«Ich wollte es später einmal besser machen»
Valentina Müller, 39, hatte eine schwere Kindheit. Heute lebt die Sekretärin mit ihrem Mann, ihrem Sohn und drei Katzen im Kanton St. Gallen. Sie musste lernen, ihren Anspruch auf Perfektion in der Erziehung aufzugeben.
Ich bin acht Jahre lang bei einer Pflegefamilie aufgewachsen. Als ich wieder zurück zu meiner Mutter und meinen Geschwistern kam, hatte ich dauernd das Gefühl, es niemandem recht machen zu können. Meine Mutter und ich passten einfach nicht zusammen! Ich war sehr sensibel und sie oft überfordert. Schon damals habe ich mir gesagt, dass ich es einmal besser machen würde. Dieser Satz bringt unglaublich viel Druck mit sich. Man möchte bei den eigenen Kindern alles perfekt gestalten und scheitert täglich an diesem Vorhaben.
Zwar liest man oft, Mütter müssten nicht perfekt sein. Die Gesellschaft vermittelt einem aber ständig das Gefühl, eine Übermutter sein zu müssen! Als mein Sohn geboren wurde, durfte ich wegen der Medikamente gegen meine Multiple Sklerose nicht stillen. Im Spital glaubte man mir das aber nicht und gab mir das Gefühl, etwas falsch zu machen.
Lange Zeit hatte ich einen Babyblues. Das klingt harmlos, ich war damals psychisch aber sehr angeschlagen. Die Hebamme meinte nur, das sei normal und ich als Mutter wisse schon, was das Beste für mein Kind sei. In diesem Moment wusste ich das nicht – und fühlte mich als totale Versagerin!
Diese Erfahrung hat mich noch sehr lange beschäftigt, darüber geredet wurde aber nicht. Ich war ganz allein mit dem nagenden Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein. Ich glaube, das hat den Druck, in der Erziehung alles perfekt machen zu wollen, so richtig entfacht.
Druck wegnehmen, eigene Fehler akzeptieren
Unser Sohn war von Anfang an sehr sensibel, später hat man bei ihm eine Spracherwerbsstörung, ADHS und Lernschwierigkeiten diagnostiziert. Hier spürte ich erneut einen enormen Druck. Mich haben nicht die Schwierigkeiten meines Kindes überfordert, sondern die ständige innere Stimme, mich richtig und fehlerfrei verhalten zu müssen. Wenn ich müde oder gereizt war, habe ich mich sofort extrem schlecht gefühlt. Ich musste mich eine Zeit lang intensiv mit mir und meiner eigenen Kindheit befassen, musste Abstand nehmen von Menschen, denen ich es nicht recht machen konnte, und meine eigenen Fehler akzeptieren.
Gerade in stressigen Situationen kommt das Verhalten wieder hervor, das man bei den eigenen Eltern erlebt und in der Kindheit so gehasst hat. Dazu kommt, dass ich selbst keinen Vater hatte und nie lernen konnte, wie sich jemand in dieser Rolle verhalten würde. Wenn man später selbst einen Partner und Kinder hat, fehlt einem diese Erfahrung. Zum Beispiel kritisiert man den anderen viel schneller, wenn er einem zu streng mit den Kindern erscheint.
Geholfen haben mir psychologische Sachbücher. Büchern habe ich mich schon immer verbunden gefühlt, darum war das für mich der richtige Weg, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Noch heute muss ich immer wieder akzeptieren, dass man dem eigenen Perfektionismus nicht allzu lange standhalten kann.