ist überall eine grosse Auswahl an Sachmedien, Hörbüchern und Büchern zum Selbst- und Vorlesen verfügbar. Dabei sollten Sie bei einem Bibliotheksbesuch nicht vorgeben, welches Medium ausgeliehen wird.

Ihr Kind darf sich ganz von seinen Interessen leiten lassen. Es gibt kein Richtig oder Falsch, kein Gut oder Schlecht: Was neugierig macht, darf ausgeliehen werden – so können sich Lesevorlieben entwickeln und der Zugang zum Lesen geschieht lustvoll und nicht erwachsenengesteuert.

8 Tipps, wie Sie Ihr Kind beim Lesenlernen unterstützen
  1. Eine reiche Alltagssprache ist ein wichtiger Grundstein fürs Lesenlernen. Sprechen Sie mit Ihrem Kind in der Sprache, in der Sie sich am sichersten fühlen.
  2. Lesen braucht Zeit und ist anstrengend. Wichtig ist, dass Ihr Kind dabei den Mut nicht verliert und für seine Fortschritte gelobt wird.
  3. Lesen Sie Ihrem Kind regelmässig vor. Sie halten damit seine Freude an Geschichten hoch.
  4. Kinder orientieren sich an Vorbildern. Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Lesen in Ihrem Alltag eine Rolle spielt.
  5. Geschichten zu Lieblingsfiguren und -themen fördern die Lesemotivation. Unterstützen Sie Ihr Kind beim Finden von geeigneten Büchern, Comics und Zeitschriften.
  6. Reden Sie mit Ihrem Kind über seinen Lesestoff. Der Austausch dazu macht Spass und motiviert Ihr Kind weiterzulesen.
  7. Auch wer digitale Medien nutzt, liest. Wählen Sie mit Ihrem Kind Anwendungen, die zum Lesen und Kreativsein einladen.
  8. Entdecken Sie mit Ihrem Kind die Bibliothek in Ihrer Nähe. Sie ist ein attraktiver Freizeitort und bietet viele Angebote für Kinder.

Auch wenn Ihr Kind die ersten Schritte im Lesenlernen gemacht hat, können Sie Entlastung bieten, etwa indem Sie sich beim Vorlesen abwechseln: erst Sie eine Seite, dann das Kind einen Satz. Sowieso ist Vorlesen in jedem Alter ein Geschenk. Wie schön, wenn das Anstrengende des Entzifferns für einmal wegfällt, das Kind und seine nächsten Bezugspersonen einen entspannten Moment erleben und ganz in eine Geschichte eintauchen dürfen.

Nebenbei entwickelt es so seinen Wortschatz und hört sprachliche Strukturen, die ihm wiederum beim Lesenlernen helfen. Genies­sen Sie das Vorlesen also weiterhin unbedingt und zeigen Sie dem Kind damit, dass das Selbst-lesen-Können kein Abschied vom vertrauten, geborgenen Zuhören ist, sondern eine Ergänzung dazu. 

Was für eine wunderbare Welt, die sich hier auftut, wenn die Symbole plötzlich Sinn ergeben, wenn Buchstaben zu Wörtern, Wörter zu Sätzen und diese zu Geschichten werden! Freuen Sie sich darauf, Ihr Kind bei den ersten Schritten in diese Welt zu begleiten.

Gina Domeniconi
ist Projektleiterin in der literalen Förderung am SIKJM.

Alle Artikel von Gina Domeniconi

Elisabeth Eggenberger
ist Redaktorin der Fachzeitschrift «Buch  &  Maus» am SIKJM.

Alle Artikel von Elisabeth Eggenberger

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