Wie man mit Kindern übt, Frust zu ertragen -
Merken
Drucken

Wie man mit Kindern übt, Frust zu ertragen

Lesedauer: 3 Minuten

Viele Kinder reagieren auf Enttäuschungen und Niederlagen mit Wut und Aggression. Wie Eltern und Lehrpersonen einem Kind helfen können, seine Frustrationstoleranz zu verbessern und Bedürfnisse und Wünsche besser zu kontrollieren.  

Text: Ruth Fritschi
Bild: Fotolia

Ein Kind hat immer wieder Wutanfälle, zu Hause und manchmal auch in der Schule. Wie können wir das in den Griff bekommen? Für viele Eltern und Lehrpersonen eine bekannte Frage. Und eine grosse Herausforderung. Klar ist, dass nicht Sie als Eltern das in den Griff bekommen sollen, sondern Ihr Sohn oder Ihre Tochter selber. Aber natürlich müssen Sie, liebe Eltern, und wir Lehrpersonen dem Kind dabei helfen.

Alle Gefühle, auch negative wie Ärger und Wut, sind berechtigt.

Dazu braucht es erstens eine Grundhaltung, dass Konflikte gewaltfrei zu lösen sind, und zweitens ein nicht wertendes Verständnis dafür, wie die Wut zustande kommt. Alle Gefühle, auch negative wie Ärger und Wut, sind berechtigt. Aber die Form, wie sie ausgedrückt werden, soll zivilisiert und fair sein. Das muss und kann man lernen.

Ab wann sollten Kinder Frust aushalten können?

Viele Kinder kommen nur sehr schlecht mit Kritik und Misserfolgen zurecht. Sie reagieren mit Wut und Aggressionen, wenn ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche nicht null Komma plötzlich erfüllt werden. Mal abwarten zu müssen oder hin und wieder enttäuscht zu werden, weil das Gewünschte nicht zu bekommen ist, halten sie nicht aus. Dies gehört im Kleinkindalter zum normalen Entwicklungsprozess. 

Bis zum Eintritt in die Primarschule sollte jedoch jedes Kind eine gewisse Frustrationstoleranz aufgebaut haben. Bei manchen Kindern geschieht dies ganz von selbst, andere brauchen auf dem Weg zu einem «reiferen» Umgang mit Frustrationen mehr Unterstützung.

Findet diese Entwicklung nicht statt, weil etwa Eltern aus falsch verstandener Sorge ihrem Kind keine Enttäuschungen zumuten wollen, wirkt sich das für das Kind verheerend aus. 

Was ist Frustrationstoleranz? Es ist die Fähigkeit, mit Enttäuschungen umzugehen. Sie gehört neben anderen Kompetenzen wie zum Beispiel Beziehungs- und Konfliktfähigkeit oder auch Einfühlungsvermögen zum Bereich der emotionalen Intelligenz.

Emotionale Intelligenz bedeutet, dass man seine Gefühle wahrnehmen kann, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Und dass man auch die Gefühle anderer erkennen und respektieren kann. 

Wie äussert sich eine zu niedrige Frustrationstoleranz?

Tisch abräumen, Zimmer aufräumen, Flöte üben? «Keine Lust.» Wenn Eltern solchem Verhalten der Harmonie wegen immer wieder nachgeben oder sich ständig in Endlosdiskussionen verstricken, kann das problematisch werden.

Das Kind lernt so, dass es mit seiner bockigen Haltung Erfolg hat. Wie soll es wissen, dass ein ähnliches Verhalten später in der Schule weniger Erfolg verspricht und es bei den Mitschülerinnen und Mitschülern und bei den Lehrpersonen nicht mit derselben elterlichen Nachsicht rechnen darf? 

In der Erziehung geht es nicht darum, einem Kind Enttäuschungen zu ersparen.

Mangelnde Frus­trationstoleranz äussert sich häufig auch beim Kontakt mit anderen Kindern. Die Betroffenen spielen zwar gerne mit Nachbarskindern und Freunden, aber nur solange alles nach ihren Wünschen läuft.

Ist dies nicht der Fall, reagieren sie schnell aggressiv und verärgert. Sie empfinden das Nichterfüllen ihrer Wünsche als so starke Zumutung, dass sie sich gar nicht anders verhalten können. 

In der Schule reden diese Kinder ständig dazwischen, weil sie in jungen Jahren nicht gelernt haben, dass sie jemanden nicht einfach unterbrechen dürfen, sondern warten müssen, bis sie an der Reihe sind. Und weil ihnen dieses unsoziale Verhalten bei Lehrpersonen und Mitschülerinnen und Mitschülern nur Misskredit beschert, spielen viele der betroffenen Kinder den Klassenclown. Die Folge: Die Situation spitzt sich weiter zu.

5 Tipps für den Umgang mit Frust
  1. Übergeben Sie Ihrem Kind Aufgaben wie Tisch abräumen oder Wäsche zusammenlegen. Diese Arbeit muss erledigt werden, bevor Ihr Kind spielen darf. Gehen Sie auf wiederholtes Klagen nicht ein.
  2. Erfüllen Sie Ihrem Kind nicht jeden Wunsch sofort, nur ein- oder zweimal in der Woche ein Glacé oder eine Kleinigkeit aus dem Supermarkt. Grössere Spielzeugwünsche sollten nicht sofort erfüllt werden. Verweisen Sie auf Weihnachten oder den nächsten Geburtstag.
  3. Spielen Sie mit Ihrem Kind Gesellschaftsspiele und lassen Sie es verlieren. Aus Mitleid die Regeln zu verändern oder vom älteren Bruder zu erwarten, dass er das schnell frustrierte Kind gewinnen lässt, hilft nicht weiter.

4. Loben und belohnen Sie positives Verhalten Ihres Kindes. Für viele Kinder ist ein visuelles System hilfreich, zum Beispiel ein Sternchen- oder ein Smiley-Kalender. Wichtig ist, genau zu erklären, welches Verhalten zu einem Sternchen führt und wann ein erstes Ziel für eine Belohnung erreicht ist.

5. Nehmen Sie das Gefühl Ihres Kindes, das hinter dem «Ausflippen» steht, ernst. Erkennen Sie das Gefühl an und erklären Sie, dass negative Gefühle zum Leben gehören. Gleichzeitig müssen Sie klarmachen, dass das gezeigte Fehlverhalten nicht akzeptabel ist. Zeigen Sie Alternativen auf.

Die Kinder beim emotionalen Lernen zu begleiten, ist für Eltern und Lehrpersonen eine Herausforderung. Machen wir uns klar, dass es in der Erziehung nicht darum geht, einem Kind Enttäuschungen zu ersparen. Diese gehören zum Leben. 

Eltern können Kindern den positiven Umgang mit Fehlern und Niederlagen vor allem dadurch vermitteln, indem sie ihnen ein gutes Vorbild sind. Denn Kinder wollen gross werden, und sie wollen gross sein wie die Eltern. Sie beobachten genau, wie die Eltern sich verhalten. So ist Erziehung vor allem Selbsterziehung.

Zum Schluss wünsche ich Ihnen zu Hause und uns Lehrpersonen im Schulalltag viel Ausdauer beim Begleiten von Kindern, die beim emotionalen Lernen mehr Unterstützung brauchen. Auch wenn ich die oben genannten Punkte nur zu gut kenne und versuche, diese konsequent umzusetzen, komme ich immer wieder in Situationen, die ganz viel von mir abverlangen. Routiniertes Vorbild sein gelingt oft, aber nicht in jedem Fall.

Ruth Fritschi
war Mitglied der LCH-Geschäftsleitung, Präsidentin LCH Stufenkommission Zyklus 1 und schulische Heilpädagogin in Uzwil SG. Ruth Fritschi ist im November 2021 unerwartet verstorben.

Alle Artikel von Ruth Fritschi

Mehr zum Thema Frust bei Kindern:

2403 Wut Streit Eltern Kind Aggression Annette Cina Kosmos Kind Tipps Elternmagazin Fritz und Fraenzi HG
Elternbildung
Wenn das eigene Kind einem den letzten Nerv raubt
Der Umgang mit der eigenen Wut und der Wut der Kinder ist lernbar! Wie das geht, erklärt die Psychologin Annette Cina.
2403 Schweizer Jugendherberge Ferien in der Schweiz fünf Gründe Elternmagazin Fritz Fraenzi
Advertorial
5 Gründe für Ferien in den Schweizer Jugendherbergen
Familienfreundlich und preiswert: die rund 50 Hostels in der Schweiz und Liechtenstein bieten alles, was Familien für entspannte Ferien benötigen.
Blog
Wenn jedes Muss zur Zerreissprobe wird
Verweigert ein Kind sich extrem, könnte dahinter eine wenig bekannte Form von Autismus stecken: die Pathological Demand Avoidance.
Wie Soundhealing Wut bei Kindern besänftigt
Familienleben
Wie Soundhealing Wut bei Kindern besänftigen kann
Wütende Kinder sind mit Worten oft nicht mehr erreichbar. Soundhealing kann weiterhelfen. Zu Besuch bei Klangtherapeutin Bettina Steffen.
«Buben müssen einen gesunden Umgang mit ihrer Aggression erlernen»
Erziehung
«Buben müssen einen gesunden Umgang mit ihrer Aggression erlernen»
Jungs-Coach Anton Wieser über raufende Jugendliche und Eltern, die darin gefordert sind, ihre Söhne zu stärken.
Kindergarten
So lernt Ihr Kind den Umgang mit seinen Emotionen
Wie Kinder emotionale Fähigkeiten entwickeln und was Eltern tun können, um sie dabei zu unterstützen.
Wut im Bauch: So lernen Kinder ihre Emotionen zu regulieren
Entwicklung
So unterstützen Sie Ihr Kind im Umgang mit Gefühlen
Gefühlsregulation bei Kindern: Dieser Prozess ist an die Hirnentwicklung gekoppelt – und kann von den Eltern unterstützt werden.
Elternbildung
«Durch die Beratungsrolle bin ich selbstbewusster geworden»
Petra Brem hat zusammen mit ihrem Mann drei Kinder: Nelia, Malin und Leanne. Nelia war im letzten Semester Beraterin im Ideenbüro der Primarschule Kaisten.
Elternbildung
«Mit so einer Beratung wäre uns viel Leid erspart geblieben»
Stephanie Hagmann und ihr Partner haben eine 8-jährige Tochter. Die Familie nimmt seit dem Sommer 2020 am ­Familienklassenzimmer teil.
Elternbildung
«Paolo tut es leid, dass er so aufbrausend war»
Eine Mutter hat Probleme mit ihrem 12-jährigen Sohn. Nun nehmen sie beide am Familienklassenzimmer ihrer Schule teil. Ein Erfahrungsbericht.
Erziehung
«Ein Kind sollte Konflikte selbst lösen dürfen»
Psychologe Fabian Grolimund sagt, die Grundsteine für ein soziales Verhalten würden schon früh gelegt. Daher gelte es besonders für Eltern, ein solches vorzuleben.
Blog
Musst du so austicken?
Kinder, die zu Wutausbrüchen neigen, haben häufig unterentwickelte Problem­lösefähigkeiten, schreibt unser Kolumnist Fabian Grolimund. Mit etwas Übung lassen sich diese gemeinsam trainieren.
Elternbildung
Was tun, wenn die Tochter von ihrer besten Freundin geschlagen wird?
Die Beziehung meiner Tochter zu ihrer besten Freundin ist toxisch, schreibt eine Mutter. Es komme regelmässig zu körperlicher Gewalt. Erfahren Sie, was unser Expertenteam dazu sagt.
Erziehung
Eifersucht: Rivalen in der Familie
Rivalität oder erbitterter Geschwisterkampf? Wie sollen Eltern mit Konkurrenz unter Kindern umgehen? 23 Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Elternbildung
Wie Wut uns weiterbringt
Wut gilt als schlechtes Gefühl. Dabei birgt sie eine grosse produktive Kraft. Wie können wir sie so nutzen, dass unser Ärger uns weiterbringt?
Elternbildung
Hilfe, unser Sohn wird handgreiflich!
Unser Sohn, 12, streitet beinahe täglich mit seiner Schwester, 9. ­Manchmal wird er auch handgreiflich, was überhaupt nicht geht. Wenn wir von ihm verlangen, dass er sich bei seiner Schwester ­entschuldigt, weigert er sich. Sie hätte angefangen und überhaupt sei sie selber schuld, sie habe ihn provoziert. Oft weinen am Schluss ­beide Kinder, und wir Erwachsene sind völlig erledigt. Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis heraus?
Erziehung ohne Gewalt
Erziehung
7 Tipps für Eltern zur gewaltfreien Erziehung
Was hilft Eltern, im Clinch mit dem Nachwuchs, auf Drohungen oder Schimpftiraden zu verzichten? 7 Expertentipps
Blog
Wie geht das Familienleben nach einem Unfall weiter?
Der Verkehrsunfall von Valerie Wendenburgs Sohn war ein einschneidendes Ereignis. Unsere Bloggerin erinnert sich an zwei Ratschläge eines Kinderpsychiaters, auf die sie bis heute gerne zurückgreift.
Erziehung
Eltern in der Sackgasse
Dort, wo Kinder angeblich zu viel Macht über ihre Familie besitzen, lassen Eltern sie in Wahrheit mit zu viel Verantwortung allein, so Jesper Juul.
Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge: «Es gibt keine negativen Gefühle – das müssen Eltern ihren Kindern vermitteln»
Elternbildung
«Es gibt keine negativen Gefühle»
Der renommierte deutsche Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge sagt, Aggressionserziehung sei eine besonders wichtige Aufgabe von Eltern.
Stefanie Rietzler
Elternbildung
Warum ist mein Kind zu Hause so wild und in der Schule ganz brav?
Oft nehmen wir unsere Kinder anders wahr als Aussenstehende. Dabei ist es für die Einschätzung ihres Verhaltens wichtig, den Kontext zu berücksichtigen.
Strafen vermeiden: 3 Beispiele aus dem Alltag mit Kindern
Elternbildung
Strafen vermeiden: 3 Beispiele aus dem Alltag mit Kindern
Wie vermittelt man Verhaltensregeln ohne Strafen? Drei typische Krisensituationen aus dem Elternalltag und wie sie zu bewältigen sind.
Elternbildung
Aggressionen sind gesund
Die Art, wie wir mit Aggressionen umgehen, ist zentral für unser psychisches Wohlbefinden, sagt Jesper Juul.
Elternbildung
Aggressionen in der Familie
Aggressionen sind ein unerlässlicher Bestandteil menschlicher Beziehungen, sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Familie.
Entwicklung
Aggressionen und negative Gefühle zulassen
In vielen Lebenssituationen tun Eltern alles, damit die Kinder in einem harmonischen Zuhause aufwachsen können. Konflikte sollte man aber nicht vermeiden.