Intrinsische Motivation: Der Antrieb, der von Innen kommt
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Der Antrieb, der von innen kommt

Lesedauer: 4 Minuten

Eigenmotivation ist der Schlüssel beim Lernen. Wie aber entsteht intrinsische Motivation? Und wie können Eltern und Lehrpersonen sie bei Kindern und Lernenden fördern?

Text: Fabian Grolimund
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Dass sich die extrinsische Motivation zum Beispiel durch Lob, Belohnungen und Wettkämpfe aktivieren lässt, ist den meisten Menschen bewusst. Dagegen scheint die intrinsische Motivation etwas Geheimnisvolles und Ungreifbares zu sein, das primär der Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen entspringt.

Diese interessieren sich offenbar schlicht mehr oder weniger für ein Fach oder ein Hobby – ganz unabhängig von der Lehrkraft oder den Eltern. Diese Ansicht stimmt aber nur zum Teil. Ob intrinsische Motivation entsteht, hängt wesentlich von äusseren Bedingungen ab, auf die wir als Erwachsene Einfluss nehmen können. 

Wenn eine Tätigkeit viele ­positive Empfindungen in uns auslöst, ­entwickeln wir fast automatisch Interesse daran.

Die amerikanischen Psychologen Richard Ryan und Edward Deci gehen davon aus, dass wir umso stärker intrinsisch motiviert sind, je mehr durch eine Tätigkeit drei wichtige Grundbedürfnisse befriedigt werden: Kompetenz, soziale Eingebundenheit und Autonomie.

1. Kompetenz

Wenn wir uns kompetent fühlen, unseren Aufgaben gewachsen sind, ist das mit vielen angenehmen Empfindungen verbunden: Wir freuen uns über unsere Erfolge und Fortschritte, fühlen uns ruhig und sicher, fordern uns aktiv heraus, erleben dabei Flow und entwickeln fast automatisch Interesse an der Tätigkeit, die uns so viel Positives ermöglicht. Wir sehen auf bereits Erreichtes und Gelerntes zurück und wissen «Ich kann etwas» oder blicken zuversichtlich nach vorne mit der Erwartung, dass wir uns weiter verbessern und immer grössere Hürden meistern können.

Als Eltern und Lehrkräfte können wir uns häufiger Zeit nehmen, um dieses Zurückblicken und Nachvorneschauen zu üben. Viele Kinder und Jugendliche sind sich gar nicht bewusst, wie viel sie bereits können, wie weit sie schon gekommen sind. Vielleicht erstellen wir eine Liste mit allem, was unser Kind in seinem Leben bereits gelernt hat? Oder wir sprechen darüber, welche Hindernisse es bisher gemeistert hat? Was war früher schwierig und geht ihm heute ganz leicht von der Hand? 

Wie viel besser könnten Aufsätze, Zeichnungen oder Vorträge werden, wenn erst der zweite oder dritte Versuch zählen würde?

Vielleicht sehen wir uns eine alte Videoaufnahme an, auf der das Kind vor einem Jahr mit seinem Fahrrad oder den Inline-Skates gefahren ist, und staunen mit ihm darüber, wie viel besser ihm das heute gelingt.  Vielleicht geben wir dem Kind aber auch Feedback und zeigen ihm durch konkrete Rückmeldungen, was es tun kann, um sich zu verbessern. So wie im sehenswerten kurzen Film «Austin’s Butterfly», den Sie auf Youtube finden und der eindrücklich zeigt, was möglich ist, wenn wir uns auf konstruktive Kritik einlassen. 

Austin’s Butterfly

Darin erzählt der Lehrer Ron Berger einer Gruppe von Kindern, dass der sechsjährige Austin in der Schule den Auftrag erhält, wie ein Wissenschaftler einen Schmetterling möglichst detailliert abzuzeichnen. Das Resultat? Eine typische Kinderzeichnung, wie wir sie von einem Sechsjährigen erwarten.

Anstelle einer Note oder einer Bewertung durch die Lehrkraft erhält Austin aber von seinen Klassenkameraden ganz konkrete Hinweise, was er verbessern könnte: «Der Flügel ist hier oben gerade – mehr wie ein Dreieck.» Austin schaut sich den Schmetterling genauer an und beginnt von vorne.

Der zweite Versuch erstaunt uns als Zuschauerinnen und Zuschauer – der Schmetterling wirkt nun eher so, als hätte ihn ein Zwölfjähriger gezeichnet. Auch seinen Klassenkameraden fallen die Verbesserungen auf – sowie einige Details, die er zusätzlich beachten könnte. Austin ist bereit, es nochmals zu versuchen – und nochmals. Sein sechster und letzter Versuch sieht aus, als wäre ein überdurchschnittlich begabter Erwachsener am Werk gewesen. 

Gezielt mehr Autonomie, etwa bei den Hausaufgaben, fördert die Motivation.

Wir haben als Eltern und Lehrkräfte gelernt, dass wir Kindern Anerkennung schenken und sie loben sollen. Wir können ihnen aber auch die Chance geben, am eigenen Leib zu erfahren, dass sie dazulernen und echte Fortschritte machen können.

Dazu müssten wir Kindern und Jugendlichen viel häufiger die Möglichkeit geben, etwas nochmals zu versuchen, anstatt den ersten Versuch zu bewerten oder zu benoten. Wie viel besser könnten Aufsätze, Zeichnungen oder Vorträge werden, wenn erst der zweite oder dritte Versuch zählt, nachdem Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit hatten, sich durch hilfreiche Rückmeldungen zu verbessern? 

2. Soziale Eingebundenheit

Eine Klasse kann vieles sein: eine lose Gruppe von Menschen; ein Ort, wo man miteinander konkurrieren, sich durchsetzen, anpassen oder cool wirken muss; eine Ansammlung von Cliquen, die sich gegenseitig oder der Lehrkraft das Leben schwer machen; oder ein Team von jungen Menschen, die sich gegenseitig unterstützen und voranbringen. 

Letzteres ist so wertvoll für Kinder und Lehrkräfte, dass es sich lohnt, ganz bewusst in diese Entwicklung zu investieren. Die wichtigste Erfahrung, die Kinder dabei machen können, ist, dass sie als Klasse eine Gemeinschaft bilden, in der sie sich aufgehoben fühlen und die es allen erlaubt, gemeinsam mehr zu erreichen als allein.

Dazu eignen sich kooperative Lernformen, bei denen sich Kinder Inhalte gegenseitig erklären oder einander abfragen, grössere Projekte, die nur gelingen können, wenn die gesamte Klasse zusammenarbeitet, und eine Führung durch die Lehrkraft, die nicht die Einzelleistung in den Vordergrund stellt, sondern den Fokus auf gegenseitige Unterstützung legt. 

3. Autonomie

Das dritte Grundbedürfnis, das laut Deci und Ryan die intrinsische Motivation fördert, ist die Autonomie. Sie steht in einem scheinbaren Widerspruch zur sozialen Eingebundenheit. Aber im Kern geht es um die Erfahrung, dass wir in einer Gruppe von Menschen, die uns vertraut und auf die wir zählen können, eigene Wege gehen und eigene Entscheidungen treffen dürfen. 

In den vergangenen Jahren haben uns verschiedenste Lehrkräfte immer wieder davon berichtet, dass sich die Motivation ihrer Schülerinnen und Schüler verbessern liess, indem sie gezielt mehr Autonomie ermöglicht haben – beispielsweise durch einen Hausaufgabenkiosk.

Anstatt alle Kinder dasselbe Blatt lösen zu lassen, können die Kinder selbst bestimmen, welche und teilweise sogar ob und wie viel Hausaufgaben sie erledigen möchten. Dabei werden sie von der Lehrperson beraten, welche Aufträge ihnen weshalb am meisten nützen würden.

So kann sich ein Kind beispielsweise entscheiden, während eines Monats jeden Tag 15 Minuten zu lesen, während ein anderes mit Kärtchen zu Hause das Einmaleins übt und ein drittes die Gross-Klein-Schreibung trainiert. Die Motivation steigt dabei nicht nur durch die Wahlfreiheit, sondern auch durch die Erfahrung, dass die selbst ausgewählten Hausaufgaben sinnvoller und besser auf das jeweilige Kind abgestimmt sind.

Fabian Grolimund
ist Psychologe und Buchautor. Gemeinsam mit ­Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Fribourg.

Alle Artikel von Fabian Grolimund

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