Essstörung: «Irgendwann faszinierte mich Dünnsein»
Alisha Denk, 29, ist von klein auf ein sehr sportliches Kind, fühlt sich aber immer zu dick. Als Teenager entwickelt die heutige Heilerziehungspflegerin eine schwere Essstörung.
Schon als Kind hatte ich immer das Gefühl, nicht gesehen zu werden. Dass ich von meinen Eltern nur aufgrund von Leistung Zuneigung und Liebe bekomme. Wenn ich etwas gut gemacht habe wie eine gute Note, gab es Aufmerksamkeit und Liebe oder etwas Spezielles. Für mich war das aber nie ausreichend. Ich dachte, wenn ich nicht in allem noch perfekter bin, dann nehmen sie mich gar nicht mehr wahr. Davor hatte ich eine riesige Panik.
Es war wie ein Zwang, immer die Beste zu sein: in der Schule, beim Ballett oder allgemein als Tochter. Das war aber totaler Schwachsinn, weil es nie so wirklich funktioniert hat. Ich habe nie diese Zuneigung bekommen, die ich gebraucht hätte, nur minimal.
Bereits als Kind hatte ich untypisch muskulöse Beine vom Ballett und wurde oft darauf angesprochen. Für mich waren das aber keine Muskeln, für mich war das einfach «dick». Schön oder wohl gefühlt habe ich mich nie. Auch meine Mutter hatte nicht das gesündeste Essverhalten und irgendwann entwickelte ich eine völlige Faszination fürs Dünnsein. Ich achtete immer stärker darauf, möglichst wenig zu essen und mich viel zu bewegen.
Diagnose Essstörung
Schleichend kamen diese Gedanken in meinen Kopf: ‹Du musst immer alles unter Kontrolle haben! Immer gut aussehen! Immer perfekt sein! Morgen musst du noch weniger wiegen!› Aber ich hatte das Gefühl, nie genug getan zu haben. Deswegen konnte ich mir auch nie etwas gönnen, das hatte ich mir schliesslich nicht ‹verdient›.
Sobald ich ein Ziel erreicht hatte, habe ich mir schon das nächste gesetzt. Nicht für zwei Sekunden hatte ich ein Glücksgefühl, wenn ich auf der Waage stand und sie weniger anzeigte. Da blieb kein Platz, um durchzuatmen. Ich weiss gar nicht, was ich in dieser Zeit für ein Ziel hatte. Vielleicht, mich einfach irgendwann wohlzufühlen? Was gar nicht möglich war, weil ich selbst bei meinem geringsten Gewicht nicht zufrieden war, obwohl ich zeitweise nur noch 32 Kilo wog und die Situation so lebensbedrohlich war, dass ich stationär in eine Klinik musste.
Schleichend kamen diese Gedanken in meinen Kopf: Du musst gut aussehen. Du musst immer perfekt sein.
Das Wichtigste, das ich dann in der Psychotherapie gelernt habe, ist Selbstliebe. Wie kann ich gut zu mir sein? Ich versuche jetzt mit mir selbst so umzugehen, wie ich mir gewünscht hätte, dass man mit mir als Kind umgegangen wäre. Das heisst: gut auf meine Gefühle hören, sie ernst nehmen und sie mir nicht absprechen. Das erwarte ich heute auch von anderen. Ich gestehe mir ein, dass man Gefühle nicht immer nachvollziehen können muss. Sie haben eine Berechtigung, weil sie echt sind, weil sie meine sind.
Ich muss auch immer wieder üben, Grenzen zu setzen: Wenn mir etwas zu viel ist, mich stört, versuche ich es anzusprechen. Das ist etwas, das ich seit Jahren lerne und womit ich noch lange nicht am Ende bin.