Sorgerecht der Eltern – Umzug zu Mama oder Papa?
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Sorgerecht der Eltern – Umzug zu Mama oder Papa?

Lesedauer: 6 Minuten

Die Kinder abwechselnd zu betreuen, ist nach Trennungen ein gängiges Modell – was sind die Vorteile? Und wie sehen die Sorgerechte der Elternpartien aus? Teil 4 unserer Serie «Wie Familie gelingt».

Text: Lena Rutishauser
Bild: Plainpicture

Für Jacqueline und Matthi­as war immer klar, dass sie sich zu gleichen Teilen um ihre Kinder kümmern wollen. Beide haben jeweils Teilzeit gearbeitet: Jacqueline in einer Eventagentur in Bern und Matthias als Informatiker beim Bund. Ihre Kinder Jonas und Tim sind heute fünf und acht Jahre alt.

Jacqueline und Matthias gehen inzwischen getrennte Wege, küm­mern sich aber weiterhin gemeinsam um ihre Söhne. Im Rahmen einer Trennungsvereinbarung haben sie vor Gericht Folgendes vereinbart: Jacqueline betreut die Kinder von Sonntagabend bis Mittwochabend, Matthias von Mittwochabend bis Freitagabend, an den Wochenenden wechseln sie sich ab.

Wenn ein Elternteil umziehen will

Während die Scheidung noch hängig ist, wird Jacqueline unerwartet eine neue Stelle in Lausanne angeboten. Dabei handelt es sich nicht nur beruflich um ein interessantes Ange­bot; Jacqueline denkt bereits seit einiger Zeit darüber nach, in die Romandie zurückzukehren. Sie ist in Lausanne aufgewachsen und auch heute noch eng mit dem Ort verbun­den, da ihre Familie und ihr neuer Partner dort leben.

Ein Umzug ohne ihre Kinder kommt für Jacqueline allerdings nicht infrage. Zumal ihre Kinder, mit denen sie von klein auf nur Französisch gesprochen hat, sehr gerne bei den Grosseltern und Cousins in Lausanne sind.

In Anbe­tracht der Entfernung zwischen ihrem Wohnort in Bern und ihrem zukünftigen Wohnort in Lausanne wäre es für Jacqueline und Matthias nicht möglich, die momentane Auf­teilung der Kinderbetreuung beizu­behalten, insbesondere weil Tim inzwischen in die Schule und Jonas in den Kindergarten geht. Kann Jacqueline dennoch ohne Wei­teres mit den Kindern umziehen?

Wer entscheidet über den Wohnort des Kindes?

Das Recht, den Aufenthaltsort eines Kindes zu bestimmen, ist Teil der elterlichen Sorge. Übt ein Elternteil die elterliche Sorge alleine aus, muss er den anderen Elternteil über seine Umzugspläne lediglich rechtzeitig informieren. Üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus und möchte ein Elternteil mit dem Kind innerhalb der Schweiz umziehen, bedarf es der Zustimmung des ande­ren Elternteils, wenn der Umzug der Kinder einen erheblichen Einfluss auf den Kontakt zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil hat.

Es wird einzeln entschieden, ob ein Umzug zustimmungsbedürftig ist.

Möchte ein Elternteil mit dem Kind ins Ausland ziehen, bedarf es bei gemeinsamer elterlicher Sorge der Zustimmung des anderen. Stimmt der andere Elternteil einem Umzug des Kindes nicht zu, kann der umzugswillige Elternteil sich an ein Gericht oder eine Kindesschutzbehörde (KESB) wenden, damit die­se eine neue Regelung für die Betreuung des Kindes finden.

Jacqueline und Matthias üben die elterliche Sorge gemeinsam aus. Die Entfernung zwischen Lausanne und Bern beträgt mehr als 100 Kilo­meter. Unabhängig davon, in wel­chem Haushalt Jonas und Tim zukünftig leben werden, kann das momentane Betreuungsmodell damit nicht mehr aufrechterhalten werden, sodass der Umzug der Kin­der von der Zustimmung von Matthias beziehungsweise dem Gericht abhängig ist.

Ein Fall für das Gericht

Ob ein Umzug zustimmungsbe­dürftig ist, muss für jeden Fall ein­zeln entschieden werden. Anders wäre die Situation beispielsweise zu beurteilen, wenn Jacqueline von Ostermundigen nach Zollikofen, rund 15 Minuten mit dem Auto, zie­hen würde.

Matthias stimmt dem Umzug der Kinder nicht zu. Er wehrt sich vehe­ment dagegen und droht Jacqueline mit rechtlichen Schritten, da er kein Verständnis hat für Jacquelines plötzlichen Wunsch, nach Lausanne zu ziehen. Ohne Matthias, Zustim­mung kann Jacqueline die Kinder nicht mit nach Lausanne nehmen. Sie hat jedoch die Möglichkeit, beim Gericht, das auch für die Scheidung zuständig ist, einen Antrag auf Bewilligung zum Wechsel des Aufenthaltsortes der Kinder zu stellen.

Während das Verfahren vor Gericht noch läuft, darf Jacqueline mit den Kindern (noch) nicht umziehen. Die Kinder sollen bis zum Entscheid durch das Gericht in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Das gilt insbesondere für den Fall, dass beide Eltern sich um die Kinder kümmern können und wollen, da die Kontinuität der Betreuungssitu­ation grossen Einfluss auf die spätere Entscheidung des Gerichts hat.

Das Gesetz ist darauf ausgelegt, dass der umzugswillige Elternteil vorgängig auf den anderen Elternteil, respektive das Gericht oder die KESB, zugeht, um eine gemeinsame Lösung zu finden. 

Bei einem Umzug ohne Zustimmung sieht das Gesetz keine eigentliche Bestrafung vor. Das Gericht wird in diesem Fall aber gegebenenfalls prüfen, ob die Zutei­lung der Kinder zum anderen Elternteil sinnvoll ist.

Kein Umzugsverbot für betreuende Elternteile

Das Gericht oder die KESB stimmen einem Umzug immer dann zu, wenn es dem Wohl des Kindes besser dient, mit dem Elternteil wegzuziehen statt beim anderen Eltern­teil im bisherigen Umfeld zu bleiben. Ausgangspunkt bildet dabei stets das bisherige Betreuungsmodell.

Wird ein Kind im Alltag mehrheitlich von einem Elternteil betreut, was heute immer noch dem Standard ent­spricht, geht das Bundesgericht übli­cherweise davon aus, dass es dem Wohl des Kindes entspricht, weiter­hin mit seinem hauptbetreuenden Elternteil zusammenzuleben. Das gilt insbesondere für jüngere Kinder, da ihre Betreuung und Erziehung möglichst konstant sein sollten.

Verhindert werden kann nur der Umzug des Kindes.

Je älter die Kinder sind, desto eher kann der Verbleib am bisherigen Wohnort dem Kindeswohl entspre­chen, weil Schule und Freundeskreis mit zunehmendem Alter wichtiger werden.

Vorausgesetzt ist jedoch auch bei älteren Kindern, dass diese Wahl­möglichkeit überhaupt besteht. Das heisst, der andere Elternteil muss fähig und gewillt sein, für eine angemessene Betreuung des Kindes zu sorgen. Das ist häufig nicht der Fall, wenn die Betreuung bisher von einem Elternteil alleine besorgt wur­de, während der andere Elternteil das Kind nur jedes zweite Wochen­ende zu sich genommen hat.

Die Verweigerung der Zustim­mung ist sinnlos, wenn man gleich­zeitig nicht bereit ist, sich selbst um das Kind zu kümmern – verhindert werden kann nämlich nur der Umzug des Kindes, nicht jener des anderen Elternteils. Die Zustim­mungsbedürftigkeit des Umzugs bezieht sich einzig und allein auf den Umzug der Kinder; es gibt kein «Umzugsverbot» für betreuende Elternteile.

Die Ausgangslage von Jacqueline und Matthias ist gewissermassen neutral. Sie haben sich die Betreuung bisher hälftig geteilt und sind auch in Zukunft beide bereit, die Betreu­ung der Kinder zu übernehmen.

Wo ist das Kind besser aufgehoben?

Dem Gericht stellt sich nun die schwierige Frage, ob ein Kind besser mit dem einen Elternteil wegziehen oder mit dem anderen Elternteil am bisherigen Wohnort bleiben sollte. In solchen Fällen versucht ein Gericht anhand unterschiedlicher Kriterien festzustellen, bei welchem Elternteil das Kindeswohl besser gewahrt ist.

Es schaut sich dafür alle Facetten eines konkreten Falls an, da es für Kinder einen Unterschied macht, ob sie beispielsweise die Sprache am neuen Wohnort bereits beherrschen und entsprechend pro­blemlos die Schule besuchen können oder nicht, ob sie einen Teil ihres Umfelds am neuen Wohnort bereits kennen oder ihnen alles völ­lig fremd sein wird. Oder ob die Kinder in ein wirtschaftlich gesi­chertes Umfeld ziehen oder ihre Verhältnisse in Zukunft weniger stabil sein werden.

Sorgerecht der Eltern
Das Wichtigste in Kürze:

  •  Die elterliche Sorge ist das Recht und die Pflicht, für sein Kind zu entscheiden, wo es das noch nicht selbst tun kann; Teil davon ist das Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen.
  • Möchte ein Elternteil mit dem Kind umziehen, braucht er die Zustimmung des anderen Elternteils, wenn der neue Wohnort im Ausland liegt oder wenn der Umzug einen erheblichen Einfluss auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den Kontakt des anderen Elternteils zu den Kindern hat.
  • Verweigert der andere Elternteil die Zustimmung, kann sich der umzugswillige Elternteil an das zuständige Gericht oder die Kindesschutzbehörde wenden, um eine Neuregelung der Obhut und des Besuchs- und Ferienrechts zu erwirken.
  • Der Umzug mit dem Elternteil entspricht vermutungsweise dem Kindeswohl, wenn die umzugswillige Person bisher für die Betreuung zuständig war und der andere Elternteil lediglich zwei Mal im Monat ein Besuchsrecht am Wochenende wahrgenommen hat.

Ebenfalls rele­vant ist, welcher Elternteil die Mög­lichkeit hat, die Kinder persönlich zu betreuen, und wie ausgeprägt die Fähigkeit eines Elternteils ist, den persönlichen Kontakt des Kindes mit dem anderen Elternteil zu för­dern. Die Motive des Elternteils, der umziehen möchte, spielen vor Gericht keine grosse Rolle. Liegen jedoch keine plausiblen Gründe für einen Umzug vor und scheint es, als wolle der Elternteil nur umziehen, um die Kinder vom anderen Teil zu entfremden, spricht dies eher für den Verbleib des Kindes am bishe­rigen Wohnort.

Im Fall von Jacqueline und Mat­thias hat das Gericht entschieden, dass die Kinder im Fall eines Umzugs von Jacqueline nach Lausanne beim Vater in Bern bleiben sollen. Einerseits, weil dies dem klaren Wunsch von Tim und Jonas entsprochen hat. Andererseits, weil die Kinder in Lausanne insbesonde­re von den Grosseltern betreut wor­den wären, da der neue Job von Jacqueline mit viel Reisetätigkeit verbunden ist, während Matthias sich in Bern dank flexibler Arbeits­zeiten selbst um die Kinder küm­mern kann.

Lena Rutishauser
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Familienforschung und -beratung an der Universität Fribourg.

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