Vertrauen als Schlüssel für Lernbeziehungen
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Vertrauen als Schlüssel für Lernbeziehungen

Lesedauer: 4 Minuten

Alle Konzepte und Förderprogramme nützen nichts, wenn eines nicht stimmt: die Beziehung zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und ­Schülern. Was Schulen tun, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.

Text: Jörg Berger
Bild: Adobe Stock

Wer geniesst Ihr Vertrauen? Bei wem fühlen Sie sich verstanden, sicher und gesehen? Ist es vielleicht ein enger Freund, eine Freundin, ein Familienmitglied – oder jemand aus Ihrem beruflichen Umfeld? Vertrauen ist der Kern jeder Beziehung, sei es im Privaten, im Beruf oder – vielleicht am prägendsten – im Klassenzimmer.

Wenn wir über Schule sprechen, denken wir oft an Lehrpläne, Noten oder Förderprogramme. Doch all das wird nur dann wirksam, wenn das Fundament stimmt: die Beziehung zwischen Kind und Lehrperson. Vertrauen ist hier der Dreh- und Angelpunkt, denn Lernen erfordert Mut – Mut, Fehler zu machen, zu fragen und sich Herausforderungen zu stellen. Ohne Vertrauen fehlt diese Grundlage.

Die wichtigste Zutat für Vertrauen in einem Team – und das gilt auch für den Klassenverband – ist psychologische Sicherheit. Ein anschauliches Beispiel liefert die berühmte Kunstflugstaffel «Blue Angels». Auf die Frage, wie sie bei ihren waghalsigen Flugmanövern ein so hohes Mass an Vertrauen erreichen, antworteten die Piloten: «Wir vertrauen uns, weil wir uns wirklich gut kennen.»

Dieses Sich-gut-Kennen ist auch in der Schule von zentraler Bedeutung. Es geht darum, dass Lehrpersonen die Kinder nicht nur in ihrer Rolle als Schülerinnen und Schüler sehen, sondern als Menschen mit all ihren Stärken, Schwächen, Freuden und Sorgen. Genauso müssen Kinder spüren, dass sie in ihrer Individualität angenommen sind.

Lernen erfordert den Mut, ­Fehler zu machen, zu fragen und sich Herausforderungen zu stellen. Ohne Vertrauen fehlt diese Grundlage.

Verantwortung der Schulleitungen

Doch wie gelingt es, dieses Vertrauen im hektischen Schulalltag aufzubauen? Hier spielen Schul­leitungen eine entscheidende Rolle. Bereits jetzt, in der Planungsphase des neuen Schuljahres, stellen sie die Weichen. Ihre Aufgabe ist es, Ressourcen klug zu bündeln und Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Fokus auf die Lernbeziehungen lenken.

Ein wichtiger Ansatz ist, Klassen möglichst konstant von wenigen Personen begleiten zu lassen. Das minimiert Brüche in den Beziehungen und gibt den Lehrpersonen die Zeit, die Kinder wirklich kennenzulernen. Wenn Mitarbeitende an mehreren Schulen oder in verschiedenen Klassen gleichzeitig eingesetzt werden, bleibt oft zu wenig Raum für diese intensive Beziehungsarbeit. Eine gute Schulleitung sorgt dafür, dass diese Herausforderungen proaktiv adressiert werden.

An der Wand unserer Turnhalle prangt ein Graffiti: «Jede und jeder ist goldrichtig, wie er/sie ist.» Dieser Satz, der von den Kindern unserer Schule stammt, wurde zum Leitgedanken des Schuljahres. Er ist mehr als ein Motto – er ist eine Haltung, die unser Denken und Handeln prägt. Wir wollen, dass jedes Kind sich gesehen, sicher und willkommen fühlt. Doch damit diese Haltung nicht nur ein schöner Gedanke bleibt, bedarf es konkreter Massnahmen. Psychische Gesundheit ist eine der zentralen Grund­lagen dafür.

Wir haben deshalb in diesem Schuljahr begonnen, unsere Schulkultur mit dem Programm «MindMatters» weiterzuentwickeln. Dieses wissenschaftlich fundierte Programm, das ursprünglich in Australien entwickelt wurde, wird nun auch in der Schweiz erfolgreich umgesetzt. Es ist eng mit dem Lehrplan 21 verknüpft und hilft uns, das Wohlbefinden der gesamten Schulgemeinschaft zu fördern. Mit praxisnahen Materialien und einem Fokus auf Schulentwicklung gestalten wir die Schule als einen Ort, an dem sich alle sicher und wertgeschätzt fühlen.

Die Zeit, die wir investieren, um Kinder kennenzulernen, ist keine verlorene Zeit.

Mitgefühl soll gefördert werden

Im Mittelpunkt standen bisher Lektionen zum Thema «Gefühle und Selbstmanagement». Schülerinnen und Schüler lernen dabei, ihre Emotionen zu verstehen, mit Stress und Herausforderungen umzugehen und eine positive innere Haltung zu entwickeln. Diese Fähigkeiten stärken nicht nur ihre Resilienz, sondern auch ihre Fähigkeit, selbstbewusst und konstruktiv mit anderen zu interagieren.

Aktuell widmen wir uns dem Thema «Mitgefühl». Übungen und Spiele fördern die Empathie der Kinder und helfen ihnen, Beziehungen bewusst und wertschätzend zu gestalten. Bis Sommer 2025 wird das Programm durch die Themen «Entscheidungskompetenz» und «Beziehungskompetenz» abgerundet. So vermitteln wir langfristig wichtige Fähigkeiten für ein gelingendes Miteinander.

Warum ist das so wichtig? Ein psychisch gesundes Kind kann sich nicht nur besser auf den Unterricht konzentrieren, sondern auch erfolgreich mit anderen kommunizieren, Konflikte lösen und Herausforderungen bewältigen. Die Schule übernimmt hierbei eine entscheidende Rolle. Gemeinsam mit den Familien schaffen wir ein Umfeld, in dem Kinder nicht nur lernen, sondern auch wachsen können – emotional, sozial und persönlich.

Mit grossem Engagement setzen wir uns für diese Entwicklung ein. Unser Ziel ist es, Kindern die Werkzeuge mitzugeben, die sie brauchen, um ihre Träume zu verwirklichen und ein glückliches Leben zu führen. Gemeinsam mit der Schülerschaft, den Eltern und dem gesamten Umfeld wollen wir einen Ort gestalten, der von Respekt, Achtsamkeit und Toleranz geprägt ist.

Ein Plädoyer für Prioritäten

Schulen stehen unter vielfältigem Druck – gesellschaftlich, organisatorisch und pädagogisch. Doch bei aller Komplexität darf eines nicht aus dem Blick geraten: Das Herzstück der Schule sind die Lernbeziehungen. Die Zeit, die wir investieren, um Kinder kennenzulernen, ist keine verlorene Zeit. Sie ist der Schlüssel, um Vertrauen aufzubauen, Lernfreude zu wecken und langfristige Bildungserfolge zu ermöglichen.

Wenn Schulleitung, Eltern und Lehrpersonen sich gut kennen, entsteht eine ­Gemeinschaft, die das Kind in den Mittelpunkt stellt.

Schulleitungen, Lehrpersonen und Eltern tragen hier gemeinsam Verantwortung. Indem wir Ressourcen klug einsetzen, Prioritäten klar setzen und Vertrauen in den Mittelpunkt stellen, schaffen wir die besten Voraussetzungen für die Lernenden. Am Ende sind es nicht nur die Programme oder Konzepte, die eine Schule ausmachen – es sind die Beziehungen.

Wenn Schulleitung, Lehrpersonen und Eltern sich wirklich gut kennen und einander vertrauen, entsteht eine Gemeinschaft, die jedes Kind in den Mittelpunkt stellt. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam weitergehen – für starke Kinder und eine starke Schule.

Joerg_Berger

Jörg Berger
ist Mitglied der Geschäftsleitung des Verbandes Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH) und leitet seit 2008 die Schule Knonau ZH und das Netzwerk Altersdurchmischter Schulen im Kanton Zürich.

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