Und plötzlich lernt der Teenager gern Englisch

Französisch Top und Englisch Flop: Was Eltern tun können, wenn ein Sprachfach links liegen bleibt und die Motivation ihres Kindes im Keller liegt.
Mein jüngster Sohn mag Französisch und hasst Englisch. Das finde ich witzig, denn bei den meisten Kindern ist es genau umgekehrt. Als sprachbegeisterter Mensch freut mich das mit dem Französisch natürlich sehr. Ich meine, Paris, l’amour, les chansons, diese Sprache flutscht so schön und in keiner anderen kann man so geschmeidig fluchen, n’est-ce pas.
Und Englisch, well, hallo Weltsprache, sich mit Menschen rund um den Globus austauschen können, Film, Musik, Literatur, alles im Original verstehen, gar keine Frage: grandios! Da keinen Zugang? Wie schade.
Doch wie es so läuft in der Schule: Die Begeisterung für ein Fach steht und fällt oft mit der Lehrperson und da wollte der Funken bei meinem Dreizehnjährigen bis vor Kurzem nicht springen. In der Primarschule erlebte er zudem häufige Lehrerwechsel und hängte irgendwann im Englisch komplett ab.
Vergebliche Versuche
Ich habe in den letzten Jahren alles mögliche versucht: Bei den Hausaufgaben helfen (schlechte Idee; endete meist mit Geschrei) oder englische Comics zum Lieblingsthema Fussball in der Bibliothek ausleihen (blieb unbeachtet liegen).
Harry-Potter-Filme in der Originalsprache schauen (dauerte nicht länger als fünf Minuten. Sohn: «Ich verstehe kein Wort.» Ich: «Du kennst ja den Film und so lernst du Englisch.» Sohn: «Das macht überhaupt keinen Spass. Können wir wieder auf Deutsch umstellen, bitte.») oder Songs von Lieblingsbands übersetzen (war zu eintönig; bei Rap kommt man nicht über «bitch», «fuck» und «weed» hinaus). Es wollte nichts fruchten. Bis wir diese App entdeckten. Seither ist mein Sohn vom Englisch völlig angefressen.
Wie tickt mein Kind?
Doch kehren wir nochmals zur Null-Motivation meines Sohnes im Englisch-Unterricht zurück. Es wäre allzu simpel – und da sollten Eltern genug selbstkritisch sein – den fehlenden Antrieb meines Sohnes einzig auf die Lehrperson abzuschieben. Mit Schuldzuweisungen kommen wir nicht vom Fleck. Konstruktive Gespräche und selbstreflektierende Fragen hingegen bringen uns weiter (und sind auch viel spannender).
Fragen wie diese: Wie tickt mein Kind eigentlich? Was braucht es zum Lernen? Wie geht es an eine neue Aufgabe heran? Zu welcher Tageszeit lernt es am effizientesten? Kann es planen? Die Arbeit einteilen? Wofür begeistert sich mein Kind? Welche seiner Stärken sind fürs Lernen besonders hilfreich?
Wenn eine Tätigkeit viele positive Empfindungen in uns auslöst, entwickeln wir fast automatisch Interesse daran.
Fabian Grolimund, Psychologe
Und nicht zu vergessen, ehrliche Fragen an uns selbst: Wie habe ich meine eigene Schulzeit erlebt? Welcher Lerntyp bin ich? Wie rede ich über meinen Job? Bin ich motiviert und ist meine Arbeit erfüllend? Mimik, Gestik, Körperhaltung oder Stimme, ja, unsere ganze Ausstrahlung, alles erzählt davon, ob wir Freude an einer Tätigkeit haben oder eben nicht. Dafür haben Kinder ein untrügliches Gespür.
Bei meinem Sohn ist es so: Fühlt er sich in einem Fach kompetent, zeigt er sich offen und interessiert. Er sitzt dann häufiger mit wachen Ohren im Unterricht und das Gehörte geht meist rein und nistet sich ein. Fühlt er sich hingegen unsicher und denkt von sich, dass er diesen Stoff eh nicht könne, macht er die Schotten dicht. Dann rasselt die Stimme der Lehrperson Göschenen-Airolo durch sein Gehör. Ein einziger Durchzug, bei dem nichts hängen bleibt.
Die ganze Familie im Sprachfieber
Sich kompetent fühlen ist laut Psychologe und Lerncoach Fabian Grolimund eines von drei Grundbedürfnissen, die erfüllt sein müssen, damit intrinsische Motivation, also Eigenmotivation, entstehen kann. Der Psychologe sagt auch: «Wenn eine Tätigkeit viele positive Empfindungen in uns auslöst, entwickeln wir fast automatisch Interesse daran.»
Und genau das ist bei uns eingetroffen: Nach jahrelanger Englisch-Einöde schiessen bei meinem Sohn derzeit ganze Begeisterungs-Oasen aus dem Boden. Wobei sich diese Begeisterung auf die ganze Familie ausgebreitet hat (bei den anderen sind es Französisch und Italienisch), denn wir haben die Sprach-App «Duolingo» entdeckt.
Ähnlich wie gamen
Es gibt viele Sprach-Apps und ich möchte nicht behaupten, dass Duolingo die beste sei. Ich kenne mich mit weiteren auch nicht aus. Im Moment reicht mir die Tatsache, dass sich für uns ein langjähriges und stressreiches Thema innert Sekunden aufgelöst hat.
Das Grundkonzept von Duolingo setzt sich aus Muttersprache und Fremdsprache zusammen und eignet sich vor allem für Anfänger und solche, die ihren Grundwortschatz auffrischen möchten.
Das ganze fühlt sich ein bisschen wie gamen an. Genau darin liegt der Reiz, weshalb mein Sohn so darauf abfährt. In kurzen Lektionen verdient man Punkte, schaltet neue Levels frei und trainiert dabei seine Sprachfähigkeiten für Gespräche im realen Leben (ich höre ihn zum ersten Mal laut und fröhlich Englisch sprechen).
Bereits nach einer Woche sieht, hört und fühlt man die Fortschritte.
Von diversen Charakteren begleitet (Frau, Mann, Bär, Vogel, alt, jung, seriös, gmögig, cool usw.) löst man in Fünferschritten verschiedene Aufgaben. Mal werden Fertigkeiten im Lesen, mal im Schreiben, Hören oder Sprechen vermittelt und geübt.
Es hüpft und tönt (kann deaktiviert werden), Belohnungen und die entsprechenden Glückshormone werden ausgeschüttet, andere Teilnehmer können zu Challenges herausgefordert werden, es gibt Ranglisten (von Bronze- bis Goldliga), Geschenke, Deals und vieles mehr. Kurz: Es ist die reinste Lern-Chilbi. Das macht Spass, ist kurzweilig und motiviert enorm. Bereits nach einer Woche sieht, hört und fühlt man die Fortschritte.
Duolingo gibt es kostenlos oder als Bezahl-App (Super Duolingo). Das heisst wie bei allen Apps, für die man nichts bezahlt: Es wimmelt von Werbung und es können nur rudimentäre Funktionen genutzt werden. Ein Familienabo für 12 Monate (bis zu sechs Personen) kostet in der Schweiz 120 Franken. In unseren Nachbarländern übrigens nur 84 Euro. Auf eine Person gerechnet macht das etwa einen Franken sechzig pro Monat.
Motivation als goldener Schlüssel
Der Sprung von der Primarschule an die Oberstufe ist gross: Während das Primarschulkind wenige Hauptbezugspersonen hat und eng begleitet wird, steht der Teenager einer Vielzahl von Fachlehrpersonen gegenüber, muss sich selbständig organisieren und sollte allein lernen können. Das geschieht nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess mit einigen Stolpersteinen. Motivation ist der goldene Schlüssel für ein erfolgreiches Fussfassen im neuen Lebensabschnitt.
Mein Sohn befindet sich im ersten Schuljahr in einer Sek A im Kanton Zürich. Die Phase der Klassenfindung, das gegenseitige Beschnuppern und Annähern von Lehrpersonen, Mitschülern und Fächern ist mittlerweile abgeschlossen. Dass sich der Knopf im Englischen gelöst hat, zeigt sich auch in seinen Prüfungsresultaten. Das spornt ihn an. Und was mich besonders freut: Die neu entfachte Motivation springt bereits auf weitere Fächer über.