«Junge Geflüchtete können mit ihrer Motivation punkten»
Wie finden junge Geflüchtete eine Lehrstelle? Im Interview redet Caritas-Projektleiterin Laura Baumann über Stolpersteine und Chancen für betroffene Jugendliche.
Frau Baumann, junge Geflüchtete stecken in einer schwierigen Ausgangslage, um den Weg in die Berufsbildung zu finden. Welche Grundvoraussetzungen sind notwendig, damit sie überhaupt in diesen Prozess einsteigen können?
Jugendlichen Geflüchteten steht es rechtlich gesehen offen, eine Lehrstelle antreten zu dürfen, sofern sie keinen Ausweis N haben. Mit diesem Ausweis ist es praktisch nicht möglich, zu arbeiten. Selbst wenn dies nach einer Sperrfrist von drei bis sechs Monaten theoretisch erlaubt wäre, erteilt das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit praktisch keine Arbeitsbewilligungen. Die Erfahrung hat zudem gezeigt, dass es sehr förderlich ist, wenn die erste Orientierungsphase bereits abgeschlossen ist.
Die Skepsis ist oft gross, Geflüchtete einzustellen, wenn diese sich nur auf Papier vorstellen können.
Das heisst, sie sollten sich schon in der Schweiz eingelebt haben?
Sich mit wenig Geld und Kontakten in ein Land zu integrieren, ist sehr schwierig. Für diesen Vorgang braucht es viel Zeit. Beim Berufseinstieg hilft es, wenn zumindest der erste Ankommensprozess erfolgt ist und damit auch Ressourcen frei sind, sich wiederum auf etwas Neues einlassen zu können.
Was braucht es noch, damit die Suche nach dem Berufseinstieg für Geflüchtete erfolgreich verläuft?
Erste Sprachkenntnisse sind wichtig, ausserdem ist die Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem der Schweiz sicher sinnvoll. Ganz wichtig ist es zudem, gerade junge Geflüchtete, die vielleicht sogar alleine hier sind, vor sozialer Isolation zu bewahren.
Die Wahl der passenden Ausbildung nach der Sekundarschule lässt sich in sieben aufeinanderfolgende Aufgaben einteilen:
- Schritt 1: Eigene Interessen und Stärken kennenlernen
Wie Alltagsgewohnheiten und Wunschträume Jugendlichen als Wegweiser zur Selbsteinschätzung dienen können. Dazu ein Fragebogen für Berufswählende. - Schritt 2: Berufe und Ausbildungen kennenlernen
Die wichtigsten Bildungsangebote im Überblick, Berufe der Zukunft, wo der Mangel an Lernenden und Fachkräften am grössten ist und welche Berufswege über eine Hochschule führen. - Schritt 3: Eigene Stärken mit den Anforderungen von Berufen und Ausbildungen vergleichen
Der Abgleich der eigenen Fähigkeiten mit den Anforderungen von Berufen, wie auch Menschen mit Behinderung den Einstieg in das gewünschte Arbeitsumfeld finden und welche Rolle Leistungstests spielen. - Schritt 4: Interessante Berufen in einer Schnupperlehre kennenlernen
Das Berufswahlpraktikum ist der Realitätscheck: Welche Formen von Schnupperlehren es gibt und was Jugendliche über das Schnuppern wissen müssen. - Schritt 5: Mögliche Berufe und Ausbildungen überprüfen und eine Entscheidung fällen
Inwiefern der Berufseinstieg ein wesentlicher Schritt in der Persönlichkeitsentwicklung ist, warum der Lehrbetrieb so gut passen muss wie der Beruf – und wie junge Berufsleute um Titel wetteifern. - Schritt 6: Eine Lehrstelle suchen oder sich bei einer Schule anmelden
Worauf es bei der Lehrstellensuche ankommt, wie man einen guten Eindruck im Vorstellungsgespräch macht und zehn Tipps für eine überzeugende Bewerbungsmappe. - Schritt 7: Sich auf die Lehre oder Schule vorbereiten oder Brückenangebote abklären
Wenn der weitere Weg nach der obligatorischen Schule feststeht, gilt es sich zu informieren und darauf vorzubereiten – ansonsten gibt es eine Reihe sinnvoller Brückenangebote.
Bei incluso unterstützen freiwillige Mentoren und Mentorinnen Jugendliche bei der Suche nach einer Lehrstelle. So entsteht ein direkter Kontakt zur Bevölkerung.
Wir haben mit diesen Tandems sehr gute Erfahrungen gemacht. Mentoren und Mentorinnen werden für Geflüchtete – aber auch für sonstige Jugendliche mit Migrationshintergrund – zu wichtigen Bezugspersonen. Dies ermöglicht kulturelles Verständnis, öffnet aber auch den Zugang zum Netzwerk einer Person, die hier schon jahrelang lebt und arbeitet.
Können sich Geflüchtete persönlich vorstellen und mit ihren Fertigkeiten punkten, lösen sich die Bedenken schnell in Luft auf.
Das ist sicher hilfreich, dennoch gibt es oftmals sprachliche und schulische Defizite, die den Berufsantritt erschweren. Wie können diese überwunden werden?
Bei spät Migrierten und Geflüchteten ist es wichtig, dass sie sich persönlich bei Entscheidungsträgern eines Betriebes vorstellen dürfen. Viele sind extrem motiviert, eine Lehrstelle zu finden. Erhalten sie die Möglichkeit, dies in einer Schnupperlehre zu zeigen, steigen ihre Chancen deutlich. Die Skepsis ist oft gross, Geflüchtete einzustellen, wenn diese sich nur auf Papier vorstellen können.
Woran liegt das?
Geflüchtete weisen oft eine weniger lineare Schullaufbahn vor. Dazu kommen kulturelle Unterschiede, die zu Missverständnissen führen, die unsichere Situation, die zum Beispiel ein F-Ausweis mit sich bringt, oder auch die Angst, dass jemand die Berufsschule nicht schaffen könnte und die Lehrstelle deswegen wieder neu besetzt werden müsste. Das ist im Arbeitsalltag mit Aufwand verbunden. Können sich Geflüchtete allerdings persönlich vorstellen und in der praktischen Arbeit mit Fertigkeiten und interessiertem Auftreten punkten, lösen sich diese Bedenken schnell in Luft auf.
incluso sucht laufend freiwillige Mentorinnen und Mentoren, die sich für Chancengerechtigkeit bei derLehrstellensuche engagieren möchten.
Anmeldung: incluso@caritas-zuerich.ch