Aus Fehlern lernen – wirklich?
Merken
Drucken

Aus Fehlern lernen – wirklich?

Lesedauer: 4 Minuten

Fehler müssen korrigiert werden – nur auf diese Weise lernt man dazu. Das ist eine grundlegende Überzeugung, die viele kaum in Frage stellen. Es lohnt sich aber, genau das zu tun.

Text: Fabian Grolimund
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Welche Assoziationen und Emotionen wecken bei Ihnen die folgenden Aussagen? «Nein!», «falsch», «Das stimmt so nicht!», «Das schreibt man gross», «Schau mal, da hast du einen Fehler gemacht», «Oh, da gibt es aber noch einiges zu verbessern». Vielleicht merken Sie, wie Sie sich innerlich verschliessen? Dann geht es Ihnen wie den meisten Menschen.

In einer Reihe von Studien sollten 1600 Erwachsene verschiedene Lernaufgaben bewältigen und sich dazu beispielsweise Fakten über ihr Unternehmen einprägen. Einem Teil der Probanden wurde in den Übungsdurchgängen jeweils bei ihren richtigen Antworten die Rückmeldung «Ihre Antwort war richtig» angezeigt, bei der anderen Gruppe bei Fehlern «Ihre Antwort war falsch».

Vor allem jüngere Kinder lernen nach einem negativen Feedback langsamer und machen mehr Fehler.

Jene Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die auf Fehler hingewiesen wurden, konnten sich bei einer ­späteren Testung schlechter an die Inhalte erinnern und gaben an, dass ihr Selbstwertgefühl gelitten habe – und dies, obwohl das Feedback relativ nüchtern gehalten wurde.

Wie gut wir aus Fehlern lernen, hängt auch vom Alter ab. In einer Studie aus den Niederlanden untersuchte eine Forschergruppe, wie sich positive und negative Rückmel­dungen bei drei Altersgruppen (8–9 / 11–13 / 18–25 Jahre) auf das Lernen und die Leistung auswirken. Den Teilnehmenden wurden auf einem Monitor jeweils Bildkombinationen mit unterschiedlichen Formen und Farben angezeigt. Die Versuchspersonen sollten logisch schlussfolgern, welche Regeln den Bildkombinationen zugrunde liegen. Eine Teilgruppe erhielt jeweils nur eine Rückmeldung, wenn sie richtig lag, die andere bei falschen Antworten. Alle Altersgruppen profitierten stärker von einer Bestätigung bei richtigen Antworten.

Aber: Die jüngeren Kinder lernten nach negativem Feedback nicht nur langsamer, sie machten auch viel mehr Fehler. Ihre Leistungen verschlechterten sich! Ein Blick in das Gehirn mittels bildgebender Verfahren zeigte zudem, dass bei jüngeren Kindern nach positiven Rückmeldungen diejenigen Gehirnbereiche, die für das Arbeitsgedächtnis, die Planung sowie abstraktes und flexibles Denken zuständig sind, viel stärker aktiviert wurden.

Gerade als meine Kollegin Stefanie Rietzler und ich uns genauer mit den Studien zum Thema Feedback befassten, lernte mein Sohn in der Schule die Gross-Klein-Schreibregeln. Testen am lebenden Objekt war angesagt!

Kinder lernen extrem gut über Anleitung. Aber sie schalten auf Durchzug, wenn wir sie ständig darauf hinweisen, wie man etwas nicht macht.

Ich beugte mich also über seine Hausaufgaben und sagte beiläufig: «Du hast ja Pferd grossgeschrieben. Das stimmt! Wie hast du denn das gewusst?» Begeistert erklärte er mir die Regel und meinte dann: «Oh! Wolke hätte ich auch grossschreiben müssen! Da gilt diese Regel auch!»

Später am Nachmittag fragte er während des Einkaufens: «Papa, machen wir ein Spiel? Du sagst einen Satz und ich muss herausfinden, welche Wörter gross sind.»
Mir wurde wieder einmal bewusst, wie sehr Kinder mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten gesehen werden wollen: «Schau mal, was ich schon kann!»

«Ja, aber man muss doch Kindern auch sagen, wenn sie etwas falsch machen – die müssen auch lernen, mit Kritik umzugehen» – diesem Einwand begegnet man sofort, wenn man sich dafür starkmacht, den Fokus vermehrt auf das Gelingende zu richten.

Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass dieser Satz meist von erfolgsverwöhnten Erwachsenen kommt, denen die Schule leicht fiel und die sich eine gute berufliche Position erarbeitet haben. Das klingt dann oft so: «Ich hatte im Fach xy im zweiten Jahr des Gymnasiums auch eine ungenügende Note im Zeugnis. Dann habe ich mich zusammengerissen, mehr gelernt und wurde besser. Man kriegt halt im Leben nicht alles geschenkt.»

Die Dosis macht das Gift

Wir können und sollten lernen, mit gelegentlicher Kritik umzugehen. Bei der Rückmeldung von Fehlern macht jedoch die Dosis das Gift. Wenn wir im Diktat eine gute Note erhalten haben, werden wir motiviert sein, uns die zwei, drei Wörter, die wir falsch geschrieben haben, richtig einzuprägen.

Das Kind, das sein Diktat mit 22 Fehlern zurückerhält, wird nur deprimiert sein, sich hilflos fühlen und die Überzeugung aufbauen, dass sich Lernen nicht lohnt.  Wenn wir die Lernfreude der Kinder erhalten möchten, ist es wichtig, dass wir noch über andere Feedbackvarianten verfügen als nur das Zurückmelden von Fehlern.

Kinder lernen extrem gut über Anleitung und Modelle.

Bei der Sprachentwicklung reagieren die meisten Eltern instinktiv richtig: Wir benennen etwas, wiederholen Wörter, lassen unsere Kinder mitmachen, bis sie die Sprache beherrschen. Wir hüten uns davor, einem Kind, das begeistert auf einen Hund zeigt und «und! und!» sagt, zu entgegnen: «Falsch! Das heisst nicht ‹und›! Das heisst ‹Hund›! Mit H!» Stattdessen sagen wir: «Ja genau, ein Hund!», und vertrauen darauf, dass sich das Kind der richtigen Aussprache mit der Zeit annähert.

Auch als Erwachsene lernen wir Fremdsprachen schneller und besser, wenn unser Gegenüber den Satz nochmals grammatikalisch richtig wiederholt, als wenn es den Rotstift ansetzt. Letzteres führt oft nur zu Scham und Angst und dazu, dass wir als Erwachsene Situationen ausweichen, in denen wir Französisch oder Englisch sprechen müssten.

Kinder lernen extrem gut über Anleitung und Modelle: «Schau, so kann man das machen.» Oder über Fragen: «Wie könnte man da vorgehen? Wie könntest du dir das merken?» Und sie schalten auf Durchzug, wenn wir sie ständig darauf hinweisen, wie man etwas nicht macht. Dieser Artikel soll nicht dazu führen, dass Sie Ihr Kind oder Ihre Schülerinnen und Schüler nie mehr korrigieren. Aber vielleicht hilft er Ihnen dabei, der typischen Fehlerorientierung, die wir fast alle haben, nicht gleich impulsiv nachzugeben, sondern kurz innezuhalten und sich diese Fragen zu stellen:

  • Was würde meinem Kind oder meinen Schülern wirklich dabei helfen, sich auf dieses Thema einzulassen, Fortschritte zu erleben und dabei auch noch eine schöne Erfahrung zu machen?
  • Könnte ich weniger korrigieren und dafür mehr vorzeigen, bestätigen und auf Fortschritte hinweisen?
  • Könnte ich anhand eines richtig gelösten Beispiels eine Regel nochmals auffrischen?
  • Könnte ich mehr Zeit darauf verwenden, mit meinem Kind oder meinen Schülerinnen zu erkunden, weshalb ein Wort auf eine bestimmte Weise geschrieben wird, anstatt Fehler anzustreichen?

Fabian Grolimund
ist Psychologe und Buchautor. Gemeinsam mit ­Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Er ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Fribourg.

Alle Artikel von Fabian Grolimund

Mehr zum Thema Lernen

24-04 mercator-hausaufgaben-tipps-elternmagazin-sandra-markert hg
Lernen
Hausaufgaben – die Beziehung zum Kind geht vor
Hausaufgaben seien eine Belastung für ihr Kind, sagen viele Eltern. Mit diesen Tipps gelingt das Lernen zu Hause.
ESL Sprachcamps Frankreich England HG
Advertorial
Sprachcamps mit ESL – der beste Weg eine Sprache zu lernen
Jugendliche und Kinder haben die Chance, eine unvergessliche Erfahrung in den ESL Sommer-Sprachcamps im Ausland zu machen.
Stefanie Rietzler
Blog
Warum Gurgeln gegen Prüfungsangst hilft
Für viele junge Menschen sind Tests und Vorträge purer Stress. Die Angst, zu versagen, hockt ihnen im Nacken. Mit vier einfach umsetzbaren Soforthilfen können Kinder und Jugendliche ruhiger an belastende Situationen wie z.B. Prüfungsangst herangehen.
24-03-körper-privatschule-mercator-sandra-markert-schweizer-elternmagazinfritzundfraenzi hg
Lernen
Das erhoffen sich Eltern von einer Privatschule
Nicht einmal fünf Prozent der Schweizer Schülerinnen und Schüler besuchen eine private Lerneinrichtung. Die Mehrheit der Eltern kann sich jedoch vorstellen, ihr Kind dorthin zu schicken.
SRF erklärt künstliche Intelligenz, KI.
Lernen
Sind wir nun nicht mehr die Klügsten?
Die künstliche Intelligenz ist in aller Munde und macht auch nicht halt vor Kindern. Das sind die wichtigsten Fragen dazu.
Was hilft bei einer Erkältung?
Gesundheit
Erkältung: Immer dieser blöde Pfnüsel!
Jeden Winter dasselbe: Kaum sinken die Temperaturen, sind wir krank. Wie können wir uns am besten vor einer Erkältung schützen?
Lernen
Schulnoten unter der Lupe
Das Thema Schulnoten polarisiert. Wir haben Expertinnen und Experten gebeten, gängige Meinungen dazu einzuordnen.
Hausaufgaben ohne Diskussionen
Erziehung
Hausaufgaben: So klappt es ohne Diskussionen
Manche Kinder können den Hausaufgaben wenig abgewinnen: Das ist so langweilig! Warum muss ich das machen? Was Sie als Eltern tun können.
Lernen
Karrierenachteil Elternhaus
Die Schweiz hat zwar ein durchlässiges Bildungssystem, dennoch entscheidet vor allem die soziale Herkunft der Kinder über ihre Schullaufbahn.
Alternativen zur Note. Lehrer sitzt im Klassenzimmer mit Kind und bespricht dessen Leistung.
Fritz+Fränzi
Schulnoten: Unser Thema im Februar
Sie bilden das Leistungsvermögen nur ungenügend ab. Trotzdem halten sich die Noten hartnäckig. Weshalb das so ist und was die Alternativen taugen.
Lernen
Achtung, Fälschung!
Fake News oder glaubwürdige Quelle? Oft ist die Unterscheidung gar nicht so leicht. Wie man Nachrichten im Internet kritisch hinterfragt.
SRF Kids erklärt Fast Fashion.
Gesellschaft
Lieber fair statt schnell shoppen
Jedes Jahr werden etwa 60 neue Kleidungsstücke gekauft ​– häufig sogenannte «Fast Fashion». Was es mit diesem Begriff auf sich hat.
Lernen
Wie unsere Kinder politisch fit werden
Damit unsere Kinder ihre politische Verantwortung dereinst wahrnehmen können, müssen sie darin geschult werden – schon im Kindergarten.
Stefanie Rietzler
Blog
Aufschieben: Was wirklich hilft
Alles immer aufschieben? Wer daran etwas ändern will, muss sich mit seinen Emotionen auseinandersetzen, sagt unsere Kolumnistin.
Lernen
Der schöne Schein kann trügen
Social Media zeigt oft nur die makellosen Seiten des Lebens. Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber!
Lernen
Hyperaktive Kinder brauchen eine günstige Lernumgebung
Kinder mit der Diagnose ADHS haben spezielle Bedürfnisse. Was ihnen beim Lernen hilft, sind eine angepasste Unterrichtsatmosphäre sowie spezielle Lehrmittel.
Familienleben
Wie Eltern ihr Kind richtig loben
Um das Selbstbewusstsein von Kindern zu stärken, ist Lob nicht das wirkungsvollste Mittel.
Cybermobbing SRF Kids
Lernen
Zusammen gegen Cybermobbing
Wenn Kinder im Netz gemobbt werden, ist es wichtig, besonnen zu handeln. Das gilt es zu tun.
Lernen
Die Not mit den Noten
Schulnoten stressen Schülerinnen und Schüler. Auch Lehrpersonen empfinden sie oft als unfair. Dennoch halten sie sich. Warum eigentlich?
Lernen
Wie wird die Schule zu einem glücklichen Ort?
Menschen, Abläufe und Orte können Kindern dabei helfen, die Herausforderungen in einer Lernumgebung wie der Schule zu meistern.
Lernen
Wie werden Preise gemacht?
Angebot und Nachfrage bestimmen, wie teuer ein Handy oder ein Paar Turnschuhe sind. Doch es gibt auch noch viele weitere Faktoren.
Umfrage Schule Mercator Stiftung
Schule
Welche Schule will die Schweiz?
Die Mercator-Stiftung wollte von Eltern hierzulande wissen, wie sie sich die ideale Schule für ihr Kind vorstellen. Projektleiter Daniel Auf der Maur ordnet die Resultate ein.
Erziehung
Was habe ich denn zu verbergen?
Viele Kinder nutzen Apps und Websites, ohne ihre Daten zu schützen. So sagen Sie ihnen, warum sie dies tun sollten.
Lernen
Hinschauen hilft
10 bis 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind gefährdet, gesundheitliche und soziale Probleme oder psychische Belastungen zu entwickeln. Was bedeutet das für Lehrerinnen und Lehrer?
Erziehung
Warum schwimmen wir in Plastik?
PET-Flaschen, Flip-Flops, Fischernetze: Antworten auf die wichtigsten Kinderfragen rund um Plastikmüll am und im Meer.