Wenn bei Kinderfüssen etwas schiefläuft
Knicksenkfuss, Plattfuss oder Klumpfuss: Ein Orthopäde und eine Physiotherapeutin erklären, worauf Eltern achten sollten, wenn ihr Kind von einer Fussfehlstellung betroffen ist.
Als unsere Kinder vor wenigen Wochen zusammen barfuss durch den Garten sprangen, machte mich meine Freundin darauf aufmerksam, dass der Fuss meines fünfjährigen Sohnes anders aussieht als derjenige ihres Kindes. Sein grosser Zeh und der Zeh daneben überkreuzen sich ein wenig. Beim linken Fuss ist es stärker ausgeprägt.
Ich überlegte mir, ob die überlappenden Zehen vielleicht auf einen Hallux valgus hindeuten könnten. Dabei handelt es sich um eine Fehlstellung der Grosszehe, bei der sich der Ballen immer mehr zu Seite wölbt. Auch ich bin seit meiner Jugend davon betroffen.
Häufiges Phänomen
Fussfehlstellungen sind – gerade im Kindesalter – weit verbreitet. Auf Platz eins steht der Knicksenkfuss, wie Hanspeter Huber, Leiter der Kinderorthopädie im Kantonsspital Winterthur, erklärt. «50 bis 90 Prozent der Kinder sind in den ersten Lebensjahren davon betroffen. Im späteren Jugendalter sind es noch ungefähr 20, im Erwachsenenalter lediglich 5 bis 10 Prozent.»
Weitere typische Fehlstellungen im Fussbereich, die bei Kindern und Jugendlichen häufig auftreten, sind der Plattfuss, der Klumpfuss, der Sichelfuss und der Hackenfuss. Wie viele Kinder in der Schweiz generell von einer Fussfehlstellung betroffen sind, ist schwer in Zahlen festzumachen. Vermutlich beschäftigt sich aber mindestens jede zweite Familie einmal mit diesem Thema.
Von Knicksenk– und Plattfüssen
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe «Knicksenkfuss» und «Plattfuss» oft verwechselt oder gleich gebraucht, auch wenn sie unterschiedliche Dinge bezeichnen. «Der Knicksenkfuss ist ein flexibler Fuss mit abgeflachter Fusswölbung, bei dem zudem die Ferse bei Belastung nach aussen wegknickt», so Hanspeter Huber. «Der Plattfuss ist ebenfalls flach, jedoch deutlich weniger flexibel als der Knicksenkfuss. Bedingt durch eine Verkürzung der Muskeln oder eine Verwachsung von Knochen am Rückfuss, kann er weder aktiv noch passiv ohne Weiteres in eine normale Position gebracht werden.»
Eine gewisse genetische Komponente spielt fast immer mit.
Hanspeter Huber, Kinderorthopäde
Auch verbreitet bei Jugendlichen ist der Spreizfuss. «Er zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Mittelfussknochen spreizen und der Vorfuss breiter ist. Dies kann durch eine Bindegewebsschwäche begünstigt werden», sagt Huber. «Der Spreizfuss stellt aber eher eine Normvariante dar und keine Erkrankung.» Beschwerden entstehen meist erst durch das Tragen von zu schmalen Schuhen. «Ich beobachte immer wieder, dass viele Jugendliche angesagte schmal geschnittene Turnschuhe beziehungsweise Sneakers tragen wollen, egal ob sie passen oder nicht», so der Orthopäde. «Der Gruppendruck ist da schon enorm.»
Die zu schmalen Turnschuhe
Zu schmale, spitz zulaufende Schuhe und solche mit höherem Absatz können im Erwachsenenalter zur Entstehung eines Hallux valgus führen, dies noch verstärkt bei einem schon bestehenden Spreizfuss. Auch Übergewicht ist ein häufiger Grund für Fussschmerzen und kann die Entstehung von Fussdeformitäten begünstigen, so Hanspeter Huber. Oft seien es so mehrere Faktoren, die zusammenkämen.
Der Experte betont allerdings auch: «Eine gewisse genetische Komponente spielt fast immer mit.» So kann man den Klumpfuss, eine der klassischen Fussfehlstellungen bei Säuglingen, bereits in der 20. bis 24. Schwangerschaftswoche mittels Ultraschalluntersuchung erkennen.
Oft sind die Sorgen unberechtigt
Der Knicksenkfuss als flexible Deformität ist erst nach Steh- und Gehbeginn sichtbar und kommt im Rahmen der normalen Entwicklung vor. «Die Gründe dafür sind ein verstärktes Fettpolster an der Fusssohle, Überbeweglichkeit des Bindegewebes, die im Kleinkindalter noch bestehende verstärkte Innendrehung vom Ober- und Unterschenkel und allenfalls eine muskuläre Unreife», sagt Huber. Meistens richtet sich das Fussgewölbe im Laufe des Wachstums von allein auf. In manchen Fällen kann es aber zu einer Verkürzung der Wadenmuskulatur kommen, was wiederum eine spontane Korrektur erschweren und allenfalls Schmerzen verursachen kann.
Dem Kinderorthopäden Hanspeter Huber fällt auf, dass sich Eltern sehr schnell Sorgen machen, zum Beispiel wenn der Fuss beim Laufen leicht einknickt oder die Sohlen schief abgelaufen sind. Doch Huber kann beruhigen: «Beim Knicksenkfuss muss man gar nichts unternehmen, solange das Kind keine Schmerzen hat.»
Schief abgelaufene Schuhe seien kein Indiz, dass das Kind überhaupt eine Fussfehlstellung habe, obwohl beim Betrachten der Schuhe dieser Eindruck entsteht. Haben Kinder und Jugendliche aber Schmerzen beim Laufen, sollte man den Kinderarzt aufsuchen und das abklären lassen. «Diese können meistens erst einmal Entwarnung geben», sagt Huber.
So auch die Kinderärztin meines Sohnes. Ihr fiel bei der Vorsorgeuntersuchung sofort auf, dass sich seine Zehen leicht überkreuzen. Ich fragte sie, ob das auf einen Hallux valgus hindeuten könnte. Die Ärztin meinte, dass es noch zu früh sei, darüber eine Aussage zu machen. Es würde vorerst genügen, die Entwicklung der Füsse weiter zu beobachten und darauf zu achten, dass die Zehen in den Schuhen ausreichend Platz hätten.
Einlagen nur bei Schmerzen
Hanspeter Huber meint dazu: «In Fällen, in denen weitere Abklärungen nötig sind, gibt es eine Überweisung zum Kinderorthopäden.» Dort werde dann geklärt, ob und wie der Fuss behandelt werden muss. «Früher wurden sehr schnell Einlagen verschrieben», sagt der Experte. «Verschiedene medizinische Studien haben aber gezeigt, dass diese eine Aufrichtung des Fusses – wie im Falle eines Knicksenkfusses – nicht relevant positiv beeinflussen. Daher werden Einlagen meist nur bei Schmerzen verschrieben. Da können sie wiederum Abhilfe leisten.»
Barfusslaufen ist sehr gesund für die Füsse. Dabei werden alle Muskeln aktiviert.
Melanie Hoffmann, Physiotherapeutin
Kinder mit einem starken Hallux valgus bekommen oft eine Nachtschiene verschrieben. Diese drückt die Grosszehe in die richtige Richtung. Aufgrund des deutlichen Fusswachstums im Kindesalter kann die Schiene der Fehlstellung noch leicht entgegenwirken. Beim Jugendlichen und Erwachsenen ergibt das Tragen einer Schiene nicht mehr viel Sinn.
Physiotherapie als Unterstützung
Eine weitere Möglichkeit, Fussfehlstellungen und damit verbundene Schmerzen zu behandeln, ist die Physiotherapie. Melanie Hoffmann arbeitet als Physiotherapeutin für Babys und Kinder in Zürich. Im Schnitt haben 15 bis 20 Prozent ihrer Patientinnen und Patienten Fussfehlstellungen. Sie bestätigt die Aussagen von Hanspeter Huber: «Im Säuglingsalter sind es meist Klump-, Sichel- und Hackenfüsse, im Klein- und Schulkindalter eher Knicksenkfüsse.»
Hoffmann macht mit den Kindern Übungen, die speziell für die jeweilige Fussfehlstellung angepasst sind. Die Übungen stärken die Muskulatur, reduzieren Schmerzen und wirken der Fehlstellung entgegen. Auch wenn man keine Schmerzen hat, kann man mit Übungen den Füssen Gutes tun.
«Zudem ist Barfusslaufen sehr gesund für die Füsse», sagt die Physiotherapeutin, «der Fuss kann sich ganz frei bewegen und muss sich an unterschiedliche Untergründe anpassen, so werden alle Muskeln aktiviert.» Zur Kräftigung der Muskulatur seien unebene und wechselnde Untergründe geeignet wie zum Beispiel Sand, Waldboden, Matsch, Steine und weiches Erdreich. «Die Fuss- und Wadenmuskeln müssen mithelfen, damit wir uns fortbewegen, stabil stehen und die Balance halten können.»
Leichten Fussfehlstellungen kann man mit entsprechenden Übungen und viel Barfusslaufen gut entgegenwirken. Es gibt aber komplexe Fehlstellungen, bei denen Übungen alleine nicht ausreichen, wie zum Beispiel beim Klumpfuss. «Diese Fehlstellung muss durch ein interdisziplinäres Team von Spezialisten betreut werden», so Hoffmann.
Fuss kurz nach Geburt eingipsen
Das betont auch der Kinderorthopäde Hanspeter Huber. «Eine leichte Klumpfusshaltung kann sich von allein korrigieren, aber ein ‹richtiger› Klumpfuss muss bereits wenige Wochen nach der Geburt orthopädisch behandelt werden, und zwar mit der sogenannten Ponseti-Methode.» Der Fuss wird dabei sanft geradegestellt und eingegipst. Die Gipse werden jede Woche gewechselt, damit die Fussposition schrittweise verbessert werden kann. Nach ungefähr vier bis acht Wochen kann so eine Korrektur der Fehlstellung erreicht werden.
«In den meisten Fällen muss die stark verkürzte Achillessehne dann durch ein kleines Schnittchen verlängert werden, damit der Fuss ausreichend beweglich wird», erklärt Huber. «Das ist aber ein kleiner Eingriff.» Tritt die Fehlstellung bei älteren Kindern noch einmal auf, könne es sinnvoll sein, eine Operation durchzuführen, so Huber. Dabei werde der Ansatz einer Fusshebersehne von der Fussinnenseite weiter nach aussen versetzt, damit sich der Fuss nicht erneut nach innen drehe.
- Abrollen und massieren der Fusssohlen mit einem Tennis-, Igel- oder Blackrollball. Danach das Längs- und Quergewölbe mit den Händen ausstreichen und formen.
- Auf einem Bein auf die Zehenspitzen stehen. Dabei darauf achten, dass die Grosszehe am Boden bleibt und die Sprunggelenke nicht nach aussen wegknicken, sondern in Verlängerung des Unterschenkels bleiben. Diese Übung sollte bei gestrecktem Kniegelenk durchgeführt und circa 15- bis 25-mal wiederholt werden. Danach kommt der andere Fuss an die Reihe. Das Ganze pro Seite dreimal.
- Laufen auf dem Fussaussenrand.
- Laufen auf den Fersen.
- Greifübungen mit den Füssen: Wer es schafft, steht auf einem Bein und hebt mit dem anderen Fuss kleine Gegenstände wie zum Beispiel Murmeln, kleine Sandsäckchen oder Ähnliches vom Boden auf und legt sie in einen kleinen Eimer, der auf der anderen Seite des Standbeins steht, sodass der greifende Fuss das Standbein überkreuzen muss. Wenn es im Stehen zu schwierig ist, kann man auch im Sitzen, zum Beispiel auf einem grossen Gymnastikball, beginnen. Man kann auch versuchen, flache Gegenstände, wie zum Beispiel Papier oder Münzen, mit den Füssen zu greifen oder festzuhalten.
Quelle: Melanie Hoffmann, Physiotherapeutin
Wann ist eine Operation sinnvoll?
Auch bei einem ausgeprägten Knicksenkfuss mit Beschwerden kann ab dem Alter von zehn bis zwölf Jahren über eine Operation nachgedacht werden. «Bei der sogenannten Arthrorise wird eine Schraube ins Fersenbein eingesetzt, welche ein stärkeres Einknicken der Rückfussknochen zueinander verhindert», erklärt der Kinderorthopäde. Da der Knochen noch weiterwächst, kann durch diesen Eingriff eine dauerhafte Korrektur der Fussposition erreicht werden.
«Eine Operation vor dem zehnten Lebensjahr ist bei einem Knicksenkfuss praktisch nie sinnvoll, ausser es zeigte sich eine sehr starke Verkürzung der Wadenmuskulatur», sagt er. Und auch im späteren Jugend- und Erwachsenenalter könne noch operiert werden, sofern das Ausmass der Beschwerden so einschränkend sei, dass sie eine grössere Operation rechtfertigen.