Danke, dass ihr für mich da wart!
Wir brauchen Lehrerinnen und Lehrer, die Kinder und Jugendliche mögen, ihnen etwas fürs Leben mitgeben möchten und Freude an ihrem Beruf haben.
Schule steht und fällt mit der Lehrkraft, das zeigt nicht nur die berühmte Hattie-Studie. Vielleicht beschäftigen mich die Themen Lernen und Schule heute so stark, weil ich in dieser Hinsicht derart Glück hatte. Immer wieder traf ich auf Lehrkräfte, die mir stärkende Botschaften mit auf den Weg gaben.
Im Kindergarten war ich so langsam und verträumt, dass ich kaum etwas mitbekam. Erzählte die Kindergärtnerin eine Geschichte, driftete ich nach zwei Minuten gedanklich ab und malte mir selbst aus, wie es weitergehen könnte. Anweisungen folgte ich meist erst nach einem strengen Blick und der Extraeinladung: «Fabian! Hörst du zu?!» So war es nicht verwunderlich, dass ich den Schulreifetest nicht bestand.
Frau Bergmann, meine Erst- und Zweitklasslehrerin, signalisierte mir jeden Tag: ‹Du bist sicher. Ich sehe dich. Du darfst dich entspannen.›
Als ich nach einem zusätzlichen Kindergartenjahr schliesslich in die Schule kam, war ich blockiert, lernte nur langsam und war der Überzeugung, dass ich mir unmöglich das Lesen aneignen könnte: Es gab einfach zu viele verschiedene Buchstaben! Frau Bergmann, meine Erst- und Zweitklasslehrerin, liess mir Zeit. Glitt ich in Tagträume ab, sagte sie mit warmer, leiser Stimme meinen Namen. Passte ich auf, lächelte sie mich an.
Sie signalisierte mir jeden Tag aufs Neue: «Du bist hier willkommen. Ich sehe dich. Du bist an diesem Ort sicher und darfst dich entspannen. Das lernst du schon noch – in deinem Tempo.» Schritt für Schritt gelang es mir ein bisschen besser, zuzuhören und mich auf die Welt der Buchstaben und Zahlen einzulassen.
Kreativität und Humor sind wichtiger als die Rechtschreibung
Was würden Sie tun, wenn Sie im Kunstunterricht einen klaren Auftrag erteilten und zwei Jungen jeden dieser Aufträge so abwandelten, dass sie Hunderte kleiner Männchen zeichnen, die irgendwelche absurden Abenteuer erleben? Mein Fünftklasslehrer nahm es mit Humor und liess sich stets geduldig und belustigt unsere Zeichnungen erklären.
Auch mein Deutschlehrer konnte meinem Einfallsreichtum glücklicherweise etwas abgewinnen. Zwar erhielten meine Aufsätze aufgrund der mangelhaften Rechtschreibung keine Glanznoten, dafür fragte mich Herr Walker, ob er sie für sich kopieren und behalten dürfe – er möge die originellen Ideen darin und sie brächten ihn zum Lachen. Bei ihm hatte ich immer das Gefühl, dass es Wichtigeres gab, als sich anzupassen und starre Regeln zu befolgen: Kreativität und Humor zum Beispiel.
Als ich ins Gymnasium kam, landete ich in einer sehr wettbewerbsorientierten Klasse. Noten wurden verglichen, Rangfolgen gebildet und Durchschnitte ausgerechnet. Das begann bereits am ersten Tag nach dem Übertritt mit der Frage, welche Noten man bei der Aufnahmeprüfung erreicht hatte.
Es war nicht leicht, wenn man in dieser Klasse eine schlechte Note zurückbekam: Sofort wurde man mit abwertenden Kommentaren oder einem hämischen Grinsen eingedeckt. So erging es mir auch in meiner ersten Prüfung im Fach Musik. Dummerweise war ich der Einzige in der Klasse, der kein Instrument spielte. Der Test geriet deshalb zum Desaster.
Unser Musiklehrer führte uns ein klassisches Stück vor und liess es uns analysieren. Er stellte Fragen zum Rhythmus, der Melodie und den Instrumenten. Was als einfache Prüfung zur Orientierung gedacht war, stellte für mich ein unlösbares Rätsel dar. Während meine Mitschülerinnen und Mitschüler zwischen 18 und 20 Punkte erzielten, schaffte ich gerade mal zwei. Frustriert ging ich mit der miserablen Note nach Hause.
Du verstehst nichts von meinem Fach – und trotzdem mögen wir uns
Auf dem Esszimmertisch fand ich einen Brief vor – an mich adressiert. Darin stand: «Lieber Fabian, es hat mir so leidgetan, dass ich dir so eine schlechte Note geben musste. Ich möchte, dass du weisst, wie sehr ich dich schätze, und dass ich mich darüber freue, wie gut du in meinem Unterricht mitmachst. Ich hoffe, wir zwei haben es weiterhin so gut miteinander. Dein Singlehrer, Thomas Fluor.»
Einer Lehrkraft Danke zu sagen und ihr unsere Anerkennung zu zeigen, kostet nicht viel, ist aber viel wert.
Natürlich hatten wir es gut miteinander! Musik wurde zu einem meiner Lieblingsfächer – trotz dauerhaft schlechter Noten. Von meinem Singlehrer habe ich gelernt, dass sich auch schwache Schülerinnen und Schüler im Unterricht wohlfühlen und motiviert bleiben können, wenn zwischen der Leistungs- und der Beziehungsebene klar getrennt wird: Du bist schwach in meinem Fach – und trotzdem mag ich dich.
Das richtige Kompliment im richtigen Moment bewirkt Wunder
Über Lob und Komplimente kann man geteilter Meinung sein. Werden sie zu manipulativen Zwecken eingesetzt, bekommen sie einen bitteren Beigeschmack. Und manchmal können sie – wie manche Autoren befürchten – auch die intrinsische Motivation untergraben.
Eine aufrichtige, wertschätzende Rückmeldung kann aber auch sehr viel Positives in Gang setzen. Ilse Ruch, unserer Deutschlehrerin am Gymnasium Solothurn, gelang genau das. Anstatt sich darüber aufzuregen, wenn zwei Schüler zu spät kamen oder eine Schülerin eine falsche Antwort gab, konzentrierte sie sich auf all das Erfreuliche im Schulalltag und meldete es uns zurück.
Zum Beispiel: «Ihr seid so eine angenehme Klasse, ich freue mich immer auf den Unterricht mit euch.» Oder: «Das war eine interessante Diskussion heute. Viele Gedanken zu unserer Lektüre waren auch für mich neu.» Sie gab uns immer wieder das Gefühl, dass wir den Unterricht gemeinsam gestalteten, wir nicht nur von ihr, sondern sie auch von uns lernte und wir alle für eine gute Lernatmosphäre verantwortlich waren.
Besonders eindrücklich war für mich ein Tag kurz nach den Maturaprüfungen: Am Ende der letzten Stunde behielt mich meine Deutschlehrerin noch kurz im Zimmer, sah mich an und sagte: «Fabian, von dir möchte ich irgendwann einmal ein Buch lesen.»
Von diesem Moment an wusste ich, dass ich Autor werden möchte. Heute treffen Ilse und ich uns alle ein bis zwei Jahre zum Essen – und ich bringe ihr jeweils mein neuestes Buch mit.
Wir brauchen Lehrerinnen und Lehrer. Und nicht nur irgendwelche, um offene Stellen zu besetzen. Sondern solche, die Kinder und Jugendliche mögen, ihnen etwas fürs Leben mitgeben möchten und Freude an ihrem Beruf haben. Dazu braucht es uns alle: Es braucht Veränderungen im Schulsystem, damit Lehrkräfte sich auf den Unterricht fokussieren können und dabei das Gefühl haben, Kinder wirklich auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten zu können. Es braucht gesunde Rahmenbedingungen, damit gute Lehrkräfte nicht ausbrennen. Und es braucht Wertschätzung für all die Menschen, die an unseren Schulen täglich ihr Bestes geben.
Wann immer wir als Eltern sehen, dass eine Lehrkraft sich einsetzt, können wir uns eine Minute Zeit nehmen, um ihr unsere Anerkennung zu zeigen und Danke zu sagen. Das kostet nichts und ist viel wert.