Lehrbetrieb finden: «Jugendliche wollen sich im Job wohlfühlen»
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«Jugendliche wollen sich im Job wohlfühlen»

Lesedauer: 5 Minuten

Was erwartet die Generation Z von ihrem Lehrbetrieb und Arbeitgeber? Der Marktforscher Yannick Blättler kennt die Bedürfnisse junger Menschen ebenso wie die der Unternehmen.

Interview: Stefan Michel
Bild: Gabi Vogt / 13 Photo

Herr Blättler, was zeichnet die heute 13- bis ­14-Jährigen aus, die mitten in der Berufswahl stecken?

Sie sind am Übergang der Generationen Z und Alpha und mit digitaler Technologie und Social Media aufgewachsen. Viele konnten swipen und scrollen, bevor sie redeten. Ihre Plattform ist Tiktok, während die nur wenige Jahre Älteren noch eher auf Instagram unterwegs sind. Und es ist generell ein spannendes Alter, die Identitätssuche ist in vollem Gang.

Was können Sie über die Ausbildungswahl der ­Oberstufenschülerinnen und -schüler sagen?

Sie merken oder haben bereits gemerkt: Sie sind begehrt. Die Lehrbetriebe bemühen sich um junge Leute. Viele haben Eltern, die sagen: «Dir stehen alle Möglichkeiten offen. Hauptsache, du bist glücklich.» Sie profitieren auch vom Wohlstand.

Yannick Blättler hat in Zürich und St. Gallen Wirtschaft studiert und noch während der Ausbildung ein Marktforschungs- und Beratungs­unternehmen gegründet mit Fokus auf die Generation Z. (Bild: zVg)

Das klingt nach einer Generation ohne Sorgen. Stimmt dieser Eindruck?

Auch sie haben Probleme. Sie sind geprägt von Covid und den Pandemiemassnahmen. Viele haben psychisch darunter gelitten. Mentale Gesundheit ist ein grosses Thema für sie. Die grosse Auswahl an Möglichkeiten überfordert einige. Sie haben Angst, dass sie sich falsch entscheiden könnten. Gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein: Noch nie war eine junge Generation besser informiert und vernetzt als die heutige.

Gibt es Werte, die die Generation verbinden?

Sie haben gelernt, was Nachhaltigkeit bedeutet. Sie hinterfragen Dinge, geben sich nicht mit allem zufrieden. Wenn es um sie selber geht, sind sie ungeduldig. Auf Social Media haben sie sich daran gewöhnt, dass alles sofort verfügbar ist. Darum wollen sie, dass auch in der realen Welt ihre Bedürfnisse schnell befriedigt werden und sie schnell Feedback erhalten auf das, was sie tun. 

Die Jungen wollen etwas Sinnvolles tun, wollen sich schnell weiterentwickeln können.

Und wie gehen sie damit um, wenn sie warten ­müssen?

Wenn sie Alternativen haben, werden sie nicht nur den einfachsten, sondern eben den schnellsten Weg wählen – gerade beim ersten Kontakt mit einem Unternehmen ist das oft zu beobachten. Ansonsten geben sie sich auch mit langwierigeren Prozessen ab, aber nur, wenn es sein muss.

Was wünschen sich die Berufswählenden von ihrem Ausbildungsort?

Sie wollen etwas Sinnvolles tun, wollen sich schnell weiterentwickeln können. Nicht unbedingt im Sinne einer beruflichen Karriere. Sie wollen sich entfalten und wohlfühlen. 

Sie beraten Unternehmen, die junge Menschen als Lernende und Mitarbeitende gewinnen wollen. Wie werden diese attraktiv für sie?

Um attraktiv zu sein, brauchen Unternehmen eine Vision, die sie den Jungen einfach erklären können: «Dort wollen wir hin und wir wollen dich in unserem Team haben, du kannst Teil davon sein.» Sie müssen ihren potenziellen jungen Kolleginnen und Kollegen zeigen, in was für einem Team sie arbeiten werden. Die Teamkultur muss sichtbar sein. Das müssen sie mit zugespitzten, einfach verständlichen Aussagen kommunizieren.

Wie passt die Berufslehre zu den Vorlieben der Generationen Z und Alpha?

Sie passt eigentlich sehr gut. Sie bietet vielen Jugendlichen die Möglichkeit, sich auf ihrem individuellen Level auszutoben und weiterzuentwickeln. Die duale Berufslehre ist die beste Ausgangslage für den Start ins Berufsleben weltweit.

Die Lehre hat ein Imageproblem. Viele Branchenverbände machen ein schlechtes Marketing für die Berufsbildung in ihrem Bereich.

Sie sagen «eigentlich». Es gibt also einen Einwand.

Die Lehre hat ein Imageproblem. Viele Branchenverbände machen ein schlechtes Marketing für die Berufsbildung in ihrem Bereich. Auf dem Bau, in der Gastronomie, im Handwerk, in traditionellen Familienbetrieben, da herrscht oft noch ein rauer Umgangston, eine überholte Kultur. Die können die Jungen dann schon als Weicheier bezeichnen. Das hilft ihnen aber nichts. Die sind dann einfach weg und suchen sich etwas anderes.

Wie gut passt das Gymnasium zu dieser Generation?

Für viele passt auch das Gymi sehr gut. Ich war zuerst in der Sekundarschule und dann im Gymi. Dort habe ich den Knopf aufgemacht. Aber auch mit einer abgeschlossenen Lehre stehen alle Optionen offen. Manche müssen zuerst reifer werden, bevor sie sich mit Aus- und Weiterbildung beschäftigen mögen.

Viele Jugendliche wollen möglichst selbstbestimmt leben. Wie gut ist das in der Lehre und in der ­Mittelschule möglich?

Besser, als viele denken. Die Jugendlichen müssen ja lernen, sich selber zu organisieren – wann sie lernen müssen, wann sie Zeit für Sport haben, wie sie ihre Aufgaben im Lehrbetrieb am besten erledigen können. Um das zu vermitteln, müssen die Berufsbildnerinnen und Berufsbildner einen guten Draht zu den Jungen haben. 

Die Lehrbetriebe wollen motivierte, lernwillige Jugendliche. Wie gut gelingt es ihnen, diese zu ­finden beziehungsweise attraktiv für diese zu sein?

Die verständliche Vision und die attraktive Teamkultur habe ich schon genannt. Wichtig ist auch, psychologische Sicherheit zu vermitteln. Sie müssen zeigen, dass es erlaubt und erwünscht ist, dass die Lernenden sich äussern, dass sie kritisieren dürfen und ihre Meinung gefragt ist. Die Botschaft muss sein: «Wir freuen uns, dass du dich für uns entschieden hast.» Das Gegenteil – «Sei froh, dass wir dich genommen haben» – geht gar nicht.

Wenn ein Betrieb Lernende sucht, musst er mit Lernenden auftreten.

Wie bringen Lehrbetriebe diese Botschaft ­glaubwürdig herüber?

Ganz wichtig: Wenn du Lernende suchst, musst du mit Lernenden auftreten. Wenn du Maturitäts-Trainees suchst, musst du diese sprechen lassen, und wenn du Hochschulabsolventinnen suchst, müssen sie für das Programm werben. Bei allen funktioniert das am besten mit Videos, in denen Menschen auftreten, die nur wenig älter sind als die Menschen, die das Unternehmen rekrutieren will. In den Videos müssen die Auszubildenden die Faszination des Berufs und die Kultur des Ausbildungsbetriebs, die Art des Austauschs im Team vermitteln. 

Die Videos müssen für Social Media optimiert sein, korrekt?

Absolut. Das Format muss zur Plattform passen: Tiktok zum Beispiel im Hochformat, Instagram-Videos auch, aber Bilder maximal im Seitenverhältnis 4:5. Die Gen Z ist hier sehr sensibel und bemerkt diese Unterschiede.

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Wie gut kommen Eltern mit der Situation klar, in der sich ihre Kinder für eine Ausbildung entscheiden müssen?

Im Grossen und Ganzen kommen sie gut zurecht. Aber auch sie sind gefordert und einige überfordert; das sehe ich regelmäs­sig an Elternabenden, an denen ich als Experte teilnehme. Die Social-Media-Nutzung der Kinder ist ein schwieriges Thema, die Disziplin auch. Wie viel Unterstützung bei der Lehrstellensuche ist sinnvoll? Auch viele Eltern sind vom breiten Angebot überfordert. Und dann lesen sie die negativen Schlagzeilen über die Generation ihrer Kinder und fragen sich: «Sind unsere auch so faul?»

Wie können Eltern ihre Kinder bestmöglich ­unterstützen?

Die Jugendlichen müssen spüren, dass ihre Eltern nur das Beste für sie wollen. Entscheiden muss die Tochter oder der Sohn. Die Eltern müssen hinter dem Entscheid stehen. Sie eine Wahl treffen lassen und hinterher sagen, dass sie diese nicht gut finden, ist keine gute Idee. Auch während der Berufs­bildung brauchen die Kinder die Unterstützung ihrer Eltern.

Eltern müssen ihrem Kind beibringen, dass es sich lohnt, für etwas zu kämpfen, dass es etwas erreichen kann, wenn es sich engagiert.

Sie sind der Spezialist für die Generationen Z und Alpha. Was sagen Sie zu Eltern, die überzeugt sind, dass ihr Kind überhaupt nicht so ist?

Dieses Urteil überlasse ich immer den Eltern. Besser, sie sind ihrem Kind gegenüber zu wenig kritisch als zu hart. Wenn Jugendliche merken, dass ihre Eltern nicht hinter ihnen stehen, haben sie ein Problem. Eltern wissen ja auch selber nicht, ob sie ihren Job gut machen oder nicht. Da ist der Austausch mit anderen Eltern wertvoll.

Besonders in der Berufswahl müssen manche Eltern ihre Kinder motivieren. Mit welchen Botschaften gelingt das?

Sie müssen ihnen beibringen, dass es sich lohnt, für etwas zu kämpfen, dass sie etwas erreichen können, wenn sie sich engagieren. Denn die Jungen sind ja motiviert! Es geht darum, ihnen den Rahmen zu geben, in dem sie ihrer Faszination folgen können. Alle haben etwas Gutes in sich, aber sie müssen es zuerst finden. Viele haben Lust, etwas für die Gesellschaft, für den Planeten zu tun. Die Botschaft könnte lauten: «Mach etwas für dich, versuche zu entdecken, was du tun willst!»

Stefan Michel
ist freier Journalist und Texter und lebt mit seiner Partnerin und zwei Kindern in Zürich.

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