Sorgerecht der Eltern – Umzug zu Mama oder Papa?
Die Kinder abwechselnd zu betreuen, ist nach Trennungen ein gängiges Modell – was sind die Vorteile? Und wie sehen die Sorgerechte der Elternpartien aus? Teil 4 unserer Serie «Wie Familie gelingt».
Für Jacqueline und Matthias war immer klar, dass sie sich zu gleichen Teilen um ihre Kinder kümmern wollen. Beide haben jeweils Teilzeit gearbeitet: Jacqueline in einer Eventagentur in Bern und Matthias als Informatiker beim Bund. Ihre Kinder Jonas und Tim sind heute fünf und acht Jahre alt.
Jacqueline und Matthias gehen inzwischen getrennte Wege, kümmern sich aber weiterhin gemeinsam um ihre Söhne. Im Rahmen einer Trennungsvereinbarung haben sie vor Gericht Folgendes vereinbart: Jacqueline betreut die Kinder von Sonntagabend bis Mittwochabend, Matthias von Mittwochabend bis Freitagabend, an den Wochenenden wechseln sie sich ab.
Wenn ein Elternteil umziehen will
Während die Scheidung noch hängig ist, wird Jacqueline unerwartet eine neue Stelle in Lausanne angeboten. Dabei handelt es sich nicht nur beruflich um ein interessantes Angebot; Jacqueline denkt bereits seit einiger Zeit darüber nach, in die Romandie zurückzukehren. Sie ist in Lausanne aufgewachsen und auch heute noch eng mit dem Ort verbunden, da ihre Familie und ihr neuer Partner dort leben.
Ein Umzug ohne ihre Kinder kommt für Jacqueline allerdings nicht infrage. Zumal ihre Kinder, mit denen sie von klein auf nur Französisch gesprochen hat, sehr gerne bei den Grosseltern und Cousins in Lausanne sind.
In Anbetracht der Entfernung zwischen ihrem Wohnort in Bern und ihrem zukünftigen Wohnort in Lausanne wäre es für Jacqueline und Matthias nicht möglich, die momentane Aufteilung der Kinderbetreuung beizubehalten, insbesondere weil Tim inzwischen in die Schule und Jonas in den Kindergarten geht. Kann Jacqueline dennoch ohne Weiteres mit den Kindern umziehen?
Wer entscheidet über den Wohnort des Kindes?
Das Recht, den Aufenthaltsort eines Kindes zu bestimmen, ist Teil der elterlichen Sorge. Übt ein Elternteil die elterliche Sorge alleine aus, muss er den anderen Elternteil über seine Umzugspläne lediglich rechtzeitig informieren. Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und möchte ein Elternteil mit dem Kind innerhalb der Schweiz umziehen, bedarf es der Zustimmung des anderen Elternteils, wenn der Umzug der Kinder einen erheblichen Einfluss auf den Kontakt zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil hat.
Es wird einzeln entschieden, ob ein Umzug zustimmungsbedürftig ist.
Möchte ein Elternteil mit dem Kind ins Ausland ziehen, bedarf es bei gemeinsamer elterlicher Sorge der Zustimmung des anderen. Stimmt der andere Elternteil einem Umzug des Kindes nicht zu, kann der umzugswillige Elternteil sich an ein Gericht oder eine Kindesschutzbehörde (KESB) wenden, damit diese eine neue Regelung für die Betreuung des Kindes finden.
Jacqueline und Matthias üben die elterliche Sorge gemeinsam aus. Die Entfernung zwischen Lausanne und Bern beträgt mehr als 100 Kilometer. Unabhängig davon, in welchem Haushalt Jonas und Tim zukünftig leben werden, kann das momentane Betreuungsmodell damit nicht mehr aufrechterhalten werden, sodass der Umzug der Kinder von der Zustimmung von Matthias beziehungsweise dem Gericht abhängig ist.
Ein Fall für das Gericht
Ob ein Umzug zustimmungsbedürftig ist, muss für jeden Fall einzeln entschieden werden. Anders wäre die Situation beispielsweise zu beurteilen, wenn Jacqueline von Ostermundigen nach Zollikofen, rund 15 Minuten mit dem Auto, ziehen würde.
Matthias stimmt dem Umzug der Kinder nicht zu. Er wehrt sich vehement dagegen und droht Jacqueline mit rechtlichen Schritten, da er kein Verständnis hat für Jacquelines plötzlichen Wunsch, nach Lausanne zu ziehen. Ohne Matthias, Zustimmung kann Jacqueline die Kinder nicht mit nach Lausanne nehmen. Sie hat jedoch die Möglichkeit, beim Gericht, das auch für die Scheidung zuständig ist, einen Antrag auf Bewilligung zum Wechsel des Aufenthaltsortes der Kinder zu stellen.
Während das Verfahren vor Gericht noch läuft, darf Jacqueline mit den Kindern (noch) nicht umziehen. Die Kinder sollen bis zum Entscheid durch das Gericht in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Das gilt insbesondere für den Fall, dass beide Eltern sich um die Kinder kümmern können und wollen, da die Kontinuität der Betreuungssituation grossen Einfluss auf die spätere Entscheidung des Gerichts hat.
Das Gesetz ist darauf ausgelegt, dass der umzugswillige Elternteil vorgängig auf den anderen Elternteil, respektive das Gericht oder die KESB, zugeht, um eine gemeinsame Lösung zu finden.
Bei einem Umzug ohne Zustimmung sieht das Gesetz keine eigentliche Bestrafung vor. Das Gericht wird in diesem Fall aber gegebenenfalls prüfen, ob die Zuteilung der Kinder zum anderen Elternteil sinnvoll ist.
Kein Umzugsverbot für betreuende Elternteile
Das Gericht oder die KESB stimmen einem Umzug immer dann zu, wenn es dem Wohl des Kindes besser dient, mit dem Elternteil wegzuziehen statt beim anderen Elternteil im bisherigen Umfeld zu bleiben. Ausgangspunkt bildet dabei stets das bisherige Betreuungsmodell.
Wird ein Kind im Alltag mehrheitlich von einem Elternteil betreut, was heute immer noch dem Standard entspricht, geht das Bundesgericht üblicherweise davon aus, dass es dem Wohl des Kindes entspricht, weiterhin mit seinem hauptbetreuenden Elternteil zusammenzuleben. Das gilt insbesondere für jüngere Kinder, da ihre Betreuung und Erziehung möglichst konstant sein sollten.
Verhindert werden kann nur der Umzug des Kindes.
Je älter die Kinder sind, desto eher kann der Verbleib am bisherigen Wohnort dem Kindeswohl entsprechen, weil Schule und Freundeskreis mit zunehmendem Alter wichtiger werden.
Vorausgesetzt ist jedoch auch bei älteren Kindern, dass diese Wahlmöglichkeit überhaupt besteht. Das heisst, der andere Elternteil muss fähig und gewillt sein, für eine angemessene Betreuung des Kindes zu sorgen. Das ist häufig nicht der Fall, wenn die Betreuung bisher von einem Elternteil alleine besorgt wurde, während der andere Elternteil das Kind nur jedes zweite Wochenende zu sich genommen hat.
Die Verweigerung der Zustimmung ist sinnlos, wenn man gleichzeitig nicht bereit ist, sich selbst um das Kind zu kümmern – verhindert werden kann nämlich nur der Umzug des Kindes, nicht jener des anderen Elternteils. Die Zustimmungsbedürftigkeit des Umzugs bezieht sich einzig und allein auf den Umzug der Kinder; es gibt kein «Umzugsverbot» für betreuende Elternteile.
Die Ausgangslage von Jacqueline und Matthias ist gewissermassen neutral. Sie haben sich die Betreuung bisher hälftig geteilt und sind auch in Zukunft beide bereit, die Betreuung der Kinder zu übernehmen.
Wo ist das Kind besser aufgehoben?
Dem Gericht stellt sich nun die schwierige Frage, ob ein Kind besser mit dem einen Elternteil wegziehen oder mit dem anderen Elternteil am bisherigen Wohnort bleiben sollte. In solchen Fällen versucht ein Gericht anhand unterschiedlicher Kriterien festzustellen, bei welchem Elternteil das Kindeswohl besser gewahrt ist.
Es schaut sich dafür alle Facetten eines konkreten Falls an, da es für Kinder einen Unterschied macht, ob sie beispielsweise die Sprache am neuen Wohnort bereits beherrschen und entsprechend problemlos die Schule besuchen können oder nicht, ob sie einen Teil ihres Umfelds am neuen Wohnort bereits kennen oder ihnen alles völlig fremd sein wird. Oder ob die Kinder in ein wirtschaftlich gesichertes Umfeld ziehen oder ihre Verhältnisse in Zukunft weniger stabil sein werden.
- Die elterliche Sorge ist das Recht und die Pflicht, für sein Kind zu entscheiden, wo es das noch nicht selbst tun kann; Teil davon ist das Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
- Möchte ein Elternteil mit dem Kind umziehen, braucht er die Zustimmung des anderen Elternteils, wenn der neue Wohnort im Ausland liegt oder wenn der Umzug einen erheblichen Einfluss auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den Kontakt des anderen Elternteils zu den Kindern hat.
- Verweigert der andere Elternteil die Zustimmung, kann sich der umzugswillige Elternteil an das zuständige Gericht oder die Kindesschutzbehörde wenden, um eine Neuregelung der Obhut und des Besuchs- und Ferienrechts zu erwirken.
- Der Umzug mit dem Elternteil entspricht vermutungsweise dem Kindeswohl, wenn die umzugswillige Person bisher für die Betreuung zuständig war und der andere Elternteil lediglich zwei Mal im Monat ein Besuchsrecht am Wochenende wahrgenommen hat.
Ebenfalls relevant ist, welcher Elternteil die Möglichkeit hat, die Kinder persönlich zu betreuen, und wie ausgeprägt die Fähigkeit eines Elternteils ist, den persönlichen Kontakt des Kindes mit dem anderen Elternteil zu fördern. Die Motive des Elternteils, der umziehen möchte, spielen vor Gericht keine grosse Rolle. Liegen jedoch keine plausiblen Gründe für einen Umzug vor und scheint es, als wolle der Elternteil nur umziehen, um die Kinder vom anderen Teil zu entfremden, spricht dies eher für den Verbleib des Kindes am bisherigen Wohnort.
Im Fall von Jacqueline und Matthias hat das Gericht entschieden, dass die Kinder im Fall eines Umzugs von Jacqueline nach Lausanne beim Vater in Bern bleiben sollen. Einerseits, weil dies dem klaren Wunsch von Tim und Jonas entsprochen hat. Andererseits, weil die Kinder in Lausanne insbesondere von den Grosseltern betreut worden wären, da der neue Job von Jacqueline mit viel Reisetätigkeit verbunden ist, während Matthias sich in Bern dank flexibler Arbeitszeiten selbst um die Kinder kümmern kann.