«Schlafmangel in der Pubertät kann krank machen»

Warum aus frühmorgens putzmunteren Schulkindern plötzlich jugendliche Nachteulen werden und wie Eltern damit umgehen können, erklärt Schlafforscherin Leila Tarokh.
Frau Tarokh, wie verändert sich der Schlaf mit Beginn der Pubertät?
In der Phase der Adoleszenz im Alter von etwa 11 bis 25 Jahren verschiebt sich der biologische Tag-Nacht-Rhythmus. Das führt dazu, dass Teenager abends immer später einschlafen.
Von welcher Grössenordnung sprechen wir hier?
Die natürliche Einschlafzeit verschiebt sich zwischen dem Einsetzen der Pubertät und dem 17. Lebensjahr um ungefähr zwei Stunden. Um den 20. Geburtstag herum dreht sich dieser Trend zu späteren Schlafenszeiten allmählich wieder um; komplett abgeschlossen ist er aber erst einige Jahre später.

Warum ist das so?
Die Verschiebung der inneren Uhr und die damit verbundene spätere Einschlafzeit ist in der Pubertät ein typisches biologisches Phänomen, das wir auch bei Tieren wie etwa heranwachsenden Affen oder Mäusen beobachten. Die Jugendlichen können also nichts dafür.
Was geschieht im Körper?
Was im Detail genau auf Zellebene passiert, kann die Wissenschaft bis heute nicht erklären. Wir gehen allerdings davon aus, dass in dieser Phase die vermehrte Ausschüttung von männlichen und weiblichen Sexualhormonen eine Rolle spielt.
Ausserdem nehmen wir an, dass sich eine grössere Toleranz für den Schlafdruck entwickelt. Mit der Dauer des Wachseins baut sich Müdigkeit bei Jugendlichen vergleichsweise langsam auf. Das heisst, dass Jugendliche im Vergleich zu jüngeren Kindern abends mühelos lange wach sein können. Wer abends länger wach ist, setzt sich auch vermehrt künstlichen Lichtquellen aus. Licht wiederum bremst die Produktion von Melatonin. Tatsächlich ist in der Adoleszenz eine verzögerte Ausschüttung des Schlafhormons messbar. Auch dadurch werden die Teenager später müde.
Haben auch die Umbauprozesse im Gehirn damit zu tun?
Davon gehen wir aus. Während der Hirnreifung in der Pubertät werden jene Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, also Synapsen, die wenig genutzt werden, abgebaut, während andere, häufig genutzte Verbindungen zwischen Neuronen und zwischen verschiedenen Gehirnregionen verstärkt werden. Insgesamt gehen in der Adoleszenz sehr viele Synapsen verloren, was die Plastizität und Effizienz des Gehirns stark erhöht. Das ist ein ganz natürlicher und gesunder Prozess, der neue Verknüpfungen im Gehirn überhaupt erst wieder möglich macht, sich aber auch auf den Schlaf auswirkt.
Die Nutzung von elektronischen Medien abends im Bett ist sicherlich nicht günstig.
Können Sie das näher erklären?
Ausgehend vom aktuellen Wissensstand benötigen Synapsen zur Erholung von den Tagesaktivitäten viel Tiefschlaf. Weil die Anzahl der Synapsen in der Pubertät stark abnimmt, sinkt auch der Anteil der Tiefschlafphasen. Wenn wir die Hirnströme im Schlaf mittels EEG messen, können wir bei Jugendlichen eine Reduktion des Tiefschlafs um etwa 40 Prozent beobachten. Dadurch sinkt wiederum der Schlafdruck, was die Teenager abends länger wach bleiben lässt.
Eltern machen vor allem die vermehrte Nutzung von Handy oder Tablet für die spätere Einschlafzeit von Jugendlichen verantwortlich.
Die Nutzung von elektronischen Medien abends im Bett ist sicherlich nicht günstig. Es gibt jedoch noch weitere typische Vorgänge, die mit dem Jugendalter zusammenfallen und die Tendenz, spät einzuschlafen, aktiv fördern. So dauert die Schule meist länger, Hausaufgaben und Lernzeit werden mehr. Dadurch finden Hobbys und Freizeitaktivitäten zunehmend später statt. Ausserdem steigt das Streben nach Autonomie und Risikobereitschaft, wodurch sich Jugendliche von Erwachsenen nur noch ungern etwas sagen lassen.
Die Schule berücksichtigt den veränderten Schlafrhythmus nicht. Was hat das für Konsequenzen?
Viele Teenager bekommen durch den gleichbleibend frühen Schulbeginn unter der Woche deutlich zu wenig Schlaf. Der natürliche Schlafbedarf ist in dieser sensiblen Entwicklungsphase noch wesentlich höher als bei Erwachsenen und beträgt durchschnittlich 9,1 Stunden. Bei einer Bettgehzeit von 23 Uhr schlafen die Jugendlichen dann meist aber nur acht Stunden oder noch weniger.
Wie gefährlich ist Schlafmangel in der Pubertät?
Resultate aus der Forschung deuten darauf hin, dass ein konstantes Schlafdefizit im Jugendalter negative Auswirkungen haben kann. So gibt es Hinweise darauf, dass das Risiko für psychische Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen bei dauerhaftem Schlafmangel erhöht ist. Ausserdem ist zu wenig Schlaf mit eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit verbunden, sodass die Schulleistungen sinken und auch die Unfallgefahr, etwa im Strassenverkehr, steigt.
Eltern sollten die Schlafhygienetipps konsequent einhalten und auf gleichbleibende Schlafenszeiten achten.
Durch unzureichenden Schlaf wird das Körperwachstum gebremst, während eine Gewichtszunahme begünstigt wird, weil Schlafmangel den Appetit anregt. Zudem wird das Immunsystem geschwächt, was die Anfälligkeit für Krankheiten fördert. Ausserdem leiden die Reifungsprozesse des Gehirns, was die optimale Entwicklung kognitiver Fähigkeiten erschwert.
Was können Eltern tun?
Zugegeben, der Einfluss der Eltern ist in der Pubertät begrenzt und die Rahmenbedingungen der Schlafzeit sind durch die biologischen Prozesse weitgehend gesetzt. Allerdings gibt es durchaus Möglichkeiten, den Schlaf von Jugendlichen zu verbessern und der Verschiebung der Schlafenszeiten in die späten Abendstunden ein Stück weit entgegenzuwirken.
Was schlagen Sie vor?
Ich empfehle die Schlafhygienetipps konsequent einzuhalten und auf gleichbleibende Schlafenszeiten zu achten. Koffeinhaltige Getränke und Lebensmittel sollten nach dem Mittagessen nicht mehr verzehrt werden. Elektronische Medien sollten vor dem Schlafengehen ausserhalb des Zimmers komplett ausgeschaltet werden. Ständige Erreichbarkeit und das Reagieren auf eingehende Nachrichten über das Smartphone führen dazu, dass die Jugendlichen oft ungewollt noch später einschlafen.
Das ist leichter gesagt als getan.
Zum einen sollten Eltern mit gutem Beispiel vorangehen. Zum anderen empfehle ich, die Jugendlichen umfassend über die Risiken des Schlafmangels aufzuklären und sie im eigenen Interesse darum zu bitten, entsprechend zu handeln. Unterstützung können sich Eltern dabei inzwischen auch von angesagten Influencern in den sozialen Medien holen. Hier spielt uns das ausgeprägte Gesundheitsbewusstsein der Generation Z in die Karten. Sie haben den Schlaf als wahre Wunderquelle für Fitness, Leistungsfähigkeit und psychische Gesundheit wiederentdeckt.
Und wenn auch das nicht überzeugt?
Dann hilft vielleicht ein Appell an die Eitelkeit. Denn Schlafmangel fördert nicht nur eine Zunahme des Körpergewichts, sondern wirkt sich auch negativ auf das Hautbild aus und begünstigt Akne. Wer schöne Haut haben und schlank sein will, sollte deshalb unbedingt auf ausreichend Schlaf achten.