Migräne und Spannungskopfschmerzen bei Kindern
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Das Hämmern im Kopf

Lesedauer: 5 Minuten

Viele Schulkinder leiden regelmässig unter Migräne und Spannungskopfschmerzen. Warum eine fachkundige Behandlung wichtig ist und welche Massnahmen helfen können, den Beschwerden gezielt vorzubeugen.

Text: Anja Lang
Bild: Jessie Casson/Getty Images

Immer mehr Kinder und Jugendliche klagen über Kopfschmerzen, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern. Eine gross angelegte Untersuchung der Universitätsklinik Dresden aus dem Jahr 2019 hat ergeben, dass mehr als zwei Drittel aller Schulkinder regelmässig unter Kopfschmerzen leiden. Bei Oberstufenschülern liegt der Anteil sogar bei über 80 Prozent.

«Damit kennt jeder Jugendliche hierzulande Kopfschmerzen und die Tendenz ist steigend», sagt Katrin Lengnick, Leiterin der Kinder-Schmerzambulanz und Kopfschmerzsprechstunde am Kinderspital St. Gallen.

Mehrere Einzelstudien weisen darauf hin, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Spannungskopfschmerzen und Migräne in den letzten 30 Jahren deutlich angestiegen ist. «Bis dato liegen noch keine allgemeingültigen Zahlen über die genaue Höhe der Zunahme vor, aber auch wir in der Kopfschmerzambulanz bemerken einen Anstieg der Fallzahlen», betont Lengnick. «Hatten wir 2016 noch etwa zehn Zuweisungen pro Monat, sind es inzwischen rund fünf pro Woche – das entspricht einer Verdoppelung.»

Migräne und Spannungskopfschmerzen sind die beiden häufigsten Vertreter aus der Gruppe der sogenannten primären Kopfschmerzen. «So nennt man Kopfschmerzen, die selbständig und nicht als Symptom einer zugrunde liegenden Krankheit auftreten», sagt Oberärztin Katrin Lengnick. «Etwa 10 bis 20 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen leiden unter Migräne, 60 bis 80 Prozent zeigen Symptome von Spannungskopfschmerzen – häufig gibt es aber auch Mischformen.»

Die beiden Kopfschmerzarten unterscheiden sich vor allem in der Ursache, aber auch in den Symptomen. «Die Unterscheidung ist wichtig, da die beiden Kopfschmerzformen unterschiedlich behandelt werden», erklärt die Schmerzexpertin.

«Spannungskopfschmerzen sind meist das Ergebnis einseitiger und dysfunktionaler muskulärer An- und Verspannung, häufig ausgelöst durch physischen und psychischen Stress.» Die Schmerzen sind in der Regel beidseitig drückend und von leichter bis mittlerer Intensität. «Begonnene Tätigkeiten können in der Regel weitergeführt werden, eine Ablenkung vom Schmerz ist möglich und körperliche Bewegung lindert häufig die Beschwerden», so Lengnick.

Migräne und Spannungskopfschmerzen schnell unterscheiden
Test für Kinder:

Der Hüpftest zeigt dir schnell, ob du Spannungskopfschmerzen oder Migräne hast. Hüpfe dazu – während der Kopfschmerzattacke – auf einem Bein. Alternativ kannst du auch eine Treppe zügig hoch- und runterlaufen. Nehmen die Schmerzen durch die Aktivität stark zu, sodass du schnell keine Lust mehr hast, weiterzumachen, hast du höchstwahrscheinlich eine Migräne. Bleiben die Schmerzen dagegen gleich oder werden sogar besser, spricht das eher für Spannungskopfschmerzen.

Wie der Hüpftest funktioniert, kannst du dir auch in folgendem Animationsfilm angucken: www.meine-kopfsache.com/huepftest

Die Migräne ist insgesamt belastender

Ganz anders die Migräne: Hier liegt die Ursache in einer nicht infektiösen Entzündungsreaktion der Blutgefässe in der Hirnhaut. Die Veranlagung dazu wird vererbt und es gibt bestimmte Auslösefaktoren, sogenannte Trigger, die eine Attacke hervorrufen beziehungsweise begünstigen können.

«Migräneschmerzen sind in der Regel mittelstark bis stark, oft einseitig pulsierend oder klopfend. Bei Kindern können sie aber auch an beiden Seiten der Stirn sowie am ganzen Kopf spürbar sein», sagt die Leiterin der Schmerzambulanz. «Oft kündigt sich die Migräne mit Vorläufersymptomen, der sogenannten Aura, an und wird von weiteren Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit begleitet.» Aktuelle Tätigkeiten können dann meist nicht mehr weitergeführt werden, eine Ablenkung ist kaum möglich und körperliche Aktivitäten verschlimmern die Beschwerden deutlich.

Gängige Schmerzmittel können bei zu häufiger Einnahme selbst Kopfschmerzen verursachen.

Gelegentliche Kopfschmerzen sind in der Regel harmlos. Wenn die Kopfschmerzen aber regelmässig, das heisst mehrmals im Monat, auftreten und es dadurch zu Einschränkungen wie Schulausfällen oder auch der Absage von Freizeitaktivitäten kommt, sollten die Beschwerden immer beim Kinder- beziehungsweise Hausarzt abgeklärt werden.

«Migräne-Symptome sind oft so auffällig, dass Eltern meist sehr schnell einen Arzt aufsuchen», betont Lengnick. «Wichtig ist hier, potenzielle andere Erkrankungen auszuschliessen. Ausserdem sollte so früh wie möglich mit einer akuten medikamentösen Schmerztherapie begonnen werden, um zum einen die Ausbreitung der Entzündung zu bremsen und zum anderen die Bildung eines sogenannten Schmerzgedächtnisses zu verhindern, da die Beschwerden sonst weiter zunehmen und chronisch werden können.»

Spannungskopfschmerzen werden von Eltern dagegen oft nicht ernst genommen und vielfach selbst mit Schmerzmedikamenten aus der Apotheke behandelt. Was viele aber nicht wissen: Gängige Schmerzmittel können bei zu häufiger Einnahme selbst Kopfschmerzen verursachen. Ein sogenannter medikamenteninduzierter Kopfschmerz entsteht meist schleichend. «Bereits zehn Tage mit Schmerzmitteleinnahme pro Monat – also nur etwas mehr als zwei Tage mit Medikamenten pro Woche – über einen Zeitraum von drei Monaten reichen aus, damit wir von einem schädlichen Medikamentenübergebrauch sprechen», betont die Oberärztin.

Detektivische Suche nach den Ursachen

Häufige Kopfschmerzen haben ausserdem oft Schlaf- und Konzentrationsstörungen zur Folge, die ihrerseits wieder Kopfschmerzen verursachen können, sodass ein echter Teufelskreis entsteht. Damit steigt auch die Gefahr von Schulausfällen, was wieder zu mehr Schulstress und Angst vor Schulversagen führt. Durch das Fernbleiben von Freizeitveranstaltungen kann es zu Ausgrenzungen bis hin zur sozialen Isolation kommen, sodass depressive Verstimmungen entstehen, die wiederum den sozialen Rückzug fördern.

«Es ist deshalb wichtig, dass auch Kinder mit häufigen Spannungskopfschmerzen so schnell wie möglich professionelle Hilfe erhalten», sagt Katrin Lengnick. «Die Ursachensuche gleicht dabei oft einer Detektivarbeit, da viele unterschiedliche Auslöser infrage kommen und nicht selten auch mehrere Faktoren für die Beschwerden verantwortlich sind.»

Weiterführende Informationen zum Thema

  • Die Website «Meine Kopfsache» erklärt unter anderem mithilfe von kurzen Animationsfilmen sehr anschaulich, wie Migräne und Spannungskopfschmerzen entstehen, welche Möglichkeiten der Behandlung es gibt und wo Betroffene Hilfe und Unterstützung finden: www.meine-kopfsache.com
  • Kindgerechte Informationen zum Thema Spannungskopfschmerz und Migräne bietet auch die Website des Deutschen Kinderschmerzzentrums: www.deutsches-kinderschmerzzentrum.de
  • Tipps und Hinweise zu Behandlungsmöglichkeiten aus komplementärmedizinischer Sicht finden Interessierte auf den Seiten der Naturärzte-Vereinigung Schweiz (NVS): www.nvs.swiss/aktuelles

Häufige Gründe für Spannungskopfschmerzen sind unter anderem: eine stark zuckerhaltige Ernährung, zu wenig Bewegung und zu viel Bildschirmzeit, aber auch zu viel Sport und zu wenig unverplante Spielzeit, Schlafmangel und psychosoziale Faktoren wie Schulstress, Prüfungsangst, Mobbing, Umzug oder die Scheidung der Eltern. «Auffällig oft stellen wir auch Aufmerksamkeitsstörungen wie ADHS oder ADS sowie eine Lese-Rechtschreib-Störung, eine Sehschwäche, Allergien und vor allem Schlafstörungen in Zusammenhang mit Spannungskopfschmerzen fest», ergänzt die Schmerzspezialistin.

Sind die Ursachen ermittelt, müssen multimodale Lösungen erarbeitet werden, um die Spannungen dauerhaft abzubauen. Einige Dinge lassen sich dabei leichter aus der Welt räumen oder verändern, wie etwa die Ernährung oder die Sportfrequenz. Mit anderen Gegebenheiten wie Umzug oder Scheidung der Eltern aber müssen die Kinder insgesamt lernen, besser umzugehen. «Dazu gehört unter anderem, die Körperwahrnehmung zu schulen, rechtzeitig Pausen einzulegen, sich besser abzugrenzen und Entspannungstechniken zu trainieren», empfiehlt Lengnick. Auch komplementärmedizinische Verfahren wie die Traditionelle Europäische Naturheilkunde (TEN) eignen sich gut zur unterstützenden Behandlung.

Schonverhalten, wie zu Hause bleiben und Tabletten schlucken, sollte von den Eltern nicht unterstützt werden.

Sabrina Lange, Naturheilpraktikerin

Sabrina Lange, diplomierte Naturheilpraktikerin und Dozentin für TEN, empfiehlt individuell angefertigte Mischungen aus ätherischen Ölen, die die Kinder auf die Pulsstellen auftragen oder als Duftkette um den Hals tragen können. Ihrer Ansicht nach könnte die Gemmotherapie mit speziellen Pflanzenknospensprays, die in den Rachen gesprüht werden, Erleichterung bringen. Sabrina Lange: «Darüber hinaus sollte bei häufigen Kopfschmerzen immer auch die Ernährung angeschaut werden, da zu viel Zucker und zu viele Zusatzstoffe das Darmmikrobiom ungünstig beeinflussen, was über die Darm-Hirn-Achse ebenfalls zu chronischen Kopfschmerzen führen kann.»

Darüber hinaus empfiehlt die Naturheilpraktikerin Atemtechniken zur Entspannung und für einen besseren Schlaf sowie Dehn- und Lockerungsübungen für Schultern und Nacken. «Schonverhalten, wie zu Hause bleiben und Tabletten schlucken, sollte von den Eltern dagegen nicht unterstützt werden, da es langfristig nicht weiterhilft», warnt auch Lengnick. «Ich rate betroffenen Familien deshalb, möglichst rasch wieder zur Normalität zurückzukehren.»

Das Wichtigste in Kürze
  • Migräne und Spannungskopfschmerzen sind bei Schulkindern sehr häufig: Spannungskopfschmerzen stehen mit 60 bis 80 Prozent im Vordergrund, gefolgt von Migräne mit circa 10 bis 20 Prozent.
  • Regelmässig auftretende Kopfschmerzen sollten immer medizinisch abgeklärt werden, insbesondere wenn sie zu Schulausfällen und der Absage von Freizeitaktivitäten führen.
  • Werden die Kopfschmerzen verschleppt, drohen chronische Verläufe sowie Folgeerkrankungen und soziale Isolation.
  • Wichtig ist eine rasche Diagnose, da die beiden Kopfschmerzarten unterschiedlich therapiert werden.
  • Bei Migräne liegt der Fokus vor allem auf einer frühzeitigen und raschen medikamentösen Schmerzbehandlung, kombiniert mit speziellen Verhaltensmassnahmen und Entspannungsverfahren.
  • Bei Spannungskopfschmerzen sollten Medikamente dagegen vermieden werden. Stattdessen sollte ein Pausen- und Stressmanagement erfolgen. Das Ziel ist dabei, die jeweiligen Auslöser auszumachen und Spannung langfristig abzubauen.
  • Komplementärmedizinische Verfahren können die Behandlung von Migräne und Spannungskopfschmerzen optimal ergänzen.
  • Bei frühzeitiger und fachgerechter Behandlung ist die Prognose für beide Kopfschmerzarten gut.

Anja Lang
Anja Lang ist langjährige Medizinjournalistin. Sie ist Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.

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