Geschwister – Die längste Beziehung des Lebens

Bilder: Catherine Falls, Charo Diez
Serie: Wie Familie gelingt – Teil 5
Geschwister bleiben ein Leben lang miteinander verbunden. Auch, wenn sie nicht gut miteinander auskommen. Wie Eltern die Beziehung ihrer Kinder stärken können.
Geschwister können einem ein Gefühl der Zusammengehörigkeit geben, sie sind Spiel- aber auch Streitkameraden. Auch wenn Geschwister untereinander Schwierigkeiten haben: Nach Aussen stehen sie trotzdem füreinander ein.

Die Familie ist ein System aus Menschen mit besonderen Rollen, Normen und Anforderungen. In ihr suchen wir Liebe und Abgrenzung, Nähe und Distanz, sie gibt und nimmt Kraft. Wie beeinflusst das Familienleben die Entwicklung ihrer Mitglieder? Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen prägen das Familienleben und wie bestimmen institutionelle Strukturen das Leben in Familien mit? Diesen Fragen gehen wir in einer zehnteiligen Serie nach. Die Texte entstanden in Zusammenarbeit mit dem Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Fribourg unter der Leitung von Dr. Gisela Kilde und Dr. Annette Cina.
Prägende Beziehung mit Spielraum
In diesen alltäglichen Auseinandersetzungen können Geschwister viel voneinander lernen: klar zu kommunizieren, zu verhandeln und Konflikte zu lösen. Sie üben im Umgang miteinander das Wechselspiel zwischen Nachgeben und Sich-Durchsetzen. Sie lernen auch, dass man sich mögen kann, auch wenn das Geschwister anderer Meinung ist, andere Vorlieben und Eigenschaften hat. Und dass diese Beziehungen trotzdem stabil bleiben.
Geschwister sind ein Resilienzfaktor.
Schwierige Geschwisterbeziehungen können aber auch Schaden an der Seele anrichten. Artet der Geschwisterstreit permanent und über einen längeren Zeitraum hinweg aus, kann das ernste gesundheitliche Folgen haben. Regelmässig von den Geschwistern geplagt zu werden, zu erleben, dass man ignoriert wird, dass Lügen erzählt, hässliche Dinge über einen gesagt werden, dass man nicht geschützt wurde, führt zu einem erhöhten Risiko, an psychischen Auffälligkeiten zu leiden, etwa an Depressionen, Angststörungen oder selbstverletzendem Verhalten. Es lohnt sich daher für Eltern, dieser ganz speziellen Beziehungskonstellation Sorge zu tragen und sie zu fördern.
Positionskämpfe in der Familie?
Wenn die Persönlichkeiten der Kinder sehr unterschiedlich sind, ist Streit auch ein Ausdruck davon, dass die Kinder noch lernen müssen, mit der Art des anderen umzugehen.
Nicht selten geht es bei Streitigkeiten zwischen Kindern um die Position in der Familie und um Rivalität, Rechthaben und Gerechtigkeit. Dahinter liegt das Grundbedürfnis, wahrgenommen, geliebt und anerkannt zu werden, seinen Platz zu haben und in Sicherheit zu sein. Jeder Mensch, ob gross oder klein, möchte gesehen und wahrgenommen werden. Ein Geschwister kann diesen Platz unter Umständen in der Wahrnehmung des Kindes gefährden.
Probleme können auch entstehen, wenn die Eltern dem Kind nur Aufmerksamkeit schenken, wenn es laut, störend und aggressiv ist. Es besteht die Gefahr, dass das Kind lernt, dass es einfach laut sein und quengeln muss, um wahrgenommen zu werden. Die folgenden vier Tipps können helfen, die Geschwisterbeziehung zu stärken …
Diese 4 Tipps helfen Eltern, die Geschwisterbeziehung zu stärken
1. Tipp: Gerechtigkeit ausüben
Wenn den Kindern erklärt wird, warum man mit einem Kind vielleicht in gewissen Situationen anders umgeht als mit dem anderen, können dies Kinder meist gut verstehen. Wird eines der Kinder generell bevorzugt, ist Eifersucht bei dem Geschwisterkind zwangsläufig und verständlich.
2. Tipp: Den Grund für Streit verstehen
Vielleicht aber fehlen den Kindern in der Tat Strategien, wie sie miteinander auskommen und einen Weg finden können. Streit ist ein Ausdruck von Unwohlsein, von etwas ändern wollen und nicht wissen, wie. Mitunter sind Kinder in Konfliktsituationen regelrecht verzweifelt und überfordert. Hier brauchen die Kinder die Unterstützung der Erwachsenen.

3. Tipp: Was braucht das Kind?
Bei älteren Kindern, die sich immer wieder in die Haare kriegen, sollte jedes Kind die Gelegenheit erhalten, zu sagen, wie es ihm geht und was ihm helfen würde, friedlich mit dem anderen weiterzuspielen. Statt frühzeitig den Schiedsrichter zu spielen und zum Zentrum des Streits zu werden, sollten Eltern die Gelegenheit nutzen, um den Kindern zu vermitteln, wie sie den Streit gemeinsam beenden können. Wenn verstanden wird, warum der andere wütend wurde und was dieser eigentlich möchte, können Kompromisse gefunden werden – insofern die Bedürfnisse beider Parteien Platz haben.
Jeder sollte daher die Möglichkeit erhalten, zu sagen, wie er sich fühlt. Was ist passiert? Was hat das mit dir gemacht? Und was können wir jetzt tun, um friedlich weiterzumachen? Unterstützung ist dort notwendig, wo die Kinder selber nicht weiter kommen.
4. Tipp: Grenzen setzen
Aber auch diese Verhaltensweisen machen eigentlich deutlich, dass die Kinder nicht wissen, wie sie auf eine andere Art und Weise zu dem kommen können, was sie brauchen und möchten. Was wiederum bedeutet, dass sie lernen und hierbei unterstützt werden müssen, wie sie Streit mit anderen Mitteln als mit Gewalt und Abwertung regeln können.
Manchmal reicht schon etwas Verständnis, um die Situation zu entspannen.
Wenn Kinder es schaffen, mit einander auszukommen und trotz all der Unterschiede eine tiefe Geschwisterbeziehung aufzubauen, werden sie soziale Kompetenzen erlernen, die ihnen auch im späteren Leben hilfreich sein werden. Und sie werden ihr Leben lang diese besondere Beziehung zwischen Geschwistern erleben können: das Gefühl von Zusammengehörigkeit, nicht alleine zu sein und jemanden an seiner Seite zu wissen, wenn es drauf ankommt.
Das Wichtigste über Geschwisterbeziehungen
- Geschwisterbeziehungen sind ganz besondere Beziehungen, die lebenslang bestehen bleiben und uns prägen.
- Eltern haben einen Einfluss darauf,wie sich die Beziehung zwischen den Kindern entwickelt.
- Jedes Kind hat seinen Platz in der Familie und soll sich entfalten dürfen.
- Häufiger Streit ist ein Ausdruck von Not.
- Um Konflikte auflösen zu können, muss verstanden werden, was die Bedürfnisse der Kinder sind, was ihnen schwer fällt und wo sie Unterstützung brauchen.
Zur Autorin:
Die Serie in der Übersicht:
TEIL 1 Beziehung Eltern – Kind
TEIL 2 Eltern sein – Paar bleiben
TEIL 3 Vater, Mutter, Eltern sein
TEIL 4 Sorgerecht der Eltern
TEIL 5 Geschwister – die längste Beziehung des Lebens
TEIL 6 Adoption
TEIL 7 Staat und Familie
TEIL 8 Familienmodelle
TEIL 9 Wurzeln und Flügel
TEIL 10 Kontaktrecht