Noch immer geht sie regelmässig zur Therapie im Kompetenzzentrum für Essstörungen. Doch heute dürfen wir sagen, dass Leas Essverhalten wieder normal ist. Das grenzt für mich an ein Wunder! Es gab eine Zeit, da haben wir nicht mehr daran geglaubt, dass sich Lea von ihrer Anorexie befreien kann – wir haben zeitweise mit ihrem Tod gerechnet. Das war für uns Eltern und ihre Schwester die reinste Hölle, all die Diskussionen, die Streitigkeiten rund ums Essen, um Kilos und Kalorien, all die Beschuldigungen, die Lügen.
Rückblickend habe ich das Gefühl, dass viele verschiedene Faktoren zu Leas Magersucht geführt haben. Sie fühlte sich in ihrer Klasse nicht integriert. Sie hatte keine richtige Freundin. Sie «hungerte» regelrecht nach Aufmerksamkeit, wollte doch auch zu den Schönen und Schlanken gehören, bei den Jungs gut ankommen. Ihr fehlte es vor allem in der Oberstufe an einem gesunden und guten Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Die Angst vor der Zukunft machte sich breit, all die Fragen rund um die Berufswahl. Sie verglich sich auch ständig mit ihrer Schwester, die nach aussen alles viel lockerer nimmt und nicht so introvertiert ist wie Lea.
Es gab eine Zeit, in der ich mich als Mutter schuldig fühlte und mir Vorwürfe machte, dass es zu dieser schlimmen Krankheit kam und sich meine Tochter sozusagen fast zu Tode hungerte. Insbesondere fühlte ich mich schuldig, weil es seine Zeit dauerte, bis ich es wahrhaben wollte, dass meine Tochter magersüchtig ist. Fachpersonen sind sich einig und Studien belegen: Je früher man eine Magersucht behandelt, desto grösser sind die Heilungschancen. Rückblickend ist es einfacher, gewisse Feststellungen zu machen: Heute würde ich früher mit meiner Tochter den Arzt aufsuchen und die Essstörung thematisieren. Ich würde mir auch früher Hilfe bei einer Fachstelle holen.