«Mit so einer Beratung wäre uns viel Leid erspart geblieben» - Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
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«Mit so einer Beratung wäre uns viel Leid erspart geblieben»

Lesedauer: 2 Minuten

Stephanie Hagmann, 27, und ihr Partner sind die Eltern von Samantha, 8. Die Familie wohnt in Kriens LU und nimmt dort seit dem Sommer 2020 am Familienklassenzimmer teil. 

Aufgezeichnet von Yvonne Kiefer-Glomme
Bild: Herbert Zimmermann / 13 Photo

«Als Samantha in den Kindergarten kam, haben sich Verhaltensauffälligkeiten bei ihr gezeigt. Sie ist sehr offenherzig und hat Mühe, das richtige Mass an zwischenmenschlicher Nähe und Distanz zu finden.

Durch das Familienklassenzimmer (FKZ) haben wir als Eltern erleben können, wie Samantha in einer Gruppe reagiert. Wir konnten ihr bewusst machen, welche Reaktionen ihr Verhalten bei anderen auslöst und wie sie dieses verändern kann: Früher ist sie auf alle Kinder und Lehrpersonen zugegangen, hat sie umarmt und ihnen alles erzählt. Wenn diese dann ablehnend reagiert haben, war sie frustriert.

Sie wollte überall dabei sein und wurde aufbrausend, wenn es nicht nach ihrem Kopf ging. Durch das FKZ hat sie gelernt, andere zu fragen, bevor sie sie umarmt, und sich nicht in Konflikte einzumischen. Dank Rollenspielen fanden wir heraus, dass sie andere provoziert, wenn sie gehänselt wird, weil sie nicht wusste, wie sie damit umgehen soll. Nun kann sie sich in solchen Situationen anders verhalten.

Samantha benimmt sich auffällig, wenn es zu Hause zu Unstimmigkeiten kommt.

Auch zu Hause versucht sie mittlerweile, ruhig ihre Meinung zu vertreten. Von uns wünschte sie sich noch mehr Nähe, dass wir ihr intensiver zuhören und in Konfliktsituationen ebenfalls die Ruhe bewahren. Die gemeinsame Teilnahme am Familienklassenzimmer hat unsere Beziehung zu ihr gestärkt.

Mein Mann und ich hatten beide eine schwere Kindheit und konnten gewisse ­Sozialkompetenzen leider erst als Erwachsene erwerben. Wenn wir als Kinder ein so grosses soziales Beratungsnetzwerk erlebt hätten wie jetzt Samantha, dann wäre uns viel Leid erspart geblieben.

Wir schätzen es, dass unsere Tochter durch Beistand, Familien­klassenzimmer, Familienbegleitung sowie die Lehrkräfte für die integrative Förderung und die Psycho­motorik unterstützt wird. 

Vor dem Familienklassenzimmer habe ich mich mit meiner Tochter zurückgezogen und hatte häufig das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein. Durch andere Eltern fühlte ich mich schnell stigmatisiert. Jetzt bin ich in ­meiner Mutterrolle deutlich selbstbewusster. Und auch Samantha entwickelt Selbstvertrauen, wenn sie merkt, dass sie Strategien aus dem Familienklassenzimmer auch in der Schule anwenden kann.

Das Zusammenspiel zwischen der Schule und uns Eltern ist gut und wir stehen in offenem Austausch miteinander. Mittlerweile wissen wir, dass sich Samantha auffällig benimmt, wenn es bei uns zu Hause zu Unstimmigkeiten kommt. Die Lehrkräfte wiederum haben gelernt, mit unserer Tochter eine offene Kommunikation aufzubauen, so dass sie nicht das Gefühl hat, rebellieren zu müssen.

Der Unterricht in einem Klassenverband mit zwanzig Kindern bedeutet für Samantha jedoch nach wie vor eine Reizüberflutung. Sie kann sich meist nur bis zur Znüni-Pause gut konzentrieren. Zudem haben die Lehrkräfte bei dem aktuellen Betreuungsschlüssel nicht die Möglichkeit, Kinder wie unsere Tochter ausreichend zu betreuen.

Trotz aller Fortschritte im Fami­lienklassenzimmer haben wir deshalb gemeinsam mit unserem Beratungsnetzwerk entschieden, dass sie in eine sozialpädagogische Kleinklasse wechselt. Wenn sie möchte, kann sie aber jederzeit an ihre alte Schule zurückkehren.»

Yvonne Kiefer-Glomme
ist freie Journalistin, Mutter einer Tochter, 11, und lebt mit ihrer Familie im Aargau.

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