Essstörung: «Jede Mahlzeit wurde von Panikattacken begleitet»
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«Jede Mahlzeit wurde von Panikattacken begleitet»

Lesedauer: 2 Minuten

Paula, 16, lebt mit ihren Eltern Corina und Andreas und zwei Geschwistern im Kanton Zürich. Mit 14 erkrankte sie an einer Magersucht mit bulimischen Phasen. Der Weg aus der Essstörung gelang schliesslich mithilfe eines Elternnetzwerks, wie ihre Mutter erzählt.

Aufgezeichnet von Christine Amrhein
Bild: Adobe Stock

Es begann im November 2021, als Paula wegen einer Magen-Darm-Grippe vier Tage nichts essen konnte. Danach ass sie nicht mehr wie früher, die Portionen wurden immer kleiner. Vorher hatte sie ein eher hohes Gewicht gehabt und war mit ihrem Körper unzufrieden gewesen. Sie hatte zwar nicht unbedingt abnehmen wollen, aber nun gab es ihr ein gutes Gefühl, dass sie dünner wurde. Doch dadurch, dass sie weniger ass, bekam sie Heisshunger.

Wir waren ratlos, was wir machen sollten, bis wir auf die familienbasierte Therapie stiessen.

Wenn er zu gross wurde, ass Paula alles, was ihr in die Finger kam. Anschliessend erbrach sie es wieder. Aber sie hasste das Erbrechen und hörte nach drei Monaten damit auf. Nun ass sie gar nichts mehr, ernährte sich nur noch von Getreidemilch. Lange Zeit fiel der Gewichtsverlust nicht so stark auf. Paula hatte immer noch Normalgewicht. Aber sie hatte in sieben Monaten 30 Kilo abgenommen. Mit der Zeit spürte sie selbst, dass es so nicht weitergehen konnte und sie mehr essen musste – aber sie konnte es nicht.

Zunächst versuchten wir, die psychischen Ursachen zu finden, und Paula ging eine Zeitlang in eine Psychotherapie. Aber das half ihr nicht besonders. Sie zog sich immer mehr zurück, entwickelte Depressionen und seltsame Zwänge.

Paulas Mutter Corina war lange ratlos, wie sie ihrem Kind helfen soll. (Bild: zVg)

Die Eltern spielen in der Behandlung eine wichtige Rolle

Im September 2022 stellte eine Ärztin die Diagnose atypische Anorexie. Paula wurde geraten, zu einer Ernährungsberatung zu gehen und erst einmal zuzunehmen. Aber es ging einfach nicht. Zwei Monate waren wir ratlos, was wir machen sollten. Dann stiessen wir auf die familienbasierte Therapie (FBT). Hier spielen die Eltern in der Behandlung eine wichtige Rolle: Sie helfen ihrem Kind dabei, wieder regelmässige Mahlzeiten einzuhalten und normale Mengen zu essen.

Unsere Tochter hatte am Anfang Bedenken – aber sie war bereit, mitzumachen. Ich übernahm also das Kochen und wir sassen bei den Mahlzeiten gemeinsam am Tisch, bis Paula ihre Portion gegessen hatte. Am Anfang war das schwierig, jede Mahlzeit wurde von Panikattacken begleitet. Das war für mich und meinen Mann eine belastende Zeit. Aber wir haben immer Unterstützung vom Elternnetzwerk Magersucht und von einer erfahrenen FBT-Beraterin (von Magersuchteltern.ch) bekommen. Und mit jedem Kilo, das Paula zunahm, wurde die Situation entspannter.

Paula weiss, dass sie gefährdet ist, wieder in die Essstörung zurückzufallen.

Inzwischen hat sie etwa zwölf Kilogramm zugenommen, ist frei von Krankheitssymptomen und isst seit Frühjahr 2023 wieder nach ihren Bedürfnissen. Jetzt ist sie der gleiche offene Mensch wie vorher. Sie hat ihre sozialen Kontakte wieder aufgenommen und plant, Sozialpädagogik zu studieren. Allerdings weiss Paula, dass sie gefährdet ist, wieder in die Essstörung zurückzufallen. Deshalb achtet sie bewusst darauf, Rückfällen vorzubeugen.

Christine Amrhein
ist Psychologin. Sie lebt und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin in München.

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