Schwindel: Mama, alles dreht sich! - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Schwindel: Mama, alles dreht sich!

Lesedauer: 6 Minuten

Schwindel kommt bei Kindern und Jugendlichen relativ häufig vor. Obwohl das Symptom beängstigend sein kann, ist die Ursache meist harmlos. Dennoch ist eine ärztliche Abklärung wichtig. 

Text: Christine Amrhein
Bild: Tim Robinson / Plainpicture

Das Wichtigste in Kürze:

Wie häufig ist Schwindel bei Kindern und Jugendlichen?
Experten schätzen, dass pro Jahr fünf bis 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Schwindel betroffen sind – ältere Kinder und Jugendliche häufiger als jüngere Kinder.

Welches sind die häufigsten Schwindelarten?
Häufige Schwindelarten bei Kindern und Jugendlichen sind der rezidivierende Schwindel des Kindesalters, die Schwindel-Migräne, psychosomatischer Schwindel, kreislaufbedingter Schwindel sowie Reisekrankheit und Höhenschwindel.

Wann sollte Schwindel ärztlich abgeklärt werden?
Schwindel, der mehr als einmal auftritt oder stark ausgeprägt ist sowie  Gleichgewichtsstörungen sollten von einem Arzt abgeklärt werden. So können schwerwiegende Ursachen ausgeschlossen und eine geeignete Behandlung eingeleitet werden.

Wie kann Schwindel behandelt werden?
Die Behandlung richtet sich nach der Schwindelursache. Beim rezidivierenden Schwindel des Kindesalters und der Schwindel-Migräne helfen oft Verhaltensänderungen, gegebenenfalls auch Medikamente. Bei psychosomatischem Schwindel kann eine Verhaltenstherapie hilfreich sein.

Sophia leidet seit zwei Jahren unter Schwindelattacken. Am Anfang traten sie nur alle paar Wochen, seit einem halben Jahr aber bis zu zwei Mal in der Woche auf. Die 14-Jährige hat dann das Gefühl, alles drehe sich um sie. Laute Geräusche empfindet sie als störend, ihr ist übel und sie hat einen unangenehmen Kopfschmerz. Teilweise muss sie aus der Schule abgeholt werden und sich zu Hause erst einmal ins Bett legen. Schliesslich geht sie mit ihrer Mutter zum Hausarzt, der sie an eine Schwindelambulanz überweist. Dort wird die Diagnose Schwindelmi­gräne gestellt.

«Schwindel in der Kindheit und Jugend ist häufiger, als man denkt», sagt Nicolas Gürtler, Leiter der pädiatrischen Otorhinolaryngologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel UKBB. Fachleute schätzen, dass pro Jahr bei 5 bis 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen Schwindelattacken auftreten. Meist dauern diese wenige Minuten bis mehrere Stunden, bei manchen Kindern tritt auch Dauerschwindel auf.

Oft kann hinter Schwindel eine Fehlregulation des Kreislaufs stecken. Die Kinder haben ein taumeliges oder schummriges Gefühl.

Am häufigsten scheinen Jugendliche betroffen zu sein. Bei Kindern im Vorschulalter wird Schwindel seltener beobachtet – allerdings können sie auch noch nicht so genau über die Symptome berichten. «Die verschiedenen Schwindelformen sind dabei bei Jungen und Mädchen gleich häufig», erläutert Doreen Huppert, Leiterin der Ambulanz des Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrums DSGZ am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität LMU München. «Nur die Schwindelmigräne ist bei Mädchen etwas häufiger.»

Viele mögliche Ursachen 

Die Ursachen von Schwindel können sehr unterschiedlich sein. «Schwindel ist keine Krankheit, sondern ein Symptom, das sehr viele Ursachen haben kann», erklärt Huppert. «Beruhigend ist: Schwindel nimmt häufig einen unproblematischen Verlauf und lässt sich gut behandeln. Ausserdem ist er meist nicht mit weiteren Beeinträchtigungen, etwa von Aufmerksamkeit oder Gedächtnis, verbunden.» Allerdings sollte Schwindel, der mehr als einmal auftritt oder stärker ausgeprägt ist, immer ernst genommen und von einem Arzt abgeklärt werden. Gleiches gilt, wenn ein Kind Gleichgewichtsstörungen hat, etwa beim Gehen schwankt. «Durch die ärzt­liche Untersuchung kann eine schwerwiegende Ursache ausgeschlossen oder gegebenenfalls behandelt werden», sagt Gürtler. «Und es können geeignete Massnahmen zur Behandlung eingeleitet werden.»

Erster Ansprechpartner ist der Kinderarzt. «Er kann je nach vermuteter Ursache an einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt, einen Neurologen oder eine Schwindelambulanz für Kinder überweisen», so Gürtler. Solche spezialisierten Zentren gibt es bisher jedoch nur wenige: In der Schweiz am UKBB in Basel und an den Hôpitaux Universitaires Genève HUG, in Deutschland an der LMU München.

Bild: Rialto Images / Stocksy

Oft kann hinter Schwindel eine Fehlregulation des Kreislaufs stecken. Die Kinder haben ein taumeliges oder schummriges Gefühl oder ihnen wird kurz schwarz vor Augen. Ausgelöst wird dies durch ein plötzliches Absinken des Blutdrucks, etwa beim Aufstehen aus dem Liegen oder Sitzen – vor allem bei Kindern, die gerade stark wachsen. Auch zu wenig Flüssigkeit, ein niedriger Blutzucker oder zu wenig Bewegung können kreislaufbedingten Schwindel begünstigen. Weitere harmlose Schwindelursachen sind die Reisekrankheit, bei der das Schaukeln von Fahrzeugen Schwindel auslöst, und der Höhenschwindel, bei dem das Herabschauen aus der Höhe zu Schwindel führt.

Alles schwankt oder dreht sich

«Beim echten Schwindel haben die Betroffenen dagegen das Gefühl, alles drehe sich um sie oder die Umwelt würde hin- und herschwanken», erläutert Gürtler. «Häufige Ursachen bei Kindern und Jugendlichen sind der rezidivierende Schwindel des Kindesalters und die Schwindelmigräne.» Ersterer tritt vor allem zwischen zwei und zwölf Jahren auf. Die Kinder haben plötzliche, eher kurze Schwindelattacken, bei denen sie unsicher stehen oder gehen und ihre Augen zittern. Dazu können Übelkeit und Erbrechen auftreten. Bei manchen Kindern verschwinden die Symptome mit der Zeit von selbst, bei anderen gehen sie in Schwindel-Migräne über. «Diese kann schon bei sehr kleinen Kindern vorkommen, wird aber oft erst später entdeckt», so der HNO-Arzt. «Hier sind die plötzlichen Schwindelattacken mit Kopfschmerzen, Übelkeit und erhöhter Licht- und Geräuschempfindlichkeit verbunden.»

Bei harmlosen Schwindelformen helfen oft einfache Tricks, die Eltern und Kinder selbst umsetzen können.

Relativ häufig ist auch ein psychosomatischer Schwindel, bei dem psychische Ursachen wie starke psychische Belastungen oder Ängste hinter dem Schwindelgefühl stecken. «Oft entsteht dann ein Teufelskreis, weil die Betroffenen Angst vor der nächsten Schwindelattacke haben und ihre Aufmerksamkeit stark auf ihr Gleichgewichtsempfinden richten. Das verstärkt wiederum den Schwindel», sagt Huppert.

Schwindel kann auch körperliche Ursachen haben – oft liegen sie im Innenohr, in dem sich auch das Gleichgewichtsorgan befindet, oder im Gehirn. «Häufige Ursachen sind Gehirnerschütterungen und Ohrentzündungen», berichtet Athanasia Korda, Oberärztin am Schwindelzentrum des Inselspitals Bern. Auch angeborene Veränderungen des Innenohrs, eine Entzündung des Gleichgewichtsnervs oder ein Tumor im Gehirn können zu Schwindel führen. «Bei einem Tumor ist die Prognose des Schwindels meist nicht so günstig», sagt Huppert. Allerdings ist dies bei Kindern eine seltene Ursache für Schwindel.

Das können Eltern und Kinder bei Schwindel selbst tun:

  • Schon die Abklärung beim Arzt kann für Eltern und Kind beruhigend sein. Denn meist sind die Schwindelattacken ungefährlich und gut behandelbar.
  • Eltern können ihr Kind beruhigen und ihm klarmachen, dass der Schwindel nicht gefährlich ist. Zudem können sie es ermutigen, keine Situationen aus Angst vor dem Schwindel zu vermeiden.
  • Bei kreislaufbedingtem Schwindel sollte das Kind sich hinlegen, die Beine hochlegen und ein Glas Wasser trinken. Zur Vorbeugung können ausreichend Bewegung und Trinken, Wechselduschen und langsames Aufstehen hilfreich sein.
  • Gegen Reisekrankheit hilft es oft, in Fahrtrichtung aus dem Fenster zu schauen, genug frische Luft zu haben und keine schweren Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Eventuell kann ein Medikament gegen Reiseübelkeit genommen werden.

Untersuchungen wenig belastend

Die Untersuchungen beim Arzt sind in der Regel wenig belastend. «Der wichtigste Teil ist ein ausführliches Gespräch zur Krankengeschichte», sagt Gürtler. «Dabei wird zum Beispiel erfasst, seit wann und wie oft der Schwindel auftritt, was den Schwindel bessert oder verschlechtert und ob weitere Beschwerden auftreten.»

Es folgen neurologische und apparative Untersuchungen, bei denen geprüft wird, ob der Gleichgewichtssinn und die Augenbewegungen intakt sind. «Ist hier alles in Ordnung, ist eine schwerwiegende Ursache des Schwindels unwahrscheinlich», sagt Doreen Huppert. So sollen die Kinder zum Beispiel in Ruhe oder beim Drehen auf einem Drehstuhl einen Punkt fixieren oder mit offenen oder geschlossenen Augen auf der Stelle stehen. Ergänzend können je nach vermuteter Ursache bildgebende Untersuchungen des Gehirns, ein Hörtest oder psychologische Tests durchgeführt werden. 

Oft hilft eine gesunde Lebensweise

Wie Schwindel behandelt wird, richtet sich vor allem nach seiner Ursache. Bei harmlosen Schwindelformen helfen oft einfache Tricks, die Eltern und Kind selbst umsetzen können. Hat der Schwindel eine körperliche Ursache, wird diese – soweit möglich – behandelt.

Beim rezidivierenden Schwindel des Kindesalters und der Schwindelmigräne kann eine gesunde Lebensweise hilfreich sein. «Hierzu gehört, ausreichend zu schlafen, Stress zu reduzieren, einen regelmässigen Tagesablauf einzuhalten, ausreichend Sport zu treiben und genug zu trinken», sagt Huppert. «All das trägt oft schon deutlich dazu bei, dass der Schwindel abnimmt oder ganz verschwindet.» Ein Schwindeltagebuch kann helfen, die Auslöser des Schwindels zu erkennen und gezielt gegenzusteuern.

«Reichen die Verhaltensänderungen nicht aus oder sind die Symptome so stark, dass sie das Kind im Alltag deutlich beeinträchtigen, sollten auch Medikamente in Erwägung gezogen werden», sagt Gürtler. «Beim rezidivierenden Schwindel des Kindesalters braucht es meist keine Dauermedikation. Bei der Schwindelmigräne haben sich ­Betablocker, Antiepileptika und Kalziumkanalblocker als hilfreich erwiesen.» 

Den Schwindel weniger beachten

Hat der Schwindel psychische Ursachen, ist oft eine Verhaltenstherapie hilfreich. «Allein die Information, dass das ständige Beobachten des Schwindels diesen verstärkt, ist für viele hilfreich», sagt Huppert. «In der Therapie lernen die Patienten ausserdem, wie sie sich ablenken und den Schwindel weniger beachten können.» Hängt der Schwindel mit Ängsten, einer Depression oder schulischen Belastungen zusammen, können diese ebenfalls mit einer Psychotherapie behandelt werden.

Sophia hat seit ihrer Diagnose viele Veränderungen umgesetzt: Sie achtet jetzt darauf, genug zu schlafen und Stress zu vermeiden. Ihre Eltern unterstützen sie dabei, tagsüber viel zu trinken, sich gesund zu ernähren und einen regelmässigen Tagesablauf einzuhalten. Sie macht täglich eine Entspannungsübung und spielt zwei Mal pro Woche Volleyball im Verein. Zudem nimmt sie zwei Mal täglich 300 Milligramm Magnesium. All das zahlt sich nach einiger Zeit aus: Nach etwa zwei Monaten treten die Schwindelattacken nur noch ganz selten auf.

Christine Amrhein
ist Psychologin. Sie lebt und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin in München.

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