Wie erziehe ich mein Kind links? - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Wie erziehe ich mein Kind links?

Lesedauer: 2 Minuten
Es ist, wenn ich ehrlich bin, einer meiner grössten Alpträume: dass meine Kinder politisch rechts stehen könnten. Gucci-Handtaschen- Sammlerin, Freimaurer, FCB-Fan – wenn eine lebenslange Mitgliedschaft in der Muttenzerkurve die richtige Art ist, um sich von mir abzunabeln, warum nicht? Würden die beiden hingegen dereinst rechtsnationale Ansichten vertreten – hätte ich ein Problem. Womit wir beim Thema der Kolumne sind: Wie erzieht man sein Kind links? Entwicklungspsychologen sind sich überwiegend einig, dass das Wenige, auf das du als Elternteil wirklich Einfluss hast, die ersten Jahre des Kindes sind. Danach ist es zu spät.

Gegen diese These spricht die Arbeit eines amerikanischen Wissenschaftlers, der sein Forscherleben der Frage gewidmet hat, wie stark Eltern ihre Kinder politisch prägen können. Seine Beobachtung: Zwei Drittel aller Kinder vertreten im späteren Leben die gleichen politischen Ansichten wie ihre Eltern. Das deckt sich mit meiner Erfahrung. Selbst wenn wir die Werte und Ansichten unserer Eltern zunächst komplett ablehnen, so haben wir sie doch verinnerlicht. Du kannst das Kind aus der Kommune holen, aber nicht die Kommune aus dem Kind. Es gibt also Hoffnung für die Links-Indoktrination. Aber wie geht man vor? 

Einer meiner grössten Alpträume: dass meine Kinder politisch rechts stehen könnten.

Bei uns läuft es so: Linkssein ist keine Option, es ist eine Default-Einstellung. Es kommt regelmässig vor, dass meine Frau beim Nachtessen zu längeren Vorträgen über die Anschlussfähigkeit von Critical Whiteness und Differenzfeminismus ansetzt, während der Rest der Familie lustlos im verkochten Risotto herumstochert. Lange war ich sicher, dass das erste Wort meiner Tochter «Intersektionalität» sein würde. Man muss natürlich aufpassen. Der amerikanische Forscher wies darauf hin, dass zu heftiges Einreden kontraproduktiv wirke. Weshalb ich aus Sorge, dass sich die Kinder rebellisch gegen unsere Werte wenden, immer wieder prophylaktisch auf die Vorzüge von Low-Volatility-ETFs hinweise oder das Einstiegsgehalt von Junior-Beratern bei PriceWaterhouse-Cooper ins Tischgespräch einstreue.

Das Wichtigste ist natürlich, zu leben, was man predigt: Vor der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative stand meine Frau aus Protest zwei Tage lang in beissendem Nordwind mitten in der Stadt. Die Kinder brachten Tee, auch wenn es der Grosse ein wenig peinlich fand. Ich wiederum wurde an einer Anti-WEF-Demo von schwerbewaffneten Polizisten zu Boden geworfen und stundenlang verhört – was in den Augen meiner Kinder eine interessante Antithese zu meinem Hochfinanz-Geplapper bildet. 

Bei uns läuft es so: Linkssein ist keine Option, es ist eine Default-Einstellung.

Ferner: Meine Frau kann an keinem Bettler vorbeigehen, ohne ihm Geld zu geben. Und tatsächlich, die Kinder haben einen schier manischen Gerechtigkeitsfimmel: Jeder Bettler muss gleich viel Geld kriegen, die Kleine trauert heute noch um den Vogel, den unser Kater vor Wochen frass, und ihre 113 Kuscheltiere dürfen akribisch genau abwechselnd nachts neben ihr schlafen. Der amerikanische Forscher, der über politische Erziehung promovierte, identifizierte vier Faktoren, die starken Einfluss haben auf die politische Bildung: Heirate jemanden mit den gleichen politischen Ansichten. Rede zu Hause viel über Politik. Sei unterstützend und verständnisvoll gegenüber dem Kind. Vermeide allzu heftiges Lobbying. Wir erfüllen drei davon.

Zum Autor


Mikael Krogerus ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer Tochter und eines Sohnes, lebt in Biel und schreibt regelmässig für das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi und andere Schweizer Medien.