«Isoliert sich das Kind, sollten Eltern Hilfe holen»
Morena Diaz litt jahrelang unter Essstörungen. Im Interview redet die «Body Positivity»-Influencerin über die Beziehung zu ihrem Körper nach der Geburt, Mobbing an der Schule und wie Eltern reagieren sollten, wenn sich beim Kind alles nur noch ums Essen dreht.
Frau Diaz, Sie gelten als eine der einflussreichsten «Body Positivity»-Influencerinnen der Schweiz. Was bedeutet dieser Begriff für Sie?
Für mich geht es um Selbstliebe und Selbstakzeptanz. Ich will mich und meinen weiblichen Körper so lieben wie er ist und mich nicht für unrealistische Schönheitsideale verbeugen müssen. Ich bezeichne mich aber lieber als feministische Selflove-Influencerin. Auf meinem Weg habe ich gelernt, dass es sich bei Body Positivity um eine politische Bewegung handelt und ich aus dieser Perspektive weiterhin als sogenannt «normschön» gelte.
Sie sind vor neun Monaten Mutter geworden. Wie hat sich die Beziehung zu Ihrem Körper seither verändert?
Ich habe noch grösseren Respekt vor den Leistungen meines Körpers als davor. Das fing bereits in der Schwangerschaft an. Es ist unglaublich, wie stark der Körper sich da verändert. Es hat mich zeitweise auch überfordert. Ich durfte zum Glück eine unkomplizierte Schwangerschaft erleben und habe mich gerne im Spiegel betrachtet.
Warum sollte ich mich in alte Hosen zwängen, nur um schlanker auszusehen?
Und nach der Geburt?
Durch das Stillen packten mich richtige Heisshungerattacken und die Kilos purzelten nicht wie man es von manchen Frauen hört. Als ich auch nach Monaten noch nicht in meine alten Jeans passte, fragte ich mich: Warum sollte ich mich da reinzwängen, nur um schlanker auszusehen? Also kaufte ich mir eine neue ein paar Nummern grösser. Dieser Entscheid erleichterte mich sehr.
Bild: Rawpixel
Body Positivity, englisch für positive Einstellung zum Körper, fordert ursprünglich die Abschaffung unrealistischer Schönheitsideale und mehr soziale Gerechtigkeit. Zahlreiche Studien belegen: Wer nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht, also weiss, schlank und normschön, wird in Berufs- und Alltagsleben diskriminiert.
Dagegen wehrt sich die Bewegung aus den USA, die sich durch die sozialen Medien weltweit verbreitet hat. Auf Instagram finden sich unter dem Hashtag Body Positivity bereits über 10 Millionen Beiträge.
Wie ging es Ihnen mental?
Am Anfang war es wie auf einer Achterbahnfahrt. Ich war überglücklich und musste dann aus dem Nichts heraus heulen. Manchmal haderte ich mit mir selbst: Werde ich alles unter einen Hut bekommen? Dann sagte ich mir: Hey, es ist als frischgebackene Mutter voll okay unsicher zu sein und Zweifel zu haben.
Meine Tochter hat mich gelehrt, die Kritikerin in mir leiser werden zu lassen.
Sie schreiben auf Instagram, Sie seien durch Ihre Tochter Nerea sanfter zu sich selbst geworden. Können Sie das näher beschreiben?
Mit einem Baby geht man unglaublich liebevoll um. Hat Verständnis, tröstet und wiegt es. Redet ihm gut zu. Ganz anders als mit sich selbst. Meine Tochter hat mich gelehrt, die strenge Kritikerin in mir leiser werden zu lassen.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Wenn mir etwas nicht gelingt und ich mich dabei ertappe, wie ich mich innerlich massregle, frage ich mich nun: Würde ich so über meine Tochter denken und so harsche Worte für sie verwenden? Dann wird mir schnell klar: Niemals! Also versuche ich, mich ebenso liebevoll und verständnisvoll zu behandeln, wie ich es meiner Tochter gegenüber tue.
Body Positivity oder Selflove fängt also schon beim Baby an?
Unbedingt! Babies sollen sich rundum geliebt und wohl fühlen. Ich kuschle viel mit meiner Tochter und nehme mir Zeit für sie beim Bädelen, Eincrèmen oder Wickeln. Sie soll sich auch in ihrem Tempo entwickeln dürfen. Nerea brabbelt bereits munter vor sich hin, zeigt aber noch kein Interesse am Krabbeln. Beides ist gut so wie es ist.
Was möchten Sie Ihrer Tochter mit auf den Weg geben?
Nerea zeigt bereits jetzt einen willensstarken Charakter und wir merken sofort, wenn ihr etwas nicht passt. Ich hoffe, dass sie das beibehält und stets sich selbst bleiben darf.
Sie haben bis vor zwei Jahren als Primarlehrerin gearbeitet. Ab wann wird der eigene Körper und das Aussehen bei Kindern zum Thema?
Ich habe Erst- bis Drittklässler unterrichtet und da war es kein grosses Thema. Ich weiss aber von Lehrkolleginnen, dass es bereits im Kindergartenalter problematisch sein kann.
Sie hatten nie einen konkreten Fall in Ihren Klassen?
Doch, einmal hatte ich ein eher molliges Kind mit ADHS, das gemobbt wurde. Ich habe es dann mit der Klasse besprochen, doch der Schuss ging leider hinten raus.
Ein weiterer Artikel zum Thema Mobbing:
Was ist passiert?
Angefangen habe ich damit, dass es keine Normformen gibt, Menschen also ganz unterschiedlich aussehen und es nicht in Ordnung sei, andere aufgrund ihres Aussehens zu hänseln. Ich habe den Kindern erklärt, dass dick oder dünn lediglich beschreibend sein könne und nicht zwingend verletzend.
Und dann?
Sie haben dem Kind weiterhin «Du bist dick» zugerufen und dann eiskalt gemeint, das sei ja eben nicht verletzend. Kontext und Tonalität waren aber gezielt provokativ und verletzend.
Werden Selbstakzeptanz und eine gute Körperwahrnehmung als Schulstoff behandelt?
Es steht nicht im Lehrplan. Wenn es sich anerbot, habe ich das Thema aufgegriffen. Einmal bin ich auf einen Text gestossen, in dem ein Vater abnehmen wollte. Das Bild dazu zeigte ihn mit einer winzigen Essportion auf dem Teller. Die Kinder sagten dann Sätze wie: «Davon wird der Arme doch nicht satt» oder «Der Vater sieht traurig aus.» Sie haben rasch verstanden, dass eine rigorose Diät nicht gesund ist und es bei der Ernährung um viel mehr geht, als nur das Essen.
Worum geht es noch?
Darum, zu merken, wann wir satt sind, was uns wirklich nährt und nicht einfach aus Frust weiter essen. Eine Mahlzeit ist zudem ein sozialer Akt: Das gemeinsame Erlebnis, der Austausch und das Angenommen werden sind weitere wichtige Faktoren.
Sie litten jahrelang unter Essstörungen. Wann wird der Fokus auf den Körper bei einem Kind problematisch?
Wenn sich alles nur noch ums Aussehen dreht, die «richtige» Ernährung zum Dauerthema wird und das Kind sich dabei mehr und mehr isoliert, sollten Eltern unbedingt reagieren und auch nicht zögern, Hilfe zu holen.
Anlaufstationen, die Unterstützung bieten
Für Eltern
- Systematisches Training für Eltern und Pädagogen, (STEP-)Erziehungskurse: www.instep-online.ch
- Elternnotruf: www.elternnotruf.ch
- Mütter- und Väterberatung: www.sf-mvb.ch
- Pro Juventute Elternberatung: www.projuventute.ch/de/elternberatung
Für Kinder
- Telefonhilfe 147 von Pro Juventute für Kinder und Jugendliche: www.147.ch