Resilienz: Der Weg zu innerer Stärke
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Der Weg zu innerer Stärke

Lesedauer: 11 Minuten

Manche Menschen pustet ein Lüftchen um, andere trotzen Orkanen. «Resilienz» nennt die Wissenschaft jene Widerstandsfähigkeit, die Menschen Krisen meistern und ein gutes Selbstwertgefühl bewahren lässt. Die gute Nachricht: Diese Widerstandsfähigkeit können Kinder lernen. Doch wie geschieht das? Und was können Eltern dafür tun? Eine Annäherung.

Text: Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler
Bilder: Kate Parker

Hallo Stefanie …» sang mein Grossvater jeweils aus voller Kehle, wenn ich an der Tür klingelte. So fröhlich war er, egal, ob es sich dabei um uns Enkel, den Briefträger oder Kinder aus der Nachbarschaft handelte. Jeder war willkommen und wurde angesteckt von seiner unbändigen Lebensfreude. Als ich ihm erzählte, dass ich in der Schule nun Französisch lerne, antwortete er mir: «Ah, vous parlez français, Mademoiselle!», und sprach fliessend auf mich ein. Es waren meist alltägliche Begebenheiten, die Bruchstücke seiner Lebensgeschichte zutage förderten. Als ich erstaunt nachfragte, woher er Französisch könne, meinte er: «Das ist eine lange Geschichte.»

Er strich sich über die Glatze mit vereinzelten weissen Haarbüscheln, die hügelig und vernarbt war von den Granatsplittern, die sich nicht entfernen liessen, und erzählte vom Krieg und der Gefangenschaft: den vielen Jahren, die er in Kriegsgefangenenlagern an der italienisch-französischen Grenze verbrachte, den Minenfeldern, die sie räumen mussten, und den jungen Männern in seiner Umgebung, die durch Explosionen zu Tode kamen, erfroren oder verhungerten.

Die Entstehung von Gesundheit

Wann immer ich etwas zum Thema Resilienz (siehe Box weiter unten) lese, muss ich an ihn denken. An seine Widerstandsfähigkeit, seinen Optimismus, seine Besonnenheit und seine Fähigkeit, sich über scheinbare Kleinigkeiten zu freuen. Woher nahm er diesen ungebrochenen Lebenswillen und seine Fröhlichkeit?

Seit dem Zweiten Weltkrieg befassen sich Strömungen der Psychologie mit der Frage, wie wir gesund bleiben, was uns im Umgang mit Belastungen schützt und wie wir Wohlbefinden erlangen. Der Erste, der sich mit der «Entstehung von Gesundheit» auseinandersetzte, war Aaron Antonovsky. Er untersuchte Überlebende des Holocaust und ging der Frage nach, warum es einigen der Menschen, die die Schrecken der Konzentrationslager überlebten, gelang, trotz dieser Erfahrungen ein zufriedenes Leben zu führen.

Seine Untersuchung zeigte, dass diese Menschen die Welt als verstehbar und sinnhaft und sich selbst als wirksam wahrnahmen. Einige Jahre später wurden viele seiner Ergebnisse durch einen neuen Forschungszweig bestätigt.

Die Entwicklungspsychologin Emmy Werner startete 1955 gemeinsam mit ihrer Kollegin Ruth Smith eine bahnbrechende Untersuchung. Sie begleitete den gesamten Geburtsjahrgang 1955 der Insel Kauai, insgesamt 698 Kinder, über mehrere Jahrzehnte hinweg.

Dabei stellte sie fest, dass sich rund ein Drittel der Kinder, die unter schwierigsten Bedingungen aufwachsen mussten, trotz aller Widrigkeiten positiv entwickelte. Kinder, die trotz grösster Armut, alkohol- oder drogensüchtiger Eltern oder zerrütteten Familienverhältnissen zu psychisch gesunden Erwachsenen heranwuchsen, bezeichnete sie als resilient.

Resiliente Kinder und Jugendliche besitzen eine ausgeprägte Selbstwahrnehmung.

Weitere Forscher schlossen sich dieser Strömung an, führten eine Vielzahl an Studien durch und fanden mehrere Faktoren, die Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene im Umgang mit Belastungen stärken. Während diese Forschungsbereiche der Frage nachgingen, wie wir mit Stress und Belastungen umgehen können, befassen sich die positive Psychologie und die Glücksforschung mit der Frage, wie wir ein gelingendes Leben führen und unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit steigern können.

Aus dieser Forschungslandschaft möchten wir Ihnen einige Ergebnisse vorstellen, die es Ihnen erleichtern, Ihre Kinder auf das Leben vorzubereiten, ihre Widerstandskräfte zu stärken und die Grundlagen für ein zufriedenes Leben zu legen.

Vorausschicken möchten wir einen zentralen Befund der Resilienzforschung: Fast jedes der resilienten Kinder hatte zumindest eine erwachsene Bezugsperson, die ihm Liebe und Geborgenheit vermittelte. Häufig war dies ein Elternteil, oft aber auch nähere Verwandte oder eine Lehrperson.

Resilienz – die psychische Widerstandsfähigkeit 

Resilienz bezeichnete ursprünglich die Beschaffenheit von Baustoffen, die nach Krafteinwirkungen wieder in ihre Ursprungsform zurückkehren, etwa ein Schaumstoffball, den man zusammendrücken kann. In der Psychologie versteht man unter Resilienz die psychische Widerstandkraft.

Resiliente Menschen besitzen die Fähigkeit, schwierige Lebensumstände, Krisen und Traumata zu verkraften und trotzdem psychisch gesund zu bleiben. Wie sich diese Fähigkeit entwickelt, steht seit mehreren Jahrzehnten im Zentrum der Resilienzforschung.

Heute geht man davon aus, dass sich Resilienz in einer komplexen Wechselwirkung zwischen einem Kind, seinen engsten Bezugspersonen und Umwelteinflüssen entwickelt und sich im Laufe des Lebens auch verändern kann.

Die im Folgenden beschriebenen Eigenschaften setzen eine solche stabile Beziehung voraus und entwickeln sich im Austausch zwischen Kind, Bezugsperson und Umwelt.

Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung

Bin ich mir meiner Gedanken und Gefühle bewusst? Kann ich diese ausdrücken und reflektieren? Resiliente Kinder und Jugendliche besitzen eine gut ausgeprägte Selbstwahrnehmung. Es geht ihnen nicht einfach schlecht: Sie wissen, ob sie traurig, wütend, enttäuscht oder nur mies gelaunt sind. Dadurch kennen sie nicht nur sich selbst besser, sondern können auch die Gefühle und Stimmungen anderer besser «lesen» und adäquat darauf reagieren. Gleichzeitig können sie ihre Gefühle regulieren.

Dies bedeutet, dass sie ihren Emotionen nicht ausgeliefert sind, sondern Möglichkeiten kennen, um ihre Gefühle zu beeinflussen. Dadurch können Sie beispielsweise trotz Wut im Bauch darauf verzichten, ein anderes Kind zu schlagen. Sie können ihre Ängste überwinden, an einer Aufgabe bleiben, obwohl sie keine Lust darauf haben, oder sich selbst beruhigen. Ein Kind kann diese Kompetenzen eher erwerben, wenn es Erwachsene um sich hat, die: 

  • über eigene Gefühle sprechen. 
  • ihm dabei helfen, seine Gefühle auszudrücken. 
  • ihm einen kompetenten Umgang mit Emotionen vorleben. 

Die Fähigkeit, Gefühle wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen, entwickelt sich über viele kleine Alltagssituationen hinweg: Nehmen wir an, ein Kind wurde in der Schule von einer Lehrperson ungerecht behandelt. Es musste eine unpädagogische Äusserung über sich ergehen lassen oder wurde ungerecht benotet. Wie sähe eine Reaktion aussehen, bei der ein Kind lernen kann, seine Gefühle auszudrücken und mit diesen umzugehen?

Der Resilienzforscher Klaus Fröhlich-Gildhoff unterscheidet drei Reaktionsmöglichkeiten, von denen nur eine sinnvoll ist:

  • Manche Eltern möchten das Kind trösten, indem sie das Problem als Bagatelle abtun: «Ist doch nicht so schlimm.» Das birgt das Risiko, dass das Kind sich nicht ernst genommen fühlt. Vielleicht vertraut es mit der Zeit den eigenen Gefühlen nicht mehr oder behält diese lieber für sich. 
  • Ähnlich ungünstig ist es, wenn die Eltern von ihren eigenen Gefühlen übermannt werden und sich dadurch nicht mehr um das Kind kümmern können. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn sie derart wütend werden, dass sie das Ruder an sich reissen und gleich die Lehrperson anrufen oder in der Schule vorstellig werden. Manchmal werden dadurch Schwierigkeiten, die für das Kind zuvor noch gut zu handhaben schienen, durch die Eltern derart aufgebauscht, dass sie plötzlich unüberwindbar wirken. 
  • Hilfreich wäre, wenn die Eltern dem Kind zunächst nur zuhören: Was ist genau passiert? Wie hast du dich dabei gefühlt? Sie können dazu die Gefühle des Kindes spiegeln: «Das hat dich sicher sehr geärgert.» 

Doch wie können wir in solchen Situationen beim Kind bleiben, anstatt uns in eigenen Gefühlen zu verlieren? Vielleicht hilft es, wenn wir unsere Emotionen mit dem Kind teilen: «Das ärgert mich gerade auch!» Beruhigend wirkt auch der Gedanke, dass wir nicht gleich etwas unternehmen müssen.

Wir dürfen uns darauf konzentrieren, für unser Kind da zu sein, zuzuhören und mit ihm gemeinsam zu überlegen, wie es mit der Situation umgehen will. Dabei wird sich zeigen, ob es überhaupt weitere Hilfe von uns will und wenn ja, in welcher Form.

Sich um die Emotionen des Kindes kümmern

Bei der Arbeit mit Eltern durften wir immer wieder erfahren, dass es für Kind und Eltern entlastend ist, wenn sich Eltern zunächst ausschliesslich um die Gefühle des Kindes kümmern und nicht schon an eine Lösung denken.

Wenn wir starke unangenehme Emotionen wie Ärger, Wut, Enttäuschung oder Angst empfinden, ist ein spezifischer Bereich in unserem Gehirn aktiv: die Amygdala. Wenn dieser Bereich feuert, geht die Hirntätigkeit in unserem präfrontalen Kortex, dem Sitz unseres bewussten Denkens, zurück.

Je besser ein Kind weiss, was ihm guttut, desto leichter kann es einen guten Umgang mit schwierigen Gefühlen finden.

Genau diesen Bereich benötigen wir jedoch, um uns eine Lösung zu überlegen. In diesem Zustand werden auch Ideen und Lösungsvorschläge von aussen keinen Anklang finden: Sie reden gegen eine Wand. Ganz egal, ob es sich beim Gesprächspartner um ein Kind oder einen Erwachsenen handelt.

Eltern können ihr Kind in diesem Moment aber fragen, was ihm jetzt guttun würde, und ihm versichern, dass sie gemeinsam mit ihm nach einer Lösung suchen werden, sobald es sich etwas besser fühlt: «Wir werden etwas unternehmen. Aber jetzt kochen und essen wir erst mal. Und nach dem Essen überlegen wir uns, was wir tun könnten.»

Was hilft, wenn man gestresst ist?

Wenn meine Frau nach Hause kommt und enttäuscht oder wütend ist, schätzt sie es, wenn ich ihr eine halbe Stunde konzentriert zuhöre und vielleicht auch gemeinsam mit ihr überlege, wie sie reagieren könnte. Ich hingegen möchte kurz sagen können, wie es mir geht – und dann bitte nicht darüber sprechen müssen.

Ein Glas Wein und ein guter Film sind für mich genau das Richtige, wenn ich frustriert bin. Um eine Lösung kümmere ich mich gerne am nächsten Tag, falls das dann überhaupt noch nötig ist.

Was tut Ihnen gut, wenn Sie gestresst sind? Was benötigt Ihr Partner, Ihre Partnerin, wenn er oder sie frustriert oder enttäuscht ist? Was hilft Ihren Kindern, wenn sie traurig sind? Je genauer einzelne Familienmitglieder wissen, welche Bedürfnisse die anderen haben, desto besser können sie sich gegenseitig unterstützen.

Je besser ein Kind weiss, was ihm guttut, desto leichter kann es einen guten Umgang mit schwierigen Gefühlen finden. Vielleicht sorgen diese Fragen während eines Ausflugs, einer Zugfahrt oder einer Wanderung für spannenden Gesprächsstoff?

Selbstvertrauen und Problemlösekompetenz

Widerstandskraft ist kein angeborenes Merkmal. Sie entwickelt sich im Laufe der Zeit, indem sich das Kind mit seiner Umwelt auseinandersetzt. Dabei erstarkt unser «psychisches Immunsystem» nur dann, wenn es ab und zu aktiviert wird, wenn Herausforderungen da sind, die unsere Widerstandskräfte mobilisieren.

Jedes Problem, mit dem ein Kind konfrontiert wird, stellt auch eine Möglichkeit dar, Fähigkeiten im Umgang mit Problemen zu entwickeln, Selbstvertrauen zu gewinnen und sich als wirksam zu erleben. Hat ein Kind eine Belastung erfolgreich bewältigt oder ein Problem gelöst, geht es gestärkt aus dieser Erfahrung hervor.

Resiliente Kinder regulieren ihre Gefühle. Sie sind ihren Emotionen nicht einfach ausgeliefert, sondern können ihre Gefühle beinflussen.

Nur so entwickelt ein Kind die realistische, positive Erwartung, dass es auch künftige Schwierigkeiten meistern kann. Was bedeutet das für uns als Eltern oder Lehrpersonen? Studien zur Resilienz haben immer wieder gezeigt, dass die Bezugspersonen, die für die resilienten Kinder prägend waren, dem Kind nicht nur Liebe und Wertschätzung entgegenbrachten, sondern es auch herausforderten und ihm etwas zutrauten.

Wenn ein Kind das Gefühl hat, zu dumm zu sein oder etwas nicht zu schaffen, dann benötigt es keine «Du schaffst das!»-Parolen oder jemand, der ihm alles abnimmt, sondern Erwachsene, die die Unsicherheit des Kindes aushalten können und die Geduld aufbringen, mit ihm nach einer Lösung zu suchen.

Ziele und einen Plan entwickeln

Auch hier ist es hilfreich, zunächst die Gefühle des Kindes zu spiegeln: «Das scheint dir im Moment wie ein riesiger Berg» oder «Du kannst dir gerade nicht vorstellen, dass du das jemals können wirst». Problemlösekompetenzen entwickeln Kinder, wenn wir ihnen dabei helfen, sich in Ruhe mit einer Aufgabe auseinanderzusetzen: «Komm, jetzt lesen wir die Aufgabe mal durch», «Weisst du, was du machen musst?», «Was hast du davon verstanden? ».

Wir können ihm den aktuellen Stand bewusst machen und ihm helfen, Ziele und einen Plan zu entwickeln. Vielleicht hat sich Ihre Tochter heftig mit der besten Freundin zerstritten? Eine wunderbare Möglichkeit, soziale Kompetenzen zu trainieren und die Erfahrung zu machen, dass Konflikte lösbar sind.

Die Eltern könnten sagen: «Bei so einem Streit hat man oft das Gefühl: Das wird nie wieder gut. Weisst du, ich glaube, für Amelie ist es genauso schwierig wie für dich. Und ich glaube, nach der ersten Wut würde sie sich auch gerne wieder mit dir vertragen. Wollen wir überlegen, wie ihr das wieder hinbekommt?»

Problemlösekompetenzen und Selbstvertrauen entwickeln Kinder dann, wenn sie zwar Hilfe erhalten, aber nur so wenig wie nötig – ganz nach dem Motto von Maria Montessori «Hilf mir, es selbst zu tun». Wann immer es Ihrem Kind gelungen ist, ein Problem zu lösen, können Sie mit ihm darüber sprechen, wie es das geschafft hat.

Damit helfen Sie ihm, sich nützliche Strategien bewusst zu machen und sich diese für spätere Gelegenheiten zu merken. Mit der Zeit fühlt es sich für eine immer grössere Bandbreite an Herausforderungen gewappnet. Der Umgang mit Problemen beeinflusst jedoch nicht nur die Selbstwirksamkeit, sondern prägt auch die Persönlichkeit.

Oftmals bleibt uns angesichts der kleineren und grösseren Widrigkeiten des Lebens kaum etwas anderes übrig, als uns in wichtigen Tugenden wie Ausdauer, mentaler Stärke, Geduld oder Hilfsbereitschaft zu üben. Wir können mit Kindern und Jugendlichen von Zeit zu Zeit einen Blick zurück werfen auf diejenigen Momente, an denen sie als Persönlichkeit gewachsen sind. Oftmals wird ihnen dabei bewusst, dass sie bereits einige Hürden genommen haben und mittlerweile mehr Kraft und innere Stärke in ihnen steckt, als sie vielleicht bisher angenommen haben.

Widerstandskraft ist nicht angeboren. Sie entwickelt sich, indem das Kind sich mit seiner Umwelt auseinandersetzt.

In unserer Kultur gelten Optimisten oftmals als realitätsfremd und naiv. Als wir in einem unserer Seminare darüber sprachen, wie wichtig es für Kinder sei, eine optimistische Grundhaltung zu entwickeln, entgegnete eine Mutter: «Das sehe ich anders. Ich muss mein Kind doch auf die Realität vorbereiten! Wenn man vom Schlimmsten ausgeht und sich innerlich darauf vorbereitet, dass die Welt nun mal ungerecht ist und dass andere Menschen einen ausnützen wollen, wenn man zu nett zu ihnen ist, ist man besser dran und wird seltener enttäuscht!» Letzteres ist definitiv nicht der Fall.

Menschen, die davon ausgehen, dass die Welt schlecht ist, und tief im Inneren bangen, dass eine düstere Zukunft vor ihnen und ihren Kindern liegt, sorgen schlussendlich dafür, dass es ihnen selbst und ihren Familien tatsächlich schlechter geht. Wer dem Leben mit einer pessimistischen Haltung gegenübertritt, lenkt seine Aufmerksamkeit automatisch auf alle Aspekte, die dieser Einstellung entsprechen: auf das «gemeine Kind» auf dem Spielplatz, die Schulfreundin, die ein Geheimnis ausplaudert, die rücksichtslosen älteren Schüler, die einen Teil des Pausenhofs für sich beanspruchen, auf den ungerechten Lehrer, die strenge Sporttrainerin.

Fit und glücklich dank Optimismus

All diese Erlebnisse werden zur Bestätigung, wie schlimm und ungerecht die Welt ist. Wer mit dieser Brille durchs Leben geht, empfindet negative Gefühle länger und stärker. Und ihm entgehen die vielen Momente, in denen andere Kinder hilfsbereit, freundlich oder loyal sind, die Lehrpersonen sich wertschätzend auf das Kind einlassen und die strenge Sporttrainerin durch klare Regeln und Rückmeldungen dafür sorgt, dass das Kind sich über Fortschritte freuen kann.

Momente, die für positive Gefühle sorgen, geraten in den Hintergrund, gleichzeitig werden negative Gefühle wie Ärger, Missgunst, Neid oder Enttäuschung geschürt. Die Forschung zeichnet ein deutliches Bild: Menschen mit einem gesunden Optimismus leben länger, sind körperlich fitter, haben glücklichere Beziehungen und sind erfolgreicher.

Wenn du dich darauf konzentrierst, was du hast, wirst du letztlich immer mehr haben als zuvor.

Oprah Winfrey, Talkmasterin

Mit Optimismus ist kein blauäugiges positives Denken gemeint, sondern die Überzeugung, dass das Leben lebenswert ist, viel Schönes bereithält und sich Krisen und Schwierigkeiten überwinden lassen. Doch wie können Familien optimistischer werden? Bei dieser Frage kommt man fast nicht an der Dankbarkeit vorbei.

Die bekannte Talkmasterin Oprah Winfrey, die als Kind in bitterer Armut aufwuchs und sexuellen Missbrauch erleben musste, schreibt dazu: Ein Dankbarkeitstagebuch zu führen «war der wichtigste Schritt, den ich in meinem gesamten Leben gemacht habe. Egal, was gerade in deinem Leben vorgeht. Wenn du dich darauf konzentrierst, was du hast, wirst du letztlich immer mehr haben als zuvor. Wenn du dich darauf konzentrierst, was du nicht hast, wirst du nie, nie, nie genug haben.»

Auch die Familie Morand (hier im Interview) hat sich in ihrer schwierigen Lebensphase aktiv darum bemüht, ein Dankbarkeitsritual in der Familie zu pflegen. Vor Weihnachten wurde die Wohnung mit Zetteln dekoriert, auf die Georges und seine Kinder schrieben, wofür sie trotz allem Schwierigen dankbar sind.

Als Eltern können wir unsere Kinder dazu anleiten, ab und zu innezuhalten und den Moment zu geniessen. Wir können uns gemeinsam mit ihnen Zeit nehmen, um dankbar zu sein für all das Gute, das uns manchmal selbstverständlich erscheint.

Wenn wir selbst oder unsere Kinder einen Schicksalsschlag oder eine schwierige Lebenssituation bewältigen müssen, ist es nicht leicht, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Manchmal finden wir Trost und neue Zuversicht in den Geschichten von Menschen, die Ähnliches durchmachen mussten.

Immer wieder stossen wir auf inspirierende Biografien von Persönlichkeiten, die sich trotz schwerer Vergangenheit ein zufriedenes und erfolgreiches Leben erkämpft haben. Indem wir solche Beispiele mit belasteten Jugendlichen teilen, vermitteln wir ihnen ein wenig Hoffnung, dass Unglück nicht zwangsläufig von Dauer sein muss.

Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund
sind Psychologen und leiten die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Die beiden eint der Wunsch, dass Kindergarten und Schule Orte sind, wo sich Kinder, Eltern und Lehrpersonen wohl fühlen und voneinander lernen können.

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