Digitale Schulordnung: alle machen mit
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Digitale Schulordnung: alle machen mit

Lesedauer: 4 Minuten

Durch das Erstellen einer digitalen Schulordnung fördern Schülerinnen und Schüler ihre Medienkompetenz. Gleichzeitig gelingt es ihnen nachher besser, die Regeln einzuhalten – weil sie sie selbst aufgestellt haben.

Text: Thomas Feibel
Illustration: Petra Duvkova / Die Illustratoren

Nichts gegen die ­klassische Schulordnung. Die darin festgelegten Rechte und Pflichten sorgen für Klarheit und bilden die Grundlage für ein gutes Schulklima. Halten sich alle daran, kann der Unterrichtsalltag möglichst störungsfrei verlaufen. Das aber ist deutlich schwieriger geworden, seitdem Kinder ein eigenes Handy besitzen.

In vielen Schulen haben deshalb die Konfliktsituationen erheblich zugenommen: Vorfälle mit Cybermobbing oder heimlich gefilmte Lehrkräfte sind keine Seltenheit. Schulleitungen reagieren dann meistens mit harschen Verboten. Nur lösen Verbote keine Probleme. Vielmehr verhindern sie das gemeinsame Entwickeln von Lösungsansätzen.

Vor allem hemmen Handyverbote Schülerinnen und Schüler daran, ihre sozialen Kompetenzen weiterzuentwickeln und zu verbessern. Aus pädagogischer Sicht ist das eine vertane Chance. Zielführender wäre die Entwicklung eines von Schülern selbst erarbeiteten Regelwerkes, das dann allen Klassen als Orientierung dienen kann: die digitale Schulordnung.

Teenager stellen überraschend strenge Regeln auf, wenn man sie miteinbezieht und ihnen Verantwortung überträgt.

Meinen ersten Workshop zur digitalen Schulordnung führte ich mit einer Gruppe bestehend aus Lehrkräften, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern durch. Sie alle sollten aus ihrem jeweiligen Blickwinkel Wünsche und Bedürfnisse für einen guten Umgang mit dem Smartphone in der Schule formulieren.

Zu meiner Überraschung stellten ausgerechnet die Schülerinnen und Schüler die restriktivsten Forderungen auf. «Ich möchte mich morgens in Ruhe auf den Unterricht konzentrieren können und bin eigentlich ganz froh, wenn die ­Geräte ausgeschaltet in der Tasche bleiben», erklärte die 13-jährige ­Klassensprecherin der erstaunten Erwachsenenrunde. Am Nachmittag, schob sie lächelnd hinterher, werde sie noch genug mit dem ­Handy beschäftigt sein.

Mitsprache fördert die Einhaltung von Regeln

Schülerinnen sind folglich viel strenger, als wir Erwachsenen es ihnen zutrauen. Sie wünschen sich jedoch, dass die Schule bei diesem Thema nichts über ihre Köpfe hinweg entscheidet, sondern sie ernst nimmt und in die Verantwortung miteinbezieht. Denn ähnlich wie bei Erwachsenen besitzt das Smartphone in ihrem Alltag einen hohen Stellenwert. Auch ihnen dient es neben Entertainment zur Kommunikation und Organisation diverser Anliegen. Und sie halten sich eher an Vereinbarungen, an deren Erstellung sie aktiv beteiligt waren.

Die digitale Schulordnung ist jedoch weit mehr als ein Partizipationsprojekt. Die Entwicklung dieses Regelwerks bietet die wunderbare Gelegenheit, Medienkompetenz auf eine praktische Weise zu vermitteln. Dabei ist nicht die schulrelevante Technikkompetenz gemeint, in der sich alles um Word, Powerpoint oder die Bedienung von Suchmaschinen dreht, sondern die Förderung einer Medienkompetenz, die ihren Fokus deutlich auf den Kinderschutz legt.

Schüler begegnen in ihrem digitalen Alltag einer Reihe von sehr ernsthaften Herausforderungen: Neben dem bereits erwähnten Cybermobbing sind das unter anderem Cybergrooming, unangemessene Fotos und der Druck, der sowohl aus den sozialen Medien wie auch aus dem Gaming auf sie einwirkt. Ausserdem führt die unverhältnismässig lange Nutzungsdauer bekanntlich auch zu Konzentrationsmangel.

Das macht zwar Kindern und Jugendlichen schwer zu schaffen, sie äussern sich jedoch nur sehr selten dazu, weil das Smartphone ohnehin ein Reizthema zu Hause ist und solche Bekenntnisse stärkere Reglementierungen nach sich ziehen würden. Die digitale Schulordnung kann hierbei das Bewusstsein für die Eigenverantwortung schärfen und hilfreiche Lösungsansätze liefern, damit die jungen Menschen in schwierigen Situationen in der Onlinewelt kompetent und angstfrei reagieren – inner- und ausserhalb der Schule.

Digitale Schulordnung erfolgreich umsetzen

Wann soll das Projekt stattfinden?

Im Schulalltag ist das eher schwierig. Für die Erstellung einer digitalen Schulordnung sind Projekttage oder Projektwochen besser geeignet.

Wo greift die digitale Schulordnung?

• Unterricht, Pausen

• Pausenplatz, WC

• Schulausflüge, Klassenreisen

• Klassenchat

• Kommunikation mit der Schule

Welche Schwerpunkte sollen Arbeitsgruppen haben?

• Gebote und Regeln zu Datenschutz

• Sicherheit

• Internetnutzung, Suchmaschinen, KI

• Rechte

Welche Technik wird benötigt?

• Smartphone, Tablets, PC

• Drucker, Scanner

• Beamer

• Apps (Bildbearbeitung, Videoschnitt)

Geräte nicht verteufeln, sondern ­einbinden

Zur Wahrheit gehört allerdings auch dazu, dass sich Schülerinnen zu Beginn nie sonderlich begeistert zeigen, wenn sie eine eigene Schulordnung entwickeln sollen. Es ist eher eine grosse Zurückhaltung spürbar. Sie hegen den vielleicht nicht ganz unberechtigten Verdacht, dass sich am Ende doch wieder die Erwachsenen als Stärkere mit ihren Vorschriften durchsetzen. Doch die Lehrperson soll den Prozess nur steuern und begleiten. Ausserdem befürchten die Schülerinnen und Schüler, sich mit ihren eigenen Regeln selbst zu schaden und ein Eigentor einzuhandeln.

Ein kleiner Kniff nimmt ihnen diese Sorgen: Findet der Workshop in einer 6. Klasse statt, sollen sie die Regeln für Kinder der 4. Klasse festlegen. Der Vorschlag sorgt unter den Schülern für Erleichterung und weckt darüber hinaus Beschützerinstinkte.

Werden Smartphones und Tablets ins Projekt integriert, werden die Geräte nicht stigmatisiert, sondern finden ihren Einsatz als nützliche Werkzeuge.

Richtig motivierend wirkt sich jedoch der zentralste Punkt des Workshops aus: Um ihre auf Papier erstellten Resultate ansprechend zu gestalten, dürfen die Schülerinnen später Smartphones und Tablets auspacken. Die Geräte werden also nicht stigmatisiert, sondern finden jetzt ihren Einsatz als nützliche Werkzeuge. Damit erschaffen sie beeindruckende Plakate, Memes, Postkarten, Lesezeichen, Fotoromane und Filme, die die einzelnen Schwerpunkte der jeweiligen Problematik packend und pointiert darstellen. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Wenn es um Fotos geht, lernen Schüler an dieser Stelle auch, was zum Beispiel rechtlich mit eigenen und fremden Bildern erlaubt ist und was nicht. Und sie eignen sich weitere Fähigkeiten an und helfen sich gegenseitig dabei, wenn sie Fotos bearbeiten, Filme schneiden, Überblendungen anfertigen und die ­Szene mit rechtfreier oder eigener Musik unterlegen.

Nutzen überprüfen, Korrekturen ­vornehmen

Zum Schluss präsentieren und diskutieren sie ihre Ergebnisse und bessern gegebenenfalls noch mal nach. Die erschaffenen Materialien eignen sich später für eine Ausstellung in der Schule. Vier Wochen später sollte der Nutzen der digitalen Schulordnung noch einmal auf seine Praxistauglichkeit überprüft werden. Gegebenenfalls sind Korrekturen vorzunehmen.

Dass die Geräte und Apps aktiv zum Zuge kommen, heben die Schülerinnen beim abschliessenden Feedbackgespräch besonders lobend hervor. Die Stimmung ist gut und alle sind auf ihre Ergebnisse, die sich wirklich sehen lassen, sehr stolz. Darum finden sie es nun selbst zu schade, wenn nur – wie ursprünglich geplant – die Viertklässler davon profitieren würden. Bereitwillig wollen sie ihre Arbeit auch anderen Klassenstufen zur Verfügung stellen. Und sie haben jetzt sogar kein Problem mehr damit, wenn ihre digitale Schulordnung in der eigenen Klasse Anwendung findet.

Thomas Feibel
ist einer der führenden ­Journalisten zum Thema «Kinder und neue Medien» im deutschsprachigen Raum. Der Medienexperte leitet das Büro für Kindermedien in Berlin, hält Lesungen und Vorträge, veranstaltet Workshops und Seminare. Zuletzt erschien sein Elternratgeber «Jetzt pack doch mal das Handy weg» im Ullstein-Verlag. Feibel ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Alle Artikel von Thomas Feibel

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