«Mein Sohn tanzt mir auf der Nase herum»
Eine Mutter sucht Rat beim Elternnotruf. Ihr zwölfjähriger Sohn sei frech, beleidigend und lerne nicht mehr für die Schule. Die Beraterin schlägt vor, die schwierigen Verhaltensweisen des Kindes mit der «Drei-Körbe-Methode» zu priorisieren.
Mutter: Ich weiss gar nicht richtig, wo anfangen. Kann ich loslegen, haben Sie Zeit?
Beraterin: Ja, genau dafür bin ich hier. Sie können beginnen, wo immer Ihre Gedanken gerade sind.
Mutter: Mein Sohn tanzt mir seit Wochen auf der Nase herum.
Beraterin: Erzählen Sie mir von diesem Tanz.
Mutter: Er ist frech, widerspricht, beleidigt mich und erledigt seine Sachen für die Schule nicht.
Beraterin: Das stelle ich mir anstrengend für Sie vor.
Mutter: Ja, das ist es. Ich komme damit nicht mehr zugange.
Ich bin frustriert, weil ich doch alles für mein Kind tue. Manchmal komme ich mir vor wie in einem Hamsterrad.
Beraterin: Sie sagen, das sei seit ein paar Wochen so, also nicht schon seit Monaten oder Jahren. Das finde ich beruhigend zu hören. Wie alt ist denn Ihr Sohn?
Mutter: Er ist zwölf. Genau, das ist erst seit Kurzem so, es kam wie angeworfen. Ich weiss schon, das gehört zur Pubertät, trotzdem ist es für mich manchmal fast nicht auszuhalten, wie er mich behandelt.
Beraterin: Vermutlich ist es für Sie schwierig zu spüren, was von all dem, das Sie aufgezählt haben, Ihnen am wichtigsten ist, zu verändern.
Mutter: Ja, ich finde alles schlimm. Und ich könnte die Aufzählung von dem, was schwierig ist, noch lange weiterführen.
Beraterin: Vielleicht tut es Ihnen gut, die damit verbundenen Gefühle erst einmal auszusprechen.
Mutter: Ich bin frustriert, weil ich doch alles für mein Kind tue. Ich kann ihm nichts recht machen. Manchmal komme ich mir vor wie in einem Hamsterrad.
Beraterin: Es klingt für mich, als wüssten Sie gar nicht, wo beginnen.
Mutter: Ja genau, es ist uferlos.
Beraterin: Ich hätte da ein Konzept, das Ihnen helfen könnte, zu priorisieren und herauszufinden, wo Sie ansetzen könnten. Mögen Sie es hören?
Mutter: Ja gerne.
Beraterin: Es ist eines meiner Lieblingskonzepte und heisst «Die drei Körbe». Wir benutzen es oft in der persönlichen Beratung, es funktioniert aber auch am Telefon. Wenn Sie möchten, können wir es gleich anwenden.
Mutter: Ja, da bin ich neugierig.
Bei Themen rund um den Familien- und Erziehungsalltag ist der Verein Elternnotruf seit fast 40 Jahren für Eltern, Angehörige und Fachpersonen eine wichtige Anlaufstelle – sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. Die Beratungen finden telefonisch, per Mail oder vor Ort statt. www.elternnotruf.ch
An dieser Stelle berichten die Berater aus ihrem Arbeitsalltag.
Beraterin: Als Erstes nehmen Sie eine Beige kleiner Zettel zur Hand und schreiben auf jeden dieser Zettel eine Verhaltensweise Ihres Sohnes, die Sie als schwierig empfinden. Ich kann gerne warten, bis Sie dies getan haben.
Mutter: Ich bin so weit.
Beraterin: Nun stellen Sie sich drei verschieden grosse Körbe vor: der grosse etwa wie ein Wäschekorb, der mittlere wie ein Papierkorb und der kleine wie ein Deko-Bastkörbchen, in das man wenige kleine Dinge verstauen kann. Der grosse Korb ist der «Akzeptanzkorb». Da werfen Sie die Zettel mit denjenigen Verhaltensweisen hinein, mit denen Sie leben können. Ich schlage vor, dass wir hier erst einmal mit einer Verhaltensweise beginnen, Sie können gut allein noch ausweiten.
Mutter: Also hier könnte ich zum Beispiel das Widersprechen reintun. Das nervt zwar, aber wenn ich ehrlich bin, gehört das irgendwie zum Alter. Ich war auch so.
Beraterin: Das klingt stimmig. Und schön, dass Sie sich so gut erinnern mögen, wie Sie in diesem Alter unterwegs waren. Der mittlere Korb ist der «Kompromiss- oder Verhandlungskorb». Hier hinein kommen diejenigen Verhaltensweisen, bei denen Verhandlungsspielraum besteht und von denen Sie sich vorstellen können, mit Ihrem Sohn auszuhandeln, was drinliegt und was nicht.
Mutter: Hm, da könnte ich zum Beispiel reintun, wann er zu Hause sein muss, nachdem er mit Freunden abgemacht hat. Das könnte ich schon mit ihm besprechen.
Beraterin: Genau, dieses Thema eignet sich gut dafür. Und in den kleinen, den «Limitkorb», kommen noch die wenigen Verhaltensweisen, die einfach nicht drinliegen. Idealerweise sind das nicht mehr als zwei oder drei Dinge. Was würden Sie hier hineintun?
Mutter: Das ist für mich ganz klar: die Beleidigungen und dass er nichts mehr für die Schule macht.
Wenn er so seine Zukunft wegwirft, kann und will ich einfach nicht zusehen.
Beraterin: Das finde ich toll, dass Sie dies so klar sehen. In diese zwei Punkte investieren Sie nun Ihre Energie, das fordern Sie wirklich ein. Welcher von den beiden ist Ihnen im Moment am wichtigsten?
Mutter: Ja, schon Hausaufgaben und Lernen auf Prüfungen. Er wäre eigentlich ein guter Schüler, aber im Moment werden seine Noten schlechter, und wenn er nun so nachlässt, wird er abgestuft in der Schule und kann später nicht die Lehre machen, die er gerne möchte. Das macht mich so wütend.
Beraterin: Und ich vermute, dass neben der Wut auch Sorge aufkommt um die Zukunft Ihres Sohnes.
Mutter: Ja, natürlich. Ich weiss ja, dass Kinder in diesem Alter nicht immer einfach sind. Aber wenn er so seine Zukunft wegwirft, kann und will ich einfach nicht zusehen.
Beraterin: Und genau darum geht es. Nachdem Sie nun so klar herausgefunden haben, was von all dem, das zurzeit schwierig ist, für Sie am wichtigsten ist, können Sie nun dazu das Gespräch mit Ihrem Sohn suchen. Nur zu diesem einen Thema. Alle anderen Dinge lassen Sie erst einmal auf der Seite, diesen können Sie sich zu einem späteren Zeitpunkt widmen.
- Grosser «Akzeptanzkorb»: Mit welchem Verhalten kann ich leben?
- Mittlerer «Kompromiss- oder Verhandlungskorb»: Welches Verhalten bietet Verhandlungsspielraum?
- Kleiner «Limitkorb»: Welches Verhalten liegt nicht drin?
- Frei wählbare Grösse beim «Ressourcenkorb»: Was kann mein Kind gut?
Mutter: Ich merke, dass mich dies bereits entlastet. Ich habe nun nicht mehr das Gefühl, alles sofort anpacken zu müssen, sondern kann mich auf das konzentrieren, was mir wirklich wichtig ist. Ich merke auch, dass es mir gelingt, mehr bei der Sorge als bei der Wut zu sein. Ich glaube auch, dass mein Sohn damit eher umgehen kann, als wenn ich ihm dauernd aufzähle, was er alles nicht gut macht.
Beraterin: Das kann ich mir gut vorstellen. Ich merke auch, wie Sie bereits ruhiger und weniger aufgeregt wirken als am Anfang des Telefongesprächs. Gerne möchte ich Ihnen nun noch den vierten Korb mit auf den Weg geben, es ist der «Ressourcenkorb». Die Grösse dürfen Sie hier frei wählen. Zählen Sie nun alles auf, was Ihr Sohn gut macht.
Mutter: Ja, da gibt es schon einiges. Zum Beispiel zeichnet er gerne, ist oft herzig mit seinem jüngeren Bruder, und manchmal, wenn er gut drauf ist, haben wir es auch richtig lustig zusammen. Ich merke gerade, da würden mir noch mehr Dinge einfallen. Und ja, nun kann ich das Telefongespräch in einer anderen Stimmung beenden als in derjenigen, in der ich Sie angerufen habe. Vielen Dank für dieses spannende Konzept. Es hilft mir, auf das Wesentliche zu fokussieren.
Beraterin: Sehr gerne. Nun wünsche ich Ihnen ein gutes Gespräch mit Ihrem Sohn.