Hilfe, unser Sohn wird handgreiflich!

Unser Sohn, 12, streitet beinahe täglich mit seiner Schwester, 9. Manchmal wird er auch handgreiflich, was überhaupt nicht geht. Wenn wir von ihm verlangen, dass er sich bei seiner Schwester entschuldigt, weigert er sich. Sie hätte angefangen und überhaupt sei sie selber schuld, sie habe ihn provoziert. Oft weinen am Schluss beide Kinder, und wir Erwachsene sind völlig erledigt. Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis heraus?
Holger, 38, und Laura, 40, Bern
Das sagen unsere Experten dazu:

Erzwungene Entschuldigungen bringen nichts. Anstatt als Schiedsrichter zu urteilen, wer angefangen hat oder wie viel «Schuld» trägt, könnten Sie mit den Kindern häufiger über die folgenden Fragen nachdenken: In welchen Situationen kommt es am häufigsten zu Konflikten? Wer braucht in diesen Momenten was, damit es friedlicher läuft? Wann gab es diese Woche schöne Momente unter den Geschwistern? Wie können wir diese Aktivitäten ausbauen? Es ist zudem wichtig, dass Sie als Eltern bei Handgreiflichkeiten und Abwertung entschieden dazwischengehen und die Tochter einen am besten auch abschliessbaren Raum hat, in den sie sich zurückziehen kann.

Es gibt wenig Nervigeres als das Gezanke der Kinder im Auto oder am Tisch. Vor allem, wenn man selber müde ist oder anderweitig belastet. Es gibt aber auch wenig Lehrreicheres als Streit unter Geschwistern. Die Jungmannschaft lernt dabei fürs Leben: dass Konflikte dazugehören, dass man sich streiten und trotzdem lieben kann. Und im besten Fall: dass Streit auch deeskaliert werden kann, bevor er handgreiflich wird. Benennen Sie als Eltern nicht einfach eine/n Schuldige/n, sondern fragen Sie nach: Worum geht es? Wer hat was gesagt? Warum ist wer sauer geworden? Was könnte man tun? So fühlen sich beide Kinder ernst genommen und auch die Eltern kommen aus dem meist zu kurz greifenden Opfer-Täter-Denken heraus.

Sie haben recht: Handgreiflichkeiten sind verboten. Aber vielleicht stehen Sie doch etwas sehr eindeutig auf der Seite der Schwester. Kleinere Geschwister können die grösseren manchmal auf eine subtile Art reizen, die Erwachsenen entgeht. (Nichts gegen die kleine Schwester, die muss ihrerseits sicher auch manches vom grossen Bruder ertragen.) Geschwisterstreitigkeiten sind nervig (auch für die Geschwister), aber sie werden nicht besser, wenn der eine sich bei der anderen entschuldigen muss. Greifen Sie bei physischer Gewaltausübung ein und halten Sie sich ansonsten vornehm zurück.
Unser Experten-Team:
Nicole Althaus, 51, ist Chefredaktorin Magazine und Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag», Kolumnistin und Autorin. Sie hat den Mamablog auf tagesanzeiger.ch initiiert und geleitet und war Chefredaktorin von «wir eltern». Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern im Alter von 20 und 16 Jahren.
Stefanie Rietzler ist Psychologin, Autorin
(«Geborgen, mutig, frei», «Clever lernen») und leitet die Akademie für Lerncoaching in Zürich. www.mit-kindern-lernen.ch
Peter Schneider, 62, ist Kolumnist, Satiriker, Psychoanalytiker, Privatdozent für klinische Psychologie an der Uni Zürich und Gastprofessor für Geschichte und Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse in Berlin.
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