Kontaktabbruch: «Kinder schulden ihren Eltern nichts» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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Kontaktabbruch: «Kinder schulden ihren Eltern nichts»

Lesedauer: 2 Minuten

Die Philosophin Barbara Bleisch sagt, dass Kinder den radikalen Schritt, die Eltern aus ihrem Leben zu entfernen, niemals freiwillig und erst nach vielen Verletzungen vollziehen. Dieser Akt der Befreiung sei aber richtig und wichtig – und für die eigene Entwicklung manchmal sogar unabdingbar.

Frau Bleisch, warum ist ein Kontaktabbruch zwischen Kindern und Eltern so ein sensibles Thema?

Ein Kennzeichen von persönlichen Beziehungen, etwa in Familien oder bei Paaren, ist Vertrauen. Ein Kontaktabbruch ist deshalb immer auch ein Vertrauensbruch. Er mag gerechtfertigt sein oder nicht – leicht nimmt ihn niemand, vor allem nicht in Familien.

Kontaktabbruch Barbara Bleisch Autorin des Buches «Warum wir unseren Eltern nichts schulden».
Barbara Bleisch ist Philosophin und Moderatorin, Mitglied des Ethik-Zentrums der Universität Zürich und Autorin des Buches «Warum wir unseren Eltern nichts schulden».

Die Eltern-Kind-Beziehung ist ja besonders intensiv.

Ja, sie ist etwas Einzigartiges und Unersetzbares. Man kann zwar den Kontakt, aber nicht die Bindung abbrechen, denn jemand bleibt immer das Kind seiner Eltern bzw. der Vater oder die Mutter seines Kindes.

Der Kontaktabbruch erfolgt meist abrupt und unerwartet.

Die Beziehung zu den Eltern prägt die Identität des Kindes so stark, dass es seine Eltern nie «überwinden » kann. Und die Eltern haben in diese Beziehung meist sehr viel Fürsorge, Zeit und Geld investiert. Daher ist sie für beide Seiten etwas besonders Kostbares.

Bei beiden, Eltern und Kind, stehen die Verletzungen im Vordergrund.

Ein Kontaktabbruch zwischen Eltern und Kindern ist besonders ‹kostspielig›. Die Verletzlichkeit ist auf  beiden Seiten hoch und für beide entsteht eine Leerstelle im Leben. Zudem erfolgt der Kontaktabbruch meist abrupt und unerwartet. Gerade heute, wo vieles über elektronische Medien läuft, ist das ja relativ einfach möglich.

Auf was kommt es aus Ihrer Sicht bei der Beziehung zwischen Eltern und Kindern an?

Aus meiner Sicht ergibt sich allein aus der Tatsache, dass jemand das Kind seiner Eltern ist, keine Verpflichtung, den Kontakt für immer zu halten. Wenn Eltern ihr Kind schlecht behandeln oder es so sehr in seiner Entwicklung einengen, dass es nicht selbständig werden kann, hat das Kind auch nicht die Pflicht, den Kontakt fortzusetzen.

Die normative Kraft, die uns bindet, sollte die wechselseitige Liebe sein – und nicht das Gefühl, dem anderen etwas zu schulden.

Warum?

Gerade enge Beziehungen in Familien sind nichts Selbstverständliches, auch sie müssen gepflegt werden. Respekt und gegenseitiger Austausch sind dabei sehr wichtig. Die normative Kraft, die uns bindet, sollte aber die wechselseitige Liebe sein – und nicht das Gefühl, dem anderen etwas zu schulden.

Welche ethische Qualität im Umgang erachten Sie in Familien als wichtig?

Wir sind immer verpflichtet, unser Gegenüber zu achten, auf seine Gefühle Rücksicht zu nehmen und ihm nicht mutwillig Schaden zuzufügen. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit. Wir sollten nie achtlos über die Bedürfnisse und Erwartungen anderer hinweggehen oder sie mutwillig verletzen.

Was würden Sie Eltern und Kindern raten?

Kinder müssen sich, wenn sie erwachsen werden, aus der Abhängigkeit von den Eltern lösen. Wenn Eltern dies nicht zulassen, bleibt den Kindern manchmal kein anderer Weg, als den Kontakt abzubrechen. Wenn Kinder sich zu diesem Schritt entschliessen, sollten sie zumindest die Gründe gut überlegt haben. Und die Eltern haben aus meiner Sicht ein berechtigtes Interesse daran, diese Gründe zu erfahren, idealerweise  in einem persönlichen Gespräch.

Was sollten besonders Eltern beachten?

Die Eltern sollten sich wiederum klarmachen, dass kein Kind leichtfertig den Kontakt abbricht. Oft bahnt sich so etwas über längere Zeit an. Die Eltern sollten also auch bereit sein, ihr eigenes Verhalten kritisch  zu überdenken. Im besten Fall gelingt dann eines Tages ein Neuanfang.

Christine Amrhein
lebt und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin in München. Aus ihrer Erfahrung heraus ist es wichtig, dass auch ältere Eltern und erwachsene Kinder bereit sind, ihre Beziehung von Zeit zu Zeit zu reflektieren.

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