Herr Krogerus, was macht gute Kommunikation aus?
Unser Kolumnist Mikael Krogerus hat in Bern eine Ausstellung zum Thema Kommunikation gestaltet. Was er dabei gelernt hat, wie das die Kommunikation mit seiner Familie verändert hat und welche Kommunikationsstrategien Kinder anwenden, verrät der Autor im Interview.
Im Museum für Kommunikation in Bern ist es laut und bunt: Überall blinkt es und bewegt sich, man hört Töne und Sprache. Ein Raum aber ist anders: Schwarze Wände und 66 einfache Kreidezeichnungen, welche die bekanntesten Theorien der Kommunikationsforschung visualisieren. Mikael Krogerus, der den Raum mit seinem Kollegen Roman Tschäppeler konzipiert hat, findet es grossartig, dass gerade hier so viel Ruhe herrscht. Leichtfertig spricht er über Watzlawik, Luhmann, Schulz von Thun und all die anderen Theoretiker, an denen sich so mancher Student schon die Zähne ausgebissen hat. Und mittendrin findet sich auch eine Zeichnung, die das Thema Kommunikation in der Erziehung thematisiert. «Hier sieht man, wie unsere Kinder aufwachsen», sagt der Journalist und zeigt auf die Zeichnung, in der eine Weltkugel um das Kind kreist. «In der Schule lernen sie dann, dass die Erde um die Sonne kreist.»
Herr Krogerus, woher wissen Sie so viel über Kommunikation, dass sie eine ganze Ausstellung gestalten können?
Da stecken zwei Jahre Arbeit drin. Wir mussten praktisch ein Kurz-Studium absolvieren. Aber ich liebe es, mich in neue Themen einzuarbeiten, mich interessiert alles, worüber ich noch wenig weiss.
Was hat Sie an Kommunikationtheorien fasziniert?
Dass sie auf den ersten Blick einleuchten, weil jeder von uns jeden Tag mit diesen Themen konfrontiert ist, dass sich aber, wenn man genauer hinschaut, eine grosse Komplexität offenbart.
Die sich vermutlich schlecht in humorvolle Zeichnungen fassen lässt …
Die Zeichnungen sind Zuspitzungen, sie sollen neugierig machen – sie sind wie ein amuse bouche für die eigentliche Theorie. Wer weitergehen will, kann den dazugehörigen Text lesen, wer noch tiefer eintauchen möchte, findet den entsprechenden Literaturhinweis.
Sprache war immer Ihr Gebiet – ob als Werber oder später als Journalist. Und als Mann, der schon in Deutschland, Schweden, Dänemark, den USA, Finnland und der Schweiz gelebt hat. Wie viele Sprachen sprechen Sie eigentlich?
Ach, eigentlich nur Deutsch und Schwedisch. Englisch noch.
Dann war Ihr Studium in Dänemark auf Schwedisch?
Nein, auf Dänisch. Stimmt, das kann ich noch. Und Norwegisch. Das klingt jetzt aber so arg nach Sprachentalent – und das bin ich gar nicht.
Nun, ja: Sie begeistern immerhin unsere Leserinnen und Leser mit Ihren feinsinnigen Kolumnen – die Sie nicht in Ihrer Muttersprache schreiben!
Dankeschön. (lächelt verlegen)
Mehr gibt es dazu nicht zu sagen?
Ich habe gelernt Geschichten zu erzählen. Dass meine Texte manchmal Grammatikfehler haben, ist mir bis heute peinlich. Ich lasse Texte oft von meiner Frau lesen, damit sie die schlimmsten Fehler verhindert (und ein paar kluge Ideen reinstreut), bevor sie an die Redaktion gehen und dann gibt es ja zum Glück noch das Korrektorat, sonst wäre ich verloren.
Welche Sprachen sprechen Sie daheim?
Ich spreche mit den Kindern Schwedisch, meine Frau Berndeutsch. Untereinander reden wir hochdeutsch.
Warum war es Ihnen wichtig, dass die Kinder Schwedisch lernen?
Das war keine bewusste Entscheidung. Ich wusste einfach nicht, wie man auf Deutsch mit Babys spricht oder ihnen Lieder vorsingt. Wenn etwas mit starker Emotionalität verbunden ist, bricht ja oft die Muttersprache durch. Und dann ist das einfach so geblieben.
Führt die Mehrsprachigkeit zu Hause auch manchmal zu Missverständnissen?
Nicht wirklich, aber meine Tochter sagt viele Sätze zweimal direkt hintereinander. Auf Berndeutsch zu ihrer Mutter, und auf Schwedisch zu mir. Das klingt für andere vermutlich lustig.
Kommunizieren Sie anders mit Ihren Kindern, seit Sie sich so intensiv mit Kommunikation auseinandergesetzt haben?
(überlegt lange) Ich versuche es – aber ich scheitere kläglich. Ich weiss aus dem Kooperationsprinzip nach Paul Grice, dass ein guter Dialog nur entstehen kann, wenn man die Aussagen des anderen nicht bewertet. Trotzdem frage ich, wenn meine Tochter einen Strich bekommen hat in der Schule (Anmerkung der Redaktion: Warnsystem der Lehrperson, bei drei Strichen gibt es eine Strafarbeit): «Was hast du angestellt?» Anstatt wertfrei zu fragen: «Was ist passiert?». Sobald man eine Aussage aber so kommentiert, verliert man den Kontakt, weil das Gegenüber das Gefühl bekommt, sich rechtfertigen zu müssen. Die Theorien über gute Kommunikation in der Beziehung klingen so banal. Aber die Umsetzung ist enorm schwierig.
Wie sich im Alltag zeigt …
Ja, zum Beispiel die Sache mit den Ich-Botschaften. Ich weiss, dass ich gemäss der «Theorie der gewaltfreien Kommunikation» sagen sollte «es stört mich, wenn du die Türe knallst» anstatt «knall die Tür nicht». Es kostet aber Überwindung in Ich-Botschaften zu sprechen, vermutlich, weil man sich damit verletzlich zeigt. Wenn es gelingt, ist diese sogenannte Giraffen-Sprache aber ein grossartiges Mittel: Es gibt dem Gegenüber die Möglichkeit, sich auch verletzlich zu zeigen.
Gibt es etwas, was Sie gerne schon früher über gute Kommunikation gewusst hätten?
Vieles hat man ja intuitiv geahnt – zum Beispiel, dass Fragen wirkungsvoller sind als Antworten. Das hätte man mit mehr Wissen sicherlich noch verfeinern können. Von der Interviewtechnik zum Beispiel können wir für den nächsten Smalltalk lernen, dass man nicht nur eine Frage stellen und dann auf eine Gegenfrage warten sollte, um selber reden zu dürfen, sondern eine Folgefrage stellen kann, damit das Gespräch interessanter wird. Wenn Sie zum Beispiel gefragt haben: «Wo sind Sie aufgewachsen?» Könnte eine gute Folgefrage lauten: «Wie wäre Ihr Leben verlaufen, wenn Sie immer noch dort wohnen würden?» Da bekommt das Gespräch plötzlich eine ungeahnte Tiefe.
Was haben Sie noch von den Theorien für den Alltag gelernt?
Ein sehr guter Hinweis stammt von den Forschern Carl Rogers und Richard Farson: Wenn jemand erzählt, dass seine Mutter gestorben ist, dann spüren wir oft den Impuls, von uns zu erzählen, von dem Moment, als wir eine nahestehende Person verloren haben. Wenn jemand von Problemen im Job berichtet, erzählen wir häufig, dass auch wir unseren Job hassen. Wir machen das aus Verlegenheit und aus falsch verstandener Empathie. Wir wollen zeigen: Ich verstehe dich, ich habe dasselbe erlebt. Aber es ist nicht dasselbe. Es ist nie dasselbe. Niemand macht die gleiche Erfahrung. Vor allem aber: Wenn jemand von seinen Problemen erzählt, geht es nicht um uns, sondern um das Gegenüber.
Fragen zu stellen, ist ein Thema, das Sie schon länger begleitet: Sie haben mehrere Bücher mit Fragen geschrieben, die die Kommunikation anregen können.
Ja, zuerst «Das Fragebuch», das war im Prinzip eine Art Spickzettel für mich selbst, damit ich in Gesellschaft nicht diese immer gleichen Fragen stelle wie: «Was machen Sie beruflich?». Sondern vielleicht mal etwas anderes, zum Beispiel: «Wann haben Sie zum letzten Mal etwas zum ersten Mal getan?». Wir haben das Buch oft zu Hause hervorgeholt, wenn Freunde zu Besuch waren und die Kommunikation etwas einschlief. Mein Sohn hat dann gesehen, wie lustig wir es mit dem Buch hatten, und wollte auch mitmachen – also haben wir auch noch ein Buch mit Fragen für Kinder geschrieben.
Geht die Fragerei manchen Menschen nicht zu weit?
Es ist kein Verhör, man muss keine Frage beantworten. Aber meiner Erfahrung nach spricht eigentlich jeder Mensch gerne über sich. Wenn man ihm wirklich zuhört. Zuhören ist vermutlich die allerwichtigste Fähigkeit, die man sich aneignen sollte. Ich würde sagen, zuhören ist wichtiger als reden. Ganz generell werden Diskussionen in unserer Gesellschaft etwas überschätzt.
Inwiefern?
Na, lesen Sie sich doch einmal die Kommentarspalten im Internet durch. Da hat jeder seine Meinung und haut sie dem anderen um die Ohren, ohne wirklich zuzuhören oder die eigene Meinung zu hinterfragen. Ich habe jedenfalls noch nie gelesen, dass jemand unter einen langen Kommentar schrieb: «Gut, das hat mich jetzt überzeugt.»
Also wird bei Ihnen zu Hause nicht viel diskutiert?
Doch schon, wir reden und streiten viel und gerne, aber ich finde, auch mit Kindern muss man nicht alles ausdiskutieren.
Heutzutage gilt doch, dass Regeln mit den Kindern gemeinsam im Gespräch gefunden werden sollten.
Da bin ich tatsächlich anderer Meinung. Wenn alles immer verhandelbar ist und infrage gestellt werden kann, dann wird die vermeintliche Freiheit zum Terror. Ich glaube, manche Regeln sind nicht Zäune, sondern Geländer, an denen man sich festhalten kann.
Haben Sie ein Beispiel für eine solche Regel, um die Ihre ganze Familie froh ist?
Ach, es sind diese Kleinigkeiten, die man dann gar nicht mehr als Regeln erkennt, weil sie Selbstverständlichkeiten geworden sind: Schuhe ausziehen, bevor du eine Wohnung betrittst, Teller abräumen, Zähneputzen, Bett machen am Morgen, dem Gegenüber in die Augen schauen, wenn du dich entschuldigst, keine Smartphones am Tisch. Solche Sachen.
A propos Smartphone: Wie haben diese Geräte die Kommunikation in Ihrer Familie verändert?
Das Smartphone ist sicher einer der grossen Paradigmenwechsel der modernen Kommunikation, vergleichbar mit dem Buchdruck oder der Erfindung des Telefons. Bei uns zeigt sich das zum Beispiel an dem Paradox, dass meine Frau und ich das Smartphone viel nutzen und zugleich unseren Kindern erklären, dass man nicht immer an dem Gerät hängen soll. Es ist der grosse Erziehungswiderspruch des 21. Jahrhunderts. Ich habe keine vernünftige Antwort darauf.
Wenden Kinder eigentlich auch Kommunikationsstrategien an?
Klar, ein Klassiker geht so: Sie fragen so lange «Warum?» bis sie die Eltern in den Wahnsinn treiben. Und sie spüren intuitiv, wo du schwach bist und zielen darauf ab.
Und gute Argumente laufen ins Leere, was für Eltern bestimmt schwierig ist …
Absolut. Dieses irrationale Argumentieren – Logik zählt einfach nicht.
Wie reagiert man darauf?
Ich habe nicht die geringste Ahnung. (lacht) Wer hier einen heissen Tipp hat, sollte ihn mir unbedingt mitteilen. Ich lese ja unheimlich gerne Erziehungstipps, auch Jesper Juul und Fabian Grolimund im Fritz+Fränzi. Ich nicke das auch alles ab, aber das Umsetzen ist dann noch einmal eine ganz andere Sache. Wir erziehen mit Sicherheit nicht optimal.
Trotzdem geben Sie ja in Ihrem goldenen Kommunikationsbuch, das neben der Ausstellung erschienen ist, auch Erziehungstipps. Zum Beispiel sollen Eltern nicht fragen, wie es in der Schule war.
Der Ansatz stammt aus einer amerikanischen Studie. Im Kern geht es darum, dass in der Wahrnehmung der Kinder ein Schultag sehr lang ist und auch sehr lang her. «Wie war es in der Schule?», das ist so, als wenn ich Sie fragen würde: «Wie erging es Ihnen von Februar bis Mai 2016?». Es ist einfacher, wenn man spezifisch fragt: «Mit wem hast du heute in der Pause gespielt?» oder «Was habt ihr heute in Englisch durchgenommen?».
- Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler: Das Kommunikationsbuch, Kein & Aber 2017
- im selben Verlag von denselben Autoren: «Fragebuch», «Kinderfragebuch» und «Mein Fragebuch»
- Die Ausstellung zum Thema Kommunikationstheorien ist Teil der Dauerauststellung des Museum für Kommunikation in Bern.
- Beispiele für Krogerus-Kolumnen: Was kann mein Kind besser als alle anderen?; Wie erziehe ich mein Kind links? und: Kein Sommerhaus später