Skoliose bei Jugendlichen frühzeitig erkennen - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Skoliose bei Jugendlichen frühzeitig erkennen

Lesedauer: 6 Minuten

Zwei Prozent aller Jugendlichen entwickeln im starken Wachstum der Pubertät eine ­Skoliose. Rechtzeitig erkannt, lässt sich die Wirbelsäulen­verkrümmung gut behandeln.

Text: Anja Lang
Bild: Donatella Loi / Plainpicture

Lya ist zwölf, als bei ihr eine hochgradige Skoliose festgestellt wird. Zu diesem Zeitpunkt ist ihre Wirbelsäule schon mehr als 55 Grad gekrümmt. Die Diagnose ist mehr oder weniger ein Zufallsbefund beim Hausarzt. Die Schülerin aus Düdingen FR hatte bis dahin keine nennenswerten Beschwerden gehabt. Und weil Lya ausserdem immer schlank, beweglich und sportlich aktiv war, hatte sich auch ihre Mutter keine ernsthaften Sorgen gemacht. 

Fälle wie diesen sieht Carol Hasler, Chefarzt der Orthopädie am Universitätskinderspital beider Basel UKBB, leider immer wieder. «Die sogenannte adoleszente idiopathische Skoliose AIS ist mit rund 90 Prozent die mit Abstand häufigste Form der Skoliose», sagt Hasler. «Etwa jedes 200. Kind beziehungsweise jeder 200. Teenager ist hierzulande davon betroffen – Mädchen etwa viermal häufiger als Buben.»  

«Adoleszent» heisst diese Form der Skoliose, weil sie in den starken Wachstumsschüben der Pubertät entsteht. «Diese beginnen bei Mädchen etwa ein bis zwei Jahre vor der ersten Regelblutung, bei Jungs ein bis zwei Jahre vor dem Stimmbruch, und enden jeweils rund drei Jahre danach – also grob zwischen dem 10. und 16. Lebensjahr», so Hasler. «Idiopathisch» wird die Adoleszenten-Skoliose ausserdem genannt, weil die Ursachen der Erkrankung bis heute weitestgehend unbekannt sind. 

Lesen Sie den vollständigen Text und erfahren Sie, wie Sie Skoliose frühzeitig erkennen.

Nicht jeder krumme Rücken ist gleich eine Skoliose

Eine leichte seitliche Verschiebung in der Wirbelsäulenachse beziehungsweise eine etwas zu flach oder zu stark ausgeprägte S-Kurve kommt sehr häufig vor und ist in den meisten Fällen normal. «Wir sind nicht alle völlig symmetrisch gewachsen», sagt Hasler. Das gilt für Arme und Beine, die Gesichtshälften, den Brustkorb und eben auch für die Wirbelsäule.

«Von einer echten ­Skoliose spricht man deshalb erst, wenn eine dreidimensionale Wirbelsäulenverkrümmung mit einem Cobb-Winkel von über 10 Grad ­vorliegt», erklärt Hasler. Der sogenannte Cobb-Winkel gibt bei der Skoliose den Krümmungsgrad und damit auch den Schweregrad der Wirbelsäulenerkrankung an.

Es kann jeden Jugendlichen treffen

In starken Wachstumsschüben kann dieser Winkel schnell ansteigen. «Innerhalb von sechs Monaten ist eine Zunahme von 20 bis 30 Grad möglich», sagt Hasler. «Man geht inzwischen davon aus, dass es sich bei der AIS um eine Art Wachstumsproblematik handelt, bei der der vordere Teil der Wirbelsäule schneller wächst als der hintere Teil», so Hasler. «Dadurch kommt es zu den typischen Veränderungen mit seitlicher Achsenverschiebung und in sich verdrehten Wirbeln.»

Die Genetik scheint zwar eine ­gewisse Rolle zu spielen, aber nicht der einzige Faktor zu sein, der für die Verkrümmung der Wirbelsäule verantwortlich ist.

Warum das Wirbelsäulenwachstum bei manchen Jugendlichen ungleichmässig verläuft, ist bislang nicht geklärt. Es konnte zwar eine gewisse genetische Komponente festgestellt werden. «So haben Kinder, deren Eltern oder Geschwister bereits eine Skoliose haben, ein um das Zehnfache erhöhtes Risiko, ebenfalls daran zu erkranken», erklärt Hasler. «Umgekehrt bleiben aber 90 Prozent der Kinder mit familiärer Vorbelastung rückengesund.» Damit scheint die Genetik zwar eine gewisse Rolle zu spielen, aber bei Weitem nicht der einzige Faktor zu sein, der für die Wirbelsäulenverkrümmung verantwortlich ist. 

Wie macht sich eine Skoliose bemerkbar?

Eine Skoliose ist von aussen nicht ohne Weiteres zu erkennen, und selbst Betroffene bemerken Veränderungen oft erst, wenn sie weit fortgeschritten sind. «Denn die Skoliose selbst tut anfangs nicht weh», so Hasler. Typische Asymmetrien in Rumpf, Becken und den Schulterblättern, die durch die Skoliose entstehen, fallen meist nur auf, wenn das Kind oder der Jugendliche bis auf die Unterwäsche ausgezogen ist und «wie ein Zinnsoldat gerade» vor einem steht.

«Eine effektive nichtoperative Behandlung ist nur möglich, ­solange die Wirbelsäule noch im Wachstum ist», sagt Skoliose-Spezialist Carol Hasler.

Die meisten Eltern aber sehen ihre Kinder ab der Pubertät selten ohne Kleidung und Selfies vor dem Spiegel werden überwiegend in dynamischen Positionen und schon gar nicht von hinten gemacht. Dazu kommt, dass Kinder mit Skoliose von aussen paradoxerweise als besonders aufgerichtet wahrgenommen werden. «Denn wenn der vordere Teil – also die Brustwirbel – schneller wächst, kommt es zu einer Verflachung der oberen S-Kurve und damit zu einer Aufrichtung des oberen Rückens», sagt Hasler.

«Zwar ist die Untersuchung des Rückens auch Teil der medizinischen Vorsorge- und Reihenuntersuchungen, jedoch werden diese in der Pubertät oft nicht mehr zuverlässig wahrgenommen. Und selbst wenn, die Abstände sind oft gross, so dass Entwicklungsschübe auch verpasst werden können.»

So kommt es leider in immer noch viel zu vielen Fällen vor, dass jugendliche Skoliosen erst spät oder gar zu spät entdeckt werden. «Denn eine effektive nichtoperative Behandlung ist leider nur möglich, solange die Wirbelsäule noch im Wachstum ist», meint Hasler. Sobald das Längenwachstum um den 16. Geburtstag herum abgeschlossen sei, liesse sich in der Regel ohne Operation nicht mehr viel ausrichten. 

Jugendliche Skoliose wird oft spät oder gar zu spät entdeckt.

Im späteren Erwachsenenleben drohen dann Bewegungseinschränkungen und Rückenschmerzen durch verkippte Wirbel, einseitig belastete Muskeln, verkürzte Sehnen und Bänder. Häufig kommt es auch zu Schmerzen im Kopf-, Schulter- und Nackenbereich sowie ausgeprägten Spannungskopfschmerzen. Ausserdem steigt das Risiko für eine vorzeitige Abnutzung der Wirbelkörper und Bandscheiben.

In sehr schweren Fällen kann es auch zu einer Einengung innerer Organe kommen und damit die Lungen- und Herzfunktion vermindert werden. Neben den gesundheitlichen Beschwerden zeigen sich häufig auch kosmetische Probleme. So sind in manchen Fällen der Rumpf- und Brustbereich verformt. «Bei Frauen kann es dadurch zu optischen Volumenveränderungen sowie Asymmetrien der Brust kommen, was zusätzlich für starken Leidensdruck sorgt», sagt der Skoliose-Experte.  

Ein Test für Laien

Um das zu verhindern, ist es wichtig, eine Skoliose möglichst früh zu erkennen. Da aber niemand vorhersagen kann, ob und wann sich eine Wirbelsäulenverkrümmung entwickelt, bleibt nur die möglichst engmaschige Kontrolle. Mit dem Adams- beziehungsweise Vorneigetest (siehe blaue Box) haben auch Eltern, Grosseltern oder andere medizinische Laien die Möglichkeit, Auffälligkeiten an der Wirbelsäule denkbar einfach, schnell und zuverlässig zu erkennen. Hasler rät, den Vorneigetest etwa ab dem 10. Lebensjahr ungefähr alle sechs Monate durchzuführen.

Erster Ansprechpartner beim Verdacht auf eine Skoliose ist der Kinder- beziehungsweise der Hausarzt. «Bestätigt sich der Verdacht, sollte das Kind beziehungsweise die Jugendliche möglichst an ein Zentrum für Skoliose überwiesen werden», empfiehlt der Rückenspezialist. «Dort werden dann in der Regel Röntgenbilder angefertigt, der ­exakte Cobb-Winkel und damit der Schweregrad der Abweichung bestimmt und das verbleibende Wachstumspotenzial der Wirbel­säule ermittelt.» 

Skoliose frühzeitig erkennen
So funktioniert der Vorneigetest:

­Für den Test sollte das Kind beziehungsweise der oder die Jugendliche sich ohne Schuhe und mit geschlossenen und durchgestreckten Beinen flach auf den Boden stellen. Der Oberkörper ist weitgehend freigemacht (höchstens BH). Der Rücken ist dem Beobachter zugewandt. Jetzt werden die Handflächen der gestreckten Arme vor der Brust zusammengeführt und der Oberkörper so weit wie möglich nach vorne geneigt. Die geschlossenen Handflächen sollten dabei mindestens die Knie erreichen. Arme und Beine bleiben weiterhin durchgestreckt.

«Anders als im Stehen, kann man den Rücken in der vorgeneigten Position von hinten sehr gut beurteilen», erklärt Orthopäde Carol Hasler. «Zeigen sich auf dem Rücken mehr oder weniger stark ausgeprägte Berge und Täler, wie etwa ein seitlicher Rippenbuckel oder ein einseitiger Lendenwulst, ist eine Skoliose sehr wahrscheinlich und es sollte eine Abklärung beim Arzt erfolgen.»

Ein Erklärvideo zum Vorneigetest sehen Sie unten.

Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad

«Bei einer leichten Skoliose mit einem Cobb-Winkel unter 20 Grad reicht es in der Regel aus, die Rumpfstabilität mithilfe von Physiotherapie zu kräftigen und den weiteren Verlauf sorgsam zu beobachten», erläutert Hasler. Liegt der Cobb-Winkel bereits über 20 bis 25 Grad, wird meist zusätzlich ein Korsett verordnet. Dabei handelt es sich um eine individuell angepasste Orthese, die verhindert, dass die Wirbelsäulenkrümmung weiter zunimmt.

«Die Wirksamkeit der Korsetttherapie konnte in Studien nachgewiesen werden, allerdings muss die Orthese dazu mindestens 18 Stunden am Tag getragen werden, und zwar so lange, bis das Wirbelsäulenwachstum komplett abgeschlossen ist», sagt der Kinderorthopäde. 

Nicht geheilt, aber die ­Verkrümmung gestoppt 

Bei einer hochgradigen Skoliose mit einem Cobb-Winkel von über 40 bis 45 Grad kann auch eine Operation nötig werden. «Bei dem aufwendigen Eingriff werden die schief gewachsenen Wirbel mit Schrauben, Haken und Stäben wieder in die richtige Lage gebracht und fixiert.» 

Verein Skoliose Schweiz

Der Verein Skoliose Schweiz wendet sich an Betroffene und Fachpersonen. Auf der Website gibt es sehr viel fachliche ­Informationen zum Thema, ­Hinweise zu Events, Thera­peutenlisten sowie Kontakt­angaben zu Selbsthilfegruppen.

Zur Website gelangen Sie hier.

Auch wenn die Skoliose noch während der Wachstumsphase entdeckt wird, ist eine vollständige Heilung nicht immer möglich. Das war auch bei Lya der Fall. «Da meine Skoliose schon weit fortgeschritten war, als sie entdeckt wurde, und ich nicht mehr lange gewachsen bin, war das Hauptziel, die Verkrümmung der Wirbelsäule zu stoppen», erzählt die heute 20-Jährige. «Dazu habe ich eine Korsettbehandlung begonnen und mich erst mal gegen die Korrektur-OP am Rücken entschieden.»

Über ein Jahr lang und nahezu rund um die Uhr hat die damals 12-Jährige die Orthese getragen. «Klar ist das irgendwie ein Fremdkörper und etwas unkomfortabel, aber ich habe gewusst, dass es nötig ist und dass ich das Korsett irgendwann auch wieder los bin», sagt Lya. Und es hat sich gelohnt. Ihre Wirbelsäule hat sich nicht weiter verkrümmt. Ein diszipliniertes Rückentraining, regelmässig Sport und Massagen helfen Lya bis heute dabei, dass das möglichst lange so bleibt.

Anja Lang
Anja Lang ist langjährige Medizinjournalistin. Sie ist Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.

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