Neue Familienmodelle: Und wie geht es den Kindern?

Bilder: Catherine Falls / Getty Images und Julia Forsman
Serie: Wie Familie gelingt – Teil 8
Heute wachsen Kinder in einer Vielzahl an Familienformen auf: Patchworkfamilien, Einelternfamilien, gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern, Pflegefamilien und Adoptivfamilien. Worauf kommt es an, damit Kinder sich in ihren Familien gut entwickeln können?
Dabei waren die Formen des Zusammenlebens schon immer sehr vielfältig und das vermeintlich stabile Bild der Familie schon früher von anderen Familienformen durchdrungen. Oft geht auch vergessen, dass die «traditionelle» Familie in der Menschheitsgeschichte ein relativ neues Modell darstellt, das sich als Norm erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts etablieren konnte. Man sollte sich bewusst sein: Als normal wird jeweils definiert, was die Mehrzahl der Menschen in einer Gesellschaft tut oder lässt. Normal ist daher relativ und veränderlich. Ein Familienmodell ist eine Beschreibung der Zusammensetzung einer Familie und deren gemeinsamen Lebens. Es sagt jedoch wenig über die Qualität des gelebten Zusammenseins aus.
Wer zur Familie gehört, ist subjektiv
Untereinander besteht ein besonderes Gefühl von Nähe und Intimität. In der Regel leben die Mitglieder miteinander, teilen Erlebnisse, erleben Gemeinsamkeit und spüren ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Damit ist eine Familie in der Regel auf Dauer und Beständigkeit ausgelegt. Das subjektive Erleben der Mitglieder ist das wesentliche Kriterium der Familie.
Im psychologischen Sinne lässt das Konstrukt Familie daher verschiedene Formen nebeneinander stehen: Wer einer Familie zugehört, definieren die einzelnen Familienmitglieder selbst. Familie ist damit unabhängig von Blutsverwandtschaft, Trauschein oder auch – in manchen Fällen – dem Führen eines gemeinsamen Haushalts.

Die Familie ist ein System aus Menschen mit besonderen Rollen, Normen und Anforderungen. In ihr suchen wir Liebe und Abgrenzung, Nähe und Distanz, sie gibt und nimmt Kraft. Wie beeinflusst das Familienleben die Entwicklung ihrer Mitglieder? Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen prägen das Familienleben und wie bestimmen institutionelle Strukturen das Leben in Familien mit? Diesen Fragen gehen wir in einer zehnteiligen Serie nach. Die Texte entstanden in Zusammenarbeit mit dem Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Fribourg unter der Leitung von Dr. Gisela Kilde und Dr. Annette Cina.
Eltern sein in einer alternativen Familienform
Kinder benötigen positive, unterstützende, liebevolle und stabile Beziehungen zu Erwachsenen.
Wie entsteht eine Familie?
Wenn jemand aus der Familie austritt oder jemand Neues in eine Familie tritt, ist dies nicht immer einfach. Neue Partner sind von den Eltern gewählt, nicht von den Kindern. Diese nehmen sie nicht selten als Bedrohung wahr: Nimmt mir die neue Person meine Mama oder meinen Papa weg? Bin ich meiner Mama und meinem Papa noch wichtig? Dies sind normale Fragen, da Veränderungen in Familiengefügen immer auch Unsicherheiten mit sich bringen. Das Entwickeln des Gefühls von Sicherheit braucht Zeit und Geduld. Sicherheit gewinnen wir nur durch Erfahrungen: Sind diese positiv und stabil, kann Vertrauen entstehen. Die alltäglichen Erfahrungen zeigen Kindern, wer für sie Verantwortung übernimmt, für sie da ist, wer sie unterstützt und respektiert.
Kinder möchten, dass sich die Erwachsenen, die sie lieben, verstehen. Nichts ist für Kinder so stark verunsichernd wie Eltern, die zum Beispiel ständig miteinander in Konflikt geraten. Eltern, die nicht miteinander reden, oder Eltern, die einander nicht mehr zuhören und verstehen können.

So vermeiden Sie Loyalitätskonflikte
Nicht selten übernehmen Kinder die Verantwortung dafür, wie es den Eltern geht. Sie möchten die Eltern schützen. Und sich selber auch vor Ohnmacht, Selbstvorwürfen und ambivalenten Gefühlen, mit denen sie schwierig umgehen können. In ihrem Verhalten versuchen sie, die Spannungen zu vermindern. Ein Rückzug oder nicht mehr ausdrücken, was es denkt und fühlt, sind Zeichen dafür, dass ein Kind sich schützt.
Kinder sollen nicht zwischen die Fronten geraten.
Lernen, mit den eigenen Gefühlen umzugehen
Dies anzunehmen, ist ein wichtiger Schritt, um einordnen und Wege finden zu können, wie wir unser Gleichgewicht wieder aufbauen können. Wenn der Mensch im emotionalen Gleichgewicht ist, sich spürt und annehmen kann, mit all seinen Gefühlen und Gedanken, wird er wieder offen für das, was ausserhalb von ihm geschieht. Offen für die Mitmenschen, das Leben und auch den verlorenen oder verlassenen Partner. Und damit auch gelassener für den Umgang der Kinder mit dem Menschen, der uns vermeintlich Leid angetan hat. Den das Kind jedoch liebt, als einen Teil seiner Familie wahrnimmt und erleben möchte.
Kinder möchten normal sein
Entscheidend ist, ob sich das Kind geborgen und gut versorgt fühlt, unabhängig von der Familienform, in der es aufwächst. Spürt es ein liebevolles Miteinander? Darf es sich gemäss seinen Anlagen und Interessen entwickeln und seine Begabungen entdecken? Können Eltern diese Fragen bejahen, so machen sie – egal welche Familienform gelebt wird – vieles richtig.
Familienmodelle: das Wichtigste in Kürze
- Das Gefühl, einer Familie zuzugehören, gibt Sicherheit.
- Das Familienmodell an sich sagt wenig aus, wie es einem Kind in seiner Familie geht.
- Entscheidend für das Wohlergehen des Kindes sind die Erfahrungen, die es mit den Menschen macht, die es als seine Familie empfindet.
- Kinder benötigen positive und stabile Bindungen zu Bezugspersonen, die sie auf ihrem Weg ins Erwachsenenalter begleiten.
- Ein Kind muss Kontakte und Beziehung zu den Menschen pflegen dürfen, die ihm wichtig sind und zu denen es sich zugehörig fühlt.
Zur Autorin:
Die Serie «Wie Familie gelingt»in der Übersicht:
TEIL 2 Eltern sein – Paar bleiben
TEIL 3 Vater, Mutter, Eltern sein
TEIL 4 Sorgerecht der Eltern
TEIL 5 Geschwister – die längste Beziehung des Lebens
TEIL 6 Adoption
TEIL 7 Staat und Familie
TEIL 8 Familienmodelle
TEIL 9 Wurzeln und Flügel
TEIL 10 Kontaktrecht