Leistungsdruck: «Du bist hier nicht gescheitert»
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Leistungsdruck: «Du bist hier nicht gescheitert»

Lesedauer: 2 Minuten

Yanek Schiavone ist Lehrer und Lerncoach an einer Schule, die Talente fördert, insbesondere im Fussball. Er weiss um den Druck, der auf Nachwuchssportlern lastet.

Aufgezeichnet von Stefanie Rietzler
Bild: Julia Forsman

Bei unseren Sportlerinnen und Sportlern spürt man den Leistungsdruck besonders deutlich, denn jedes Jahr werden sie einem Selektionsverfahren unterzogen. Bei vielen Sportlern stehen ja am Anfang Spass und Interesse im Vordergrund, dann kommen sie aber in immer bessere Mannschaften, wo sie viel stärker miteinander verglichen werden: Wer ist besser? Wer kann eine Liga aufsteigen? Wer muss auf die Ersatzbank?

Manche Jugendliche halten sogar ihre Verletzungen geheim und spielen trotzdem weiter, nur um keine Chance zu verpassen.

Yanek Schiavone, 36, arbeitet als Lehrer und Lerncoach an der Sekundarschule Bürglen. In diese öffentliche Schule ist die Thurgauer Sporttagesschule integriert, die Talente fördert, insbesondere im Fussball. Yanek Schiavone weiss um den Druck, der auf Nachwuchssportlern lastet. (Bild: zVg)

Ausserdem stehen sie privat unter Druck. Manche Eltern haben ja jahrelang alles gemacht, damit der Sohn oder die Tochter so weit kommt. Dann fallen Aussagen wie ‹Ich weiss doch, dass du Profi werden willst!›. Es kommt aber immer wieder vor, dass dies vor allem die Eltern möchten und das Kind ihre Träume leben muss.

Wie ein Schüler sich vom Druck befreien konnte

Ich hatte beispielsweise mal einen Schüler, der immer gut drauf war. Plötzlich kam er jeden Tag niedergeschlagen zur Schule und keiner wusste, was mit ihm los ist. Niemand kam an ihn heran. Irgendwann schrieb er nur noch schlechte Noten, gab manchmal sogar die Prüfungsblätter leer ab.

Wir haben dann herausgefunden, dass für ihn der Leistungsdruck viel zu hoch war und er gar nicht mehr Torhüter sein wollte. Er dachte sich: Wenn ich schlecht in der Schule bin, fliege ich aus dem Team und muss nicht mehr weitermachen. Es ist ja nicht einfach, sich als 12- beziehungsweise 13-Jähriger hinzustellen und zu sagen: ‹Hey, hört mal alle zu, ich will das gar nicht, das ist nicht mein Weg.›

Dieser Schüler hatte solche Angst, seinen Wunsch den Eltern mitzuteilen. Er schaffe das nicht alleine, sagte er. Ich habe dann über einen Monat lang mit ihm einen kleinen Vortrag für die Eltern vorbereitet und geübt. Am Anfang hat er viel geweint, weil diese Hürde für ihn so gross war, aber wir haben uns in kleinen Schritten vorgearbeitet, bis er sich bereit gefühlt hat.

Bei der Aussprache waren die Eltern anfangs schockiert. Aber sie haben die Entscheidung rasch akzeptiert und auch gesagt, sie hätten nie gedacht, dass ihr Sohn so unter Druck stünde.

Du hast gewonnen, weil du den richtigen Weg für dich gefunden hast.

Das sind die spannendsten Aspekte meiner Arbeit, diese Ventile zu öffnen und nach Lösungen zu suchen. Er durfte dann auch an unserer Schule bleiben und seine Wunschlehre machen. Fussball blieb sein Hobby und er konnte mit seinen Kollegen aus dem Fussballverein weiterspielen.

Uns Lehrpersonen war es wichtig, ihm das Gefühl zu geben: Du bist hier nicht gescheitert, sondern du hast gewonnen, weil du den richtigen Weg für dich gefunden hast.

Stefanie Rietzler
ist Psychologin und Autorin. Gemeinsam mit Fabian Grolimund leitet sie die Akademie für Lerncoaching, ein Beratungs- und Weiterbildungsinstitut. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Zürich.

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