Was tun, wenn das Kind keine Bücher lesen will?
Auf diese und sieben weitere Fragen gibt das Kapitel «Lesen und Medien» des Dossiers «100 Fragen – 100 Antworten zum Thema Medien» Antwort.
Kommt das Bücherlesen heute zu kurz?
Keineswegs. Die Beliebtheit von fiktionalen und freiwillig gelesenen Büchern ist in den letzten zehn Jahren konstant geblieben und nicht zurückgegangen.
Daniel Süss
Wenn Kinder nicht lesen, liegt das daran, dass sie noch kein Buch gefunden haben, das sie wirklich interessiert.
Felix Hüppi
Gibt es gutes und schlechtes Lesen?
Grundsätzlich gibt es kein gutes oder schlechtes Lesen. Es gibt auch kein gutes oder schlechtes Schreiben. Kinder lesen eben heute andere Dinge. Wir sehen doch jeden Tag, wie viel sie mit dem Handy hin- und herschreiben. Die Grundkompetenz bleibt. Beim Lesen geht es darum, Buchstaben zu Worten zusammenzusetzen und dann den Sinn zu verstehen. Hauptsache, es wird angewendet.
Felix Hüppi, Direktor der Kornhausbibliotheken
Mein Sohn mag nicht lesen. Was kann ich tun, dass er gerne zu Büchern greift?
Es kommt auf den richtigen Zugang an. Wenn Kinder nicht lesen, liegt das daran, dass sie noch kein Buch gefunden haben, das sie wirklich interessiert. Jedes Kind hat schliesslich irgendein Thema, das es besonders interessiert, und wir helfen ihm dabei, über dieses Thema ins Lesen reinzukommen.
Das können aber für den Anfang auch Comics wie die «Lustigen Taschenbücher» oder Manga-Hefte sein. Zunächst mag man sich nur die Bilder ansehen, aber irgendwann möchte man doch wissen, worum es in der Geschichte geht.
Felix Hüppi
Was ist «Deep Reading»?
Im Unterschied zum linearen Lesen hat sich der Begriff «Deep Reading» für das literarische Lesen etabliert. Es meint das vertiefte Lesen im Unterschied zum eher oberflächlichen Lesen im Netz.
Christine Tresch
Was unterscheidet literarische Texte vom Netzlesen?
Literarische Texte verlangen von uns Zugewandtheit. Mit Geschichten kann man in andere Welten reisen, am Schicksal von Figuren teilhaben, die vielleicht Probleme haben, die man selbst auch hat. Auch die Funktion der Sprache ist in der Literatur eine andere als in Informationstexten. Mit ihr kann gespielt werden, sie hält Metaphern bereit und Leerstellen.
Im Internet zu lesen, heisst Surfen und Zappen und bringt schnelle Belohnung. Das ist eine ganz andere Lesehaltung
Christine Tresch
Viele junge Menschen können heute nicht mehr zwischen einem fiktiven «Ich» in einem literarischen Text und der Person des Autors oder der Autorin unterscheiden. Diese Unterscheidung ist aber wichtig, wenn es darum geht, Fiktion und Faktizität zu unterscheiden.
Es hilft uns auch, mit der Faktizität und mit Quellen anders umzugehen, wenn wir fiktionale Erzählweisen kennen. Im Unterschied zu literarischen Texten sind Netzlektüren oft kurz und multimedial. Im Internet zu lesen, heisst Surfen und Zappen und bringt schnelle Belohnung. Das ist eine ganz andere Lesehaltung.
Christine Tresch
Wie lange soll man Kindern vorlesen?
Solange sie Interesse haben, zuzuhören. Als vierfacher Vater und Kinder- und Jugendbuchautor weiss ich, dass man auch der 17-jährigen Tochter noch vorlesen kann, wenn sie das Thema interessiert.
Thomas Feibel
Sind Comics heute noch zeitgemäss?
Klar! Die Klassiker wie «Lucky Luke» oder «Asterix» gehen immer noch sehr gut. Aber es kommen ja auch Manga oder belgische Comics hinzu. Wenn Sie in französische Bibliotheken gehen, finden Sie dort riesige Abteilungen mit «Bandes dessinées», die auch mit vielen Graphic Novels bestückt sind. Das fasziniert nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene.
Felix Hüppi
Oft spielen die Kinder beim Hören eines Hörbuchs. Wie sehr lenkt sie das von der Geschichte ab?
Das ist überhaupt kein Problem. Kinder hören beim Spielen oft dasselbe Hörbuch mehrmals, so dass sie die Geschichte bald auswendig können und das genaue Zuhören auch nicht mehr so wichtig ist. Sie bekommen mit, wie Sätze in der Schriftsprache klingen, und erwerben unbewusst Fertigkeiten, die ihnen später in der Schule beim Lesen und Schreiben und Vortragen helfen.
Die geteilte Aufmerksamkeit zwischen analogem Spiel und Zuhören kann auch entspannen, was beim Spielen auf dem Tablet oder Handy kaum der Fall ist.
Christine Tresch