Warum ich nicht gern zur Schule ging – und dennoch Lehrerin wurde

Viele Lehrpersonen wollen, dass Kinder ihre Seele zu Hause lassen und nur ihren Kopf in die Schule bringen, wie der dänische Familientherapeut Jesper Juul einmal treffend feststellte. Doch damit Kinder lernen, braucht es Lehrende, die Beziehungen auf Empathie und gegenseitigem Respekt aufbauen.
Warum ich dennoch den Lehrberuf wählte? Ich entdeckte während meiner Lehre zur Bahnbetriebssekretärin, dass Lernen wenigstens hin und wieder Freude machen kann. Zum einen gab es da Herrn Perpignano, der mir mit leuchtenden Augen meinen Deutschaufsatz zurückgab und mich dabei lobte. Endlich jemand, der mir etwas zutraute! Zum anderen ergab Lernen für mich das erste Mal Sinn. Ich selbst hatte mich für diesen Weg entschieden und vieles, was ich lernte, half mir, meinen beruflichen Weg zu bewältigen und nach der Lehre das Studium zur Lehrerin in Angriff zu nehmen.

Petra Gächter war 24 Jahre lang Primarlehrerin und arbeitet momentan als Schulleiterin, Unternehmensberaterin und Coach. Sie ist Mutter von vier schulpflichtigen Teenagern und wohnt in St. Gallen.
In all den Jahren im Bildungsdienst fragte ich meine Kolleginnen und Kollegen, Behördenmitglieder und auch Eltern immer, ob sie gerne zur Schule gegangen seien. Die Feedbacks waren sehr aufschlussreich: Lehrpersonen sind in sehr grosser Mehrheit motivierte, gut beurteilte und frohe Schülerinnen und Schüler gewesen. Aus den Schilderungen der Eltern erfuhr ich dafür immer wieder interessante Zusammenhänge, die mir in der Elternarbeit und auch im Umgang mit dem Kind halfen. Verschiedene Traumata, Ängste und negative Erfahrungen werden oft auf die eigenen Kinder übertragen und belasten die Zusammenarbeit mit den Beteiligten der Schule.
Herr Perpignano gab mir mit leuchtenden Augen meinen Deutschaufsatz zurück und lobte mich. Endlich jemand, der mir etwas zutraute!
Ein weiterer spannender Aspekt in der Beziehungsarbeit der Schule scheint mir die «persönliche Autorität»: Wenn es uns gelingt, unsere eigene Person in die Beziehung einzubringen, dann wird die traditionelle Autorität (ich Lehrerin – du Kind!) durch persönliche Autorität ersetzt. Das heisst, dass durch Authentizität Beziehungen auf gegenseitigem Respekt und Empathie aufgebaut werden.
Lernen, mit Kindern zu sprechen statt sie zu belehren
Ich habe mein Herz an dieses Thema verloren. Es gäbe noch so viel zu erzählen, zu fragen und anzustossen. Schüler- und Schülerinnenrat, Elternarbeit, Elterngespräche usw. sind nur wenige der Teilbereiche, die ich für so wichtig erachte.
Negative Erfahrungen und Ängste von Eltern werden oft auf die eigenen Kinder übertragen und belasten die Zusammenarbeit.
Beziehungskompetenz ist ein Wert und ein Anspruch: eine pädagogische Kunst, die eine Lehrperson beherrschen muss. Investieren wir also in Beziehungsarbeit. Unsere Hauptakteure werden es uns danken und gerne zur Schule gehen und das Lernen freudig in ihrem Leben willkommen heissen!
Dieser Text ist leicht gekürzt und erschien zuerst im Buch «Schule 21 macht glücklich». Das Buch des Verbandes Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz VSLCH ist randvoll mit praktischen Beispielen aus dem Schulalltag und mit Ideen und Visionen von Schulleitenden. Es geht der Frage nach, was die Schule im 21. Jahrhundert tun kann, um ihren Teil zu einem glücklichen, gesunden und selbstbestimmten Leben beizutragen: für die Kinder, die Eltern, die Lehrpersonen, die Schulleitenden und für die Gesellschaft.
Weitere Informationen und eine Leseprobe unter www.schule21.shop
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