«Junge Geflüchtete können mit ihrer Motivation punkten» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Merken
Drucken

«Junge Geflüchtete können mit ihrer Motivation punkten»

Lesedauer: 3 Minuten

Wie finden junge Geflüchtete eine Lehrstelle? Im Interview redet Caritas-Projektleiterin Laura Baumann über Stolpersteine und Chancen für betroffene Jugendliche.

Interview: Susanna Valentin
Bild: Rawpixel

Frau Baumann, junge Geflüchtete stecken in einer schwierigen Ausgangslage, um den Weg in die Berufsbildung zu finden. Welche Grundvoraussetzungen sind notwendig, damit sie überhaupt in diesen Prozess einsteigen können? 

Jugendlichen Geflüchteten steht es rechtlich gesehen offen, eine Lehrstelle antreten zu dürfen, sofern sie keinen Ausweis N haben. Mit diesem Ausweis ist es praktisch nicht möglich, zu arbeiten. Selbst wenn dies nach einer Sperrfrist von drei bis sechs Monaten theoretisch erlaubt wäre, erteilt das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit praktisch keine Arbeitsbewilligungen. Die Erfahrung hat zudem gezeigt, dass es sehr förderlich ist, wenn die erste Orientierungs­phase bereits abgeschlossen ist. 

Die Skepsis ist oft gross, Geflüchtete einzustellen, wenn diese sich nur auf Papier vorstellen können. 

Das heisst, sie sollten sich schon in der Schweiz eingelebt haben?

Sich mit wenig Geld und Kontakten in ein Land zu integrieren, ist sehr schwierig. Für diesen Vorgang braucht es viel Zeit. Beim Berufseinstieg hilft es, wenn zumindest der erste Ankommensprozess erfolgt ist und damit auch Ressourcen frei sind, sich wiederum auf etwas Neues einlassen zu können. 

Laura Baumann, 33, hat Politikwissenschaften studiert. Beim Zürcher Flüchtlingstag kam sie mit der Caritas in Kontakt. Bei incluso engagiert sie sich für die berufliche Integration von jungen Menschen mit Migrationshintergrund.

Was braucht es noch, damit die Suche nach dem Berufseinstieg für Geflüchtete erfolgreich verläuft? 

Erste Sprachkenntnisse sind wichtig, ausserdem ist die Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem der Schweiz sicher sinnvoll. Ganz wichtig ist es zudem, gerade junge Geflüchtete, die vielleicht sogar alleine hier sind, vor sozialer Isolation zu bewahren. 

In sieben Schritten den eigenen Weg finden

Die Wahl der passenden Ausbildung nach der Sekundarschule lässt sich in sieben aufeinanderfolgende Aufgaben einteilen:

Bei incluso unterstützen freiwillige Mentoren und Mentorinnen Jugendliche bei der Suche nach einer Lehrstelle. So entsteht ein direkter Kontakt zur Bevölkerung. 

Wir haben mit diesen Tandems sehr gute Erfahrungen gemacht. Mentoren und Mentorinnen werden für Geflüchtete – aber auch für sonstige Jugendliche mit Migrationshintergrund – zu wichtigen Bezugspersonen. Dies ermöglicht kulturelles Verständnis, öffnet aber auch den Zugang zum Netzwerk einer Person, die hier schon jahre­lang lebt und arbeitet. 

Können sich Geflüchtete persönlich vorstellen und mit ihren Fertigkeiten punkten, lösen sich ­die Bedenken schnell in Luft auf.

Das ist sicher hilfreich, dennoch gibt es oftmals sprachliche und schulische Defizite, die den Berufsantritt erschweren. Wie können diese überwunden werden? 

Bei spät Migrierten und Geflüchteten ist es wichtig, dass sie sich persönlich bei Entscheidungsträgern eines Betriebes vorstellen dürfen. Viele sind extrem motiviert, eine Lehrstelle zu finden. Erhalten sie die Möglichkeit, dies in einer Schnupperlehre zu zeigen, steigen ihre Chancen deutlich. Die Skepsis ist oft gross, Geflüchtete einzustellen, wenn diese sich nur auf Papier vorstellen können. 

Woran liegt das? 

Geflüchtete weisen oft eine weniger lineare Schullaufbahn vor. Dazu kommen kulturelle Unterschiede, die zu Missverständnissen führen, die unsichere Situa­tion, die zum Beispiel ein F-Ausweis mit sich bringt, oder auch die Angst, dass jemand die Berufsschule nicht schaffen könnte und die Lehrstelle deswegen wieder neu besetzt werden müsste. Das ist im Arbeitsalltag mit Aufwand verbunden. Können sich Geflüchtete allerdings persönlich vorstellen und in der praktischen Arbeit mit Fertigkeiten und interessiertem Auftreten punkten, lösen sich ­diese Bedenken schnell in Luft auf.

Gesucht:

incluso sucht laufend freiwillige ­Mentorinnen und Mentoren, die sich für Chancengerechtigkeit bei derLehrstellensuche engagieren möchten.

Anmeldung: incluso@caritas-zuerich.ch

Hier können Sie das Berufswahl-Spezial als Einzelausgabe bestellen für 4.10 Fr. plus Porto.

Susanna Valentin
schätzt das durchlässige Schweizer Bildungssystem und hat es gleich selbst genutzt. Vor vier Jahren liess sich die diplomierte Heil- und Sozialpädagogin zur Fachjournalistin ausbilden.

Alle Artikel von Susanna Valentin

Mehr zum Thema Berufswahl:

Advertorial
Erfolgreicher Start in das Berufsleben
Mit einem KV-Lehrgang bei der HSO erhält dein Kind eine fundierte Ausbildung für einen Einstieg in eine erfolgreiche Karriere.
Berufswahl
«Nicht jeder Weg verläuft gerade»
Job Caddie ist ein kostenloses Mentoring für Jugendliche und junge Erwachsene mit Schwierigkeiten in der Lehre und beim Berufseinstieg.
Elternblog
«Was willst du werden, wenn du gross bist?»
Unser Kolumnist Mikael Krogerus schreibt, warum wir aufhören sollten, unseren Kindern diese Frage zu stellen und welche Frage die richtige wäre.
Berufswahl
Lauras Kampf um den Titel der Schreiner-Schweizermeisterin
Laura Leimgruber hat an den SwissSkills in Bern um den Titel der Schweizermeisterin der Schreinerinnen und Schreiner gekämpft. Ihre sportliche Vergangenheit und eineinhalb Jahre Vorbereitung auf den Wettkampf haben ihr geholfen, vier Tage lang Tempo und Präzision unter einen Hut zu kriegen.
Berufswahl
«Der Lehrbetrieb muss so gut passen wie der Beruf»
Damit die Lehre gelingt, sollte neben der Arbeit auch das Umfeld stimmen. Manche entscheiden sich gar wegen eines Betriebs für einen Beruf.
Berufswahl
«Wo Berufsvirtuosen um Medaillen kämpfen»
Wer ist die beste Bootsbauerin der Schweiz, die beste Hufschmiedin, der beste Koch? An den Schweizer Berufsmeisterschaften in Bern kämpfen über 1000 junge Berufsleute um Titel und Medaillen. Die Swiss Skills finden zum dritten Mal statt.
Berufswahl
«Die Lehrperson führt durch den Prozess, die Berufsberatung ergänzt»
Laufbahn-Experte Daniel Reumiller über Aufgaben und Grenzen der Berufsberatung und was hilft, wenn Eltern ihr Kind bei der Berufswahl anders beurteilen als die Schule.
Berufswahl
Das Vorstellungsgespräch – so machen Sie eine gute Figur
Es ist die letzte Etappe auf dem Weg zur Lehrstelle – und die vielleicht schwierigste: das Bewerbungsgespräch. Die besten Tipps im Überblick.
Berufswahl
Dieses Sprungbrett hilft jungen Flüchtlingen eine Lehrstelle zu finden
Die Integrationsvorlehre bereitet spät in die Schweiz Migrierte auf eine Berufslehre vor. So finden sie Anschluss an die Berufsbildung und an unsere Gesellschaft.
Berufswahl
«Die Verantwortung liegt bei den Eltern, nicht bei der Schule»
Berufswahl-Expertin Ruth Sprecher über die optimale Rollenverteilung zwischen Eltern, Schule und Berufsberatung bei der Lehrstellensuche.
Berufswahl
Berufsbildung geht auch mit Handicap
Für eine Berufslehre brauchen Menschen mit einer Behinderung oft entsprechende Unterstützung und aufgeschlossene Lehrbetriebe.
Berufswahl
Berufswahl: Infos, Links und Termine
In unserem Service-Teil finden Sie alle wichtigen Infos, Links und Termine für Jugendliche, die auf der Suche nach einer passenden Ausbildung sind.
Berufswahl
Brückenangebote sind keine Notlösung
Das zehnte Schuljahr gilt als Notlösung für die, die keine Lehrstelle gefunden haben. In Wahrheit ist es ein sinnvolles Bildungsangebot.
Berufswahl
«Als Au-pair habe ich ­gelernt, Verantwortung zu übernehmen»
Arthur Pasquier, 16, aus Bern, wollte sich schulisch und als Person weiterentwickeln. Darum machte er ein zehntes Schuljahr als Au-pair im Tessin.
Berufswahl
«Menschen zu helfen ist ein einzigartiges Gefühl»
Lukas Günther, 21, aus Lohn-Ammansegg SO, hat die Lehre zum Fachangestellten Gesundheit EFZ abgeschlossen und absolviert nun die Höhere Fachschule, um Pflegefachmann zu werden. Danach will er sich zum Rettungssanitäter ausbilden lassen.
Berufswahl
Eine gute Bewerbung ist noch keine erfolgreiche
Oft gleichen sich schriftliche Bewerbungsunterlagen wie ein Ei dem anderen. Personalverantwortliche sind trotzdem in der Lage, ­Unterschiede herauszufiltern.
Berufswahl
«Jugendliche wollen mit ihren Anliegen ernst genommen werden»
Berufsberaterin Chantal Kronenberg begleitet Jugendliche Schritt für Schritt zur Berufs-und Ausbildungswahl. Dabei setzt sie auf Offenheit und Wertschätzung.
Berufswahl
«Ich mag es, auf den Zehntelmillimeter genau zu arbeiten»
Laura Leimgruber, 19, aus Fahrwangen AG, lernt Schreinerin EFZ mit Berufsmatur. An den Swiss Skills kämpft sie um den Schweizer Meister-Titel.
Berufswahl
«Ich gab Vollgas, wollte zeigen, wie motiviert ich bin»
Noël Stoffel, 17, aus Unterterzen SG, fand in seiner Schnupperlehre als Velomechaniker nicht nur seinen Wunschberuf, sondern gleich auch seinen Lehrbetrieb.
Berufswahl
Schnupperlehre: eine Nase voll Arbeitsluft
Eine Schnupperlehre ist eine wunderbare Gelegenheit, einen Beruf zu erleben, auszuprobieren und die Stimmung im Betrieb zu spüren. Sie ist der ultimative Realitätscheck für junge Lehrstellensuchende.
Berufswahl
«Ich liebe es, bei Kunden Unterhaltungsgeräte zu installieren»
Frances Vu-To, 17, aus Ruswil LU, hat im zehnten Schuljahr ihren Wunschberuf entdeckt. Als Multimediaelektronikerin installiert sie Fernseher, Home Cinemas, Smartphones und mehr.
Berufswahl
Das grosse Vermessen
Jede Lehre und jede Schule hat spezifische Anforderungen. Berufssuchende sollten entweder an ihren Fähigkeiten arbeiten oder eine weniger anforderungsreiche Lehre suchen.
Berufswahl
Diese Berufsleute sind gefragt
Corona und der Krieg in der Ukraine bringen für ­Unternehmen neue Herausforderungen mit sich. Zugleich fehlen Lernende und Fachkräfte in verschiedenen ­Berufsfeldern. Einige bieten gute Aufstiegschancen.
Berufswahl
26 Berufe, die in Zukunft gefragt sind
Pandemie-Beraterin, Körperteil-Ingenieur, digitale Bestatterin: Solche Berufe könnten künftig wichtig werden – oder sind es bereits.