So unterstützen Eltern ihr Kind bei der Berufswahl
Zwei Expertinnen erzählen, weshalb viele Jugendliche anfangs noch nicht ihren Traumberuf ergreifen und weshalb Geduld in dieser Phase die wichtigste elterliche Tugend ist.
Die Antwort kommt postwendend. «Jetzt grad nicht!», ruft der 14-Jährige, sobald seine Eltern das Thema auf für ihn in Frage kommende Ausbildungsberufe lenken – und verschwindet wieder hinter der Spielkonsole. Ganz anders seine Cousine: «Ich weiss, was ich werden will!», verkündet die 15-Jährige selbstbewusst. Kurz sind Vater und Mutter voller Hoffnung – bis die Tochter «Influencerin!» ruft und die elterliche Erleichterung wie Seifenblasen zerplatzt.
Tatsächlich sind beide Szenarien prädestiniert dafür, Eltern schlaflose Nächte zu bereiten. Wie schön war es doch, als der nächste Zukunftsschritt des Nachwuchses lediglich aus Matheprüfungen oder Vokabeltests bestand. Ausgerechnet dann, wenn hormonell alles im Umbruch ist und Jugendliche schon mit normalen Alltagstätigkeiten überfordert sind, müssen sie sich zusätzlich mit der Frage «Was will ich werden?» auseinandersetzen. 14- oder 15-Jährige, die eben noch Playmobil gespielt haben, sollen sich plötzlich um Schnupperlehren kümmern.
Influencerin oder Youtuber? Eltern sollten jeden Berufswunsch ihres Kindes ernst nehmen – egal, was es ist, rät die Expertin.
Laut Bundesamt für Statistik entscheiden sich zwei Drittel der Heranwachsenden in der Schweiz für eine berufliche Grundbildung – und steigen so im Anschluss an die obligatorische Schulzeit in die Arbeitswelt ein. Rund 240 Berufe stehen ihnen hier zur Auswahl. Welche Rolle fällt dabei den Eltern zu? Wie begleiten sie idealerweise den Nachwuchs beim Start in die Erwachsenenwelt?
Raus aus der Komfortzone
«Sämtliche Studien zeigen: Mutter und Vater spielen bei der Berufswahl ihrer Kinder die wichtigste Rolle», sagt Giuliana Lamberti. Sie hat die Beratungsstelle Starke Eltern – Starke Jugend in Zürich gegründet, um Mütter und Väter in der Übergangszeit von Schule zu Berufslehre zu unterstützen – kostenlos und in mehreren Sprachen, vor allem für Eltern, die das Schweizer Bildungssystem nicht kennen.
Cornelia Dellmann, Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin im Berufsinformationszentrum BIZ Uster ZH, findet: «Eltern sollten Kindern vor allem Zuversicht und Mut vermitteln.» Schliesslich sei der Nachwuchs in dieser Phase des Übergangs gezwungen, seine Komfortzone zu verlassen – was immer mit gewissen Sorgen, Ängsten und Unsicherheiten verbunden ist. «Hilfreich ist hier, wenn es eine starke Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichen gibt und Kinder ein gewisses Urvertrauen haben – dann meistern sie in der Regel auch den Übergang von der Schule zur Berufswelt gut», so Dellmann.
Bei den Phasen der Berufsfindung sind Eltern also Wegbegleitende – etwa, wenn es im ersten Schritt darum geht, herauszufinden: «Was habe ich eigentlich für Talente und Interessen?» Wichtig sei dabei, den Nachwuchs von seinen Vorstellungen und Ideen erzählen zu lassen. «Natürlich kennen Eltern ihr Kind am besten und können deshalb gut einschätzen, welche Stärken es hat», sagt Lamberti.
Gleichzeitig müsse Mutter und Vater aber auch klar sein: «Nicht unsere Träume sollen wahr werden, sondern die des Kindes.» In Gesprächen mit dem Nachwuchs gelte es deshalb Anregungen zu geben, ohne zu stark zu lenken. Im Sinne von «Du bist doch gut in allem, was mit Mathe zu tun hat» oder «Wenn du etwas Handwerkliches machst, blühst du auf». Kurz: Eltern sollten Jugendlichen mit einer gelassenen, wohlwollenden Haltung begegnen und darauf vertrauen, dass sie den richtigen Weg finden.
Dabei sind realistische Einschätzungen durchaus erlaubt («Du bist doch immer draussen und in Bewegung – ich sehe dich nicht acht Stunden hinter einem Computer sitzen»). Dasselbe gilt auch für fachliche Kenntnisse. «Jemand, der auf der Sek B richtig schlechte Mathenoten hat und Informatiker werden möchte, würde ich zwar nicht davon abhalten», sagt Fachfrau Lamberti, «aber zumindest aufzeigen, dass das schwierig wird.»
Was aber tun, wenn die Tochter beispielsweise eine Ausbildung in der Pflege machen möchte, die Eltern aber überzeugt sind: «Das ist überhaupt nichts für sie»? «Machen lassen!», findet Lamberti. «Genau dafür gibt es ja Schnupperlehren, damit Schülerinnen und Schüler ein konkreteres Bild von ihren vagen Vorstellungen bekommen.» In vielen Fällen wachsen Jugendliche ohnehin über sich hinaus, so die Erfahrung der Fachfrau: «Häufig sind sie zu Dingen fähig, die ihnen ihre Eltern überhaupt nicht zugetraut hätten.»
Wünsche ernst nehmen
Etwas schwieriger gestaltet es sich, wenn die Berufswünsche des Nachwuchses Influencerin, Youtuber, Schauspielerin oder Tiefseetaucher lauten – Professionen also, die viele Eltern im ersten Impuls am liebsten mit «Das wird eh nix!» abbügeln würden. Berufsberaterin Dellmann rät auch hier: «Nicht gleich ausreden, sondern ernst nehmen – egal, was es ist.» Wünsche sollten grundsätzlich akzeptiert werden, findet sie – auch wenn Eltern dabei mit ihren Urängsten konfrontiert werden («Kann das gut gehen?», «Wird sie sich so ernähren können?»). «Doch damit müssen Eltern fertig werden.»
Tatsächlich wandeln sich Berufsfelder heute extrem schnell. «Niemand weiss genau, was in zehn Jahren ein sicherer Arbeitgeber sein wird», gibt die Laufbahnberaterin zu bedenken. Hat der Nachwuchs klare Vorstellungen von seinem künftigen Beruf – so abwegig dieser aus Elternsicht auch klingen mag –, gelte es deshalb gemeinsam zu schauen: Welche Ausbildung hilft dir, um deinem Ziel näher zu kommen? «Das Schöne an unserem Bildungssystem ist ja die grosse Durchlässigkeit», findet Cornelia Dellmann.
Zwar entscheiden sich Jugendliche etwa mit 14 Jahren für eine Berufsrichtung. «Aber es ist nur ein erster Schritt auf dem Weg, den sie die nächsten drei bis vier Jahre verfolgen. Danach stehen ihnen immer noch alle Wege offen.»
So sieht es auch Giuliana Lamberti: «Die erste Auswahl ist längst nicht die letzte. Wer heute Schreiner lernt, übt diesen Beruf nicht mehr bis zum Lebensende aus.» Natürlich sei es wichtig, dass die gewählte Ausbildung interessiere und Spass mache. Drei Jahre könnten sonst sehr lang werden.
«Ein Teil der Jugendlichen ergreift im ersten Schritt nicht den Traumberuf», so die Fachfrau. «Manche wissen zu diesem frühen Zeitpunkt noch gar nicht genau, welcher dies überhaupt ist – das entwickelt sich oft erst mit der Zeit.» Hilfreich sei jedoch, wenn die grobe Richtung klar ist: «Möchte jemand Theaterbeleuchtungsmeister werden, lernt er vielleicht zuerst mal Elektriker», so Lamberti, «dann stimmt zumindest schon mal die Tendenz.»
Das A und O bei der Berufswahl ist eine positive Grundhaltung der Eltern.
Cornelia Dellmann, Laufbahnberaterin
Häufig liegt Eltern das Thema Berufswahl schwerer im Magen als dem unmittelbar davon betroffenen Nachwuchs. Deshalb gründete Giuliana Lamberti einst den Verein Starke Eltern – Starke Jugend. «Sich gezielt zu informieren, hilft am besten gegen Ängste und Unsicherheit», ist sie überzeugt.
Cornelia Dellmann rät Eltern und Lehrstellensuchenden: «Geht zusammen zur Berufsberatung ins BIZ oder zu Berufsmessen wie den Swiss Skills. Da gibt es tolle Angebote und Workshops.» Ein gemeinsamer Besuch mit dem Nachwuchs fördere nicht nur das Interesse für den Berufswahlprozess, sondern stärke auch die Eltern-Kind-Beziehung. Hinzu kommt: «Weiss ich als Mutter, was ein Polymech genau macht, weil ich auf der Messe mit dem Berufsausbildner reden konnte, bin ich klar im Vorteil.» Ausserdem erleben Jung wie Alt bei dieser Gelegenheit, welche spannenden Ausbildungsprofile es überhaupt gibt. «Solche gemeinsamen Erlebnisse machen Freude», findet Dellmann. Und sie sind allesamt besser, als den Jugendlichen ständig zu ermahnen, er müsse sich endlich für eine Lehrstelle entscheiden.
Vor allem, wenn der Nachwuchs so gar keine Lust hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen, ist eine positive Grundhaltung der Eltern zur Berufswahl das A und O. «Mutter und Vater müssen an die Stärken und Talente des Kindes glauben und ausstrahlen, wie spannend das Ganze ist», sagt die BIZ-Beraterin. Mit Druck hingegen lasse sich überhaupt nichts erreichen.
- Sich im Klaren sein: Die Adoleszenz ist eine Entwicklungsphase, in der sehr viel passiert. Wohin es den Nachwuchs beruflich zieht, zeigt sich oft erst mit der Zeit. Eltern müssen hier mit Unsicherheiten umgehen können.
- Die eigenen Erwartungen zurücknehmen: Jugendlichen den Freiraum geben, ihre Individualität zu entdecken und ihre eigenen Erfahrungen ausserhalb des Elternhauses zu machen.
- Zuhören. Und fragen («Wie geht es dir damit?»). Und noch mehr zuhören.
- Vorbildfunktion wahrnehmen, sich selbst auf einschlägigen Plattformen über Berufsbilder und Ausbildungsdetails informieren, evtl. gemeinsam mit dem Nachwuchs auf Veranstaltungen und Workshops gehen und so Jugendlichen signalisieren: «Uns Eltern interessiert das auch!»
- Falls Jugendliche beim Thema Berufsausbildung blockieren: sich im eigenen Beziehungsnetz umhören, ob der Nachwuchs irgendwo für einen Tag schnuppern könnte. Solche Einblicke in die Arbeitswelt können das nötige Zutrauen liefern, damit Jugendliche selbst aktiv werden.
- Helfen, aber nicht aufdrängen: Beim Schreiben von Bewerbungen oder Vorbereiten von Gesprächen dürfen Eltern helfen – wenn der Nachwuchs von sich aus darum bittet. Aber nicht aufdrängen, dies löst nur Passivität aus.
Quelle: Cornelia Dellmann, Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin im BIZ Uster ZH
Dem pflichtet Giuliana Lamberti bei: «Druck bewirkt höchstens, dass sich Jugendliche noch mehr abwenden», ist sie überzeugt. Was sie Eltern in dieser Situation rät? «Habt ein bisschen Geduld! Vielleicht ist der Nachwuchs ja auch einfach noch nicht so weit.» Nicht umsonst gibt es Brückenangebote wie das 10. Schuljahr, Vorbereitungsschulen, Motivationssemester oder ein Austausch im Ausland. «Unter Zwang jedenfalls hat noch nie jemand eine passende Lehrstelle gefunden.»
«Berufswahl passiert nicht von heute auf morgen», sagt Cornelia Dellmann. Das Ganze ist vielmehr ein Prozess, bei dem es herauszufinden gilt: Wer bin ich? Und was passt zu mir? Fragen, die sich nicht aus dem Stegreif beantworten lassen. Die BIZ-Beraterin findet es immer wieder spannend zu sehen, wie sich Jugendliche während dieses Prozesses verändern.
Eltern tun gut daran, sich in dieser Zeit in Geduld zu üben, sich von eigenen Erwartungen zu lösen und darauf zu vertrauen, dass die Tochter oder der Sohn schon den für sie richtigen Weg einschlägt, weiss Dellmann. «Das macht das Elternsein ja so spannend», sagt die Mutter eines 22-Jährigen und einer 19-Jährigen: «Weil man beim Zuschauen, wie der Nachwuchs seinen Weg findet, sich auch als Eltern weiterentwickelt. Und dabei so einiges über sich selbst erfährt.»
- Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung der Schweiz mit Links zu kantonalen Angeboten. Neben persönlicher Beratung finden sich hier Videos über sämtliche Ausbildungsberufe, Adressen für Schnupperlehrstellen, Infos über den gesamten Berufswahlprozess und vieles mehr.
www.berufsberatung.ch
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