Oben kalt, unten verbrannt

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren
Mikael Krogerus überlegt, an was sich seine Familie erinnern wird nach dem Lockdown. Kleiner Tipp: Corona geht, wie die Liebe auch, irgendwie durch den Magen.
Meine These ist, dass wir nie zuvor so lange so eng zusammen gewesen sind – und nie wieder sein werden. Das Zusammensein ermöglicht vieles, aber es akzentuiert auch die Schwachstellen einer Familie.
Eine unserer Schwachstellen: Das Essen. «Das Schlimmste am Lockdown? Dass ich jeden Tag mit euch essen muss», jammerte unser Sohn schon in der ersten Woche. Es ging nicht nur um die Frage, was es gibt, sondern vor allem wann.
Meine Familie ist zweigeteilt. Meine Frau und mein Sohn sind das, was man in der Ernährungswissenschaft «Snacker» nennt – sie füllen ihren Kalorienbedarf mit Kleinigkeiten zwischendurch und essen höchstens einmal, meistens abends, richtig. Meine Tochter und ich sind «Stuffer», wir brauchen drei richtige Mahlzeiten pro Tag. Eigentlich vier. Stuffer und Snacker, das sind zwei kreuzverschiedene Wesen, wie Hund und Katz, irgendwie schon miteinander verwandt, aber ausgestattet mit Bedürfnissen von unterschiedlichen Planeten. Ein Wunder eigentlich, dass wir es miteinander aushalten.
So sieht der komplexe Ernährungsplan für eine Snacker/Stuffer-Familie aus:
Morgens koche ich mir und meiner Tochter Porridge mit Früchten, Zimt, viel Butter und einer Banane (eine Reminiszenz an meine skandinavischen Wurzeln; wer morgens seinen Kindern keinen Gröt, also Brei, kocht, den holt die Kesb). Neuerdings schlage ich auch noch ein oder zwei Eier rein, damit wir nicht eine Stunde später schon wieder Hunger haben. Mein Sohn und meine Frau schauen uns fassungslos zu und rühren anämisch in ihren Kaffeetassen.
Ungefähr um 10 Uhr 30 treffen sich meine Tochter und ich wie von Geisterhand geführt wieder in der Küche für ein zNüni, das andere als Lunch bezeichnen würden: Joghurt mit Müesli und ein Brot mit Käse.
«Ich werde erst wieder kochen, wenn die Hausarbeit zwischen Frauen und Männern gleichberechtigt aufgeteilt ist.»
Mikael Krogerus‘ Frau
Wenn ich dann anfange, mittags zu kochen (immer warm, auch das ein Überbleibsel meiner skandinavischen Herkunft), sind meine Frau und mein Sohn natürlich noch satt vom Ovo Crunchy. Um 13 Uhr sitzen wir alle am Tisch – darauf bestehe ich – meine Tochter und ich hungrig wie Wölfe, während die anderen beiden lustlos im verkochten Risotto herumstochern. Denn ich bin ein Möchtegern-Gourmet, ich würde gerne das Kochen zelebrieren, aber mir fehlen die Musse und die Geduld. «Und das Können», ergänzt mein Sohn und grinst.
Manchmal frage ich mich, was meine Frau und mein Sohn zwischen dem Ovo Crunchy und dem Abendessen treiben. Meine Frau isst, glaube ich, Gummibärchen und Chips. Mitunter überwindet sie sich zu Obst. Sie sieht sich in der Tradition der jüdisch-deutschen Theoretikerin Hannah Arendt, die ass angeblich immer nur Spiegelei, weil Kochen sie vom Denken abhielt.
Wenn meine Frau mittags kocht, doziert sie meistens zeitgleich: «Meine weiblichen Vorfahren standen in der Küche! Diese ganze Ernährungsfixierung, ob Hipster-Sauerteigbrot oder vegan, das presst Frauen wieder in traditionelle Rollen! Ich werde erst wieder kochen, wenn die Hausarbeit zwischen Frauen und Männern in dieser Welt gleichberechtigt aufgeteilt ist.» Dann tischt sie die Pasta vom Vortag auf: Oben kalt, unten verbrannt.
«Dafür kann sie anderes», erklärt unsere Tochter ihrem Bruder und mir, als wären wir Touristen in einer fremden Familie.
Abends finden wir uns dann. Jetzt sind alle vier hungrig, und alle vier essen gern. Es sind kurze, versöhnliche Momente einer ernährungstechnisch höchst dysfunktionalen Familie.
Neu schreibt er einmal pro Woche eine Kolumne zum Thema Corona.
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