Berufswahl: «Eltern müssen ihr Kind ins Zentrum stellen»
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«Eltern müssen ihr Kind ins Zentrum stellen»

Lesedauer: 3 Minuten

Die Berufswahl ist Teamwork innerhalb der Familie. Berufsberater Lars Hering über unterschiedliche Berufsvorstellungen von Eltern und Jugendlichen – und warum Stellensuchende zurzeit optimistisch in die Zukunft blicken können.

Interview: Susanna Valentin
Bild: Adobe Stock

Herr Hering, wie stark beeinflussen Eltern den ­Berufswunsch ihrer Kinder?

Mütter und Väter sind die wichtigsten Partnerinnen und Partner in Bezug auf die Berufsfindung. Sie sind Vorbilder, üben oft selbst einen Beruf aus. Was erzählen sie zu Hause davon? Ist das Funkeln spürbar, die Begeisterung für ihren Job? Oder stöhnen sie am Sonntagabend, weil sie am Montag wieder zur Arbeit müssen? Fühlen sie sich dem Chef oder der Chefin hilflos ausgeliefert oder verstehen sie sich selbst als handelnde Person? All das nehmen die Jugendlichen auf. Ihre Haltung gegenüber der Berufswelt wird auf diese Weise geprägt.

Welche Haltung wäre hilfreich im Hinblick auf den Berufswahlprozess?

Ideal ist eine optimistische, aktive Haltung. Die Berufswahl ist ein erster Laufbahnentscheid. Es geht darum, Berufe kennenzulernen und das zu finden, was einem Spass macht und wofür man brennt. Schnuppern ist dazu eine tolle Möglichkeit. Eltern können die Berufswahl zum Thema machen und ihr Kind dabei begleiten. Sie können regelmäs­sig nachfragen, müssen aber auch die nötige Geduld und das Vertrauen aufbringen, dass das Kind seinen Weg findet.

Lars Hering ist Leiter der Fachstelle Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung beim Berufs­informationszentrum Basel-Stadt. Der 47-Jährige ist Vater von zwei Kindern im Alter von 5 und 7 Jahren und lebt mit seiner Familie in Basel.

Wie können Eltern ihr Kind im Berufswahlprozess ­unterstützen?

Eltern können nachfragen und ihre Beobachtungen schildern, beispielsweise, wenn ein schulmüdes Kind strahlend aus der Schnupperlehre kommt. Sie können das Kind aber auch nach einer Absage trösten. Ausserdem können sie ihr Netzwerk nutzen oder – noch besser – zusammen mit ihrem Kind schauen, ob jemand im Bekanntenkreis einen Beruf ausübt, in dem es schnuppern möchte. Das kann jemand aus dem Fussballclub oder aus der Nachbarschaft sein.

Wie oft geschieht es, dass Eltern und Jugendliche unterschiedliche Berufsvorstellungen haben?

Natürlich kommt es vor, dass Eltern die Frage, was zu ihrem Kind passen könnte, anders beantworten als das Kind selbst. Dann ist es wichtig, die stellensuchende Person ins Zentrum zu rücken. Warum genau interessiert ein bestimmter Beruf? Gibt es akutell einen Hype auf Social Media? Ist das Interesse für den Beruf begründet, wurde bereits geschnuppert? Ist der Funke da?

‹Mehr Schule› muss zu den Interessen und Fähigkeiten des Kindes passen.

Sind diese Aspekte geklärt, wächst meist das Verständnis seitens der Eltern für den Berufswunsch ihres Kindes. Die Erwartungen zu ändern oder anzupassen, kann auch schwierig sein. Viele Eltern definieren sich über den Beruf ihres Kindes. Auch das Prestige spielt eine Rolle. Oft wollen wir für unsere Kinder nichts Schlechteres, als wir selbst absolviert haben.

Für viele Eltern ist das Gymnasium nach wie vor der Königsweg bei der Berufswahl. Warum?

Eltern wollen nur das Beste für ihr Kind. «Mehr Schule» wird oft fälschlicherweise als besser oder sicherer gewertet. «Mehr Schule» muss aber zu den Interessen und Fähigkeiten des Kindes passen. Und: Die Lehre ist keine Schnellbleiche, sondern eine Ausbildung, in der fundiertes Wissen vermittelt wird. Mit der Berufsmaturität und der Passerelle stehen zudem alle Wege offen.

Haben Eltern mit akademischem Hintergrund Vorbehalte gegenüber der Lehre, braucht es Aufklärung: Die Berufsbildung ist die Regelausbildung in der Schweiz. Vielleicht beruhigt es ja, dass auch der amtierende UBS-Chef Sergio Ermotti den Weg der Berufsbildung gewählt hat. Und dann kommt es vor, dass wir Eltern vom Gymi überzeugen müssen, weil sie selbst eine Lehre absolviert haben. Das Unbekannte ist schwieriger zu fassen.

Welches Konfliktpotenzial birgt die Wahl einer Lehre?

Konflikte kann es sowohl in Bezug auf das Niveau der Lehre als auch auf die Wahl geben. Zum Beispiel dann, wenn Jugendliche in eine EFZ-Lehre gedrängt werden, obwohl eine zweijährige Attestausbildung im ersten Schritt sinnvoller wäre. Oft ist es in der Berufsbildung zielführender, Druck rauszunehmen und Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Das steigert die Motivation für das Berufsleben.

Es gibt aktuell genug Lehrstellen, aber natürlich nicht für jeden Beruf.

Wie optimistisch können Lehrstellensuchende auf den Stellenmarkt blicken?

Es gibt aktuell genug Lehrstellen, aber natürlich nicht für jeden Beruf. Prinzipiell können Jugendliche sehr zuversichtlich an die Berufswahl herangehen. Die Installation von Küchen, die Pflege von Menschen, die Nachhaltigkeit, die mit dem Bau von Solarzellen und Wärmepumpen gefördert wird: All das ist mit krisensicheren und sinnstiftenden Berufen verbunden. Hauptsache, jemand brennt für den eingeschlagenen Weg. Diese Motivation ist entscheidend. Ist sie auch für die Eltern spürbar, ist es viel einfacher, hinter dem Wunsch ihres Kindes zu stehen.

Susanna Valentin
schätzt das durchlässige Schweizer Bildungssystem und hat es gleich selbst genutzt. Vor vier Jahren liess sich die diplomierte Heil- und Sozialpädagogin zur Fachjournalistin ausbilden.

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