Ist Üben altmodisch?
Merken
Drucken

Ist Üben altmodisch?

Lesedauer: 2 Minuten

Ein Gespräch mit dem Lernpädagogen Armin Born über die Kunst des Lernens, warum Kinder auch dann weiter üben sollten, wenn sie etwas längst können und über das Vergessen.

Interview: Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler
Fotos: Salvatore Vinci / 13 Photo

Herr Born, was löst das Wort Üben bei Ihnen aus?

Ah ja, ich will etwas können, also fange ich an zu üben. Üben ist immer sehr eng mit dem Wunsch verbunden, etwas zu können – unabhängig davon, ob es rechnen oder lesen, Gitarre spielen oder eine sportliche Betätigung wie Fussball oder Hochsprung ist.

Armin Born ist als Pädagoge und psychologischer Psychotherapeut mit dem Schwerpunkt Leistungsstörungen und ADHS in einer Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig. Er ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Lernen.

Ist Üben altmodisch?

Von schulischer Seite wird das Üben häufig zu wenig geschätzt. Einseitig wird vor allem auf das Verstehen, auf die Einsicht und darauf gesetzt, dass das Kind möglichst allein und selbsttätig zu der jeweiligen «Erkenntnis» gelangt. Üben bzw. Pauken gilt dann als altmodisch und fast schon als unpädagogisch.

Tipps für effektives Üben: Kleine, regelmässige Lernportionen und am Anfang möglichst tägliches Wiederholen.

Hier wirken immer noch die alten ideologischen Vorstellungen der Reformpädagogik nach, obwohl sich diese als irrig und als Wunschvorstellung herausgestellt haben. Aktuelle lernpsychologische und neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse belegen uneingeschränkt die Notwendigkeit des Übens und Wiederholens.

In Ihren Büchern weisen Sie auf die Bedeutung der Automatisierung hin. Was versteht man darunter?

Am Anfang des Lernprozesses ist beim Menschen eine grosse geistige Anstrengung und ein hohes Ausmass an Aufmerksamkeit erforderlich. Nach häufigem und intensivem Einüben dagegen gelingt das Erlernte fast wie von alleine. Jetzt können Informationen ohne grössere Anstrengung sehr schnell verarbeitet werden. Es ist eine Automatisierung eingetreten.

Heisst das: Einsicht und Automatisierung gehören gleichberechtigt zusammen. Eines von beiden allein reicht nicht aus?

Richtig. Vergleichen Sie z. B. ein Kind am Anfang des Leselernprozesses und einen geübten Leser. Das Kind benötigt anfangs allein für die Worterkennung einen grossen Umfang an neuronalen Aktivitäten und lastet damit die Verarbeitungskapazität seines Arbeitsgedächtnisses fast ganz aus. Beim geübten Leser dagegen ermöglicht die Automatisierung des Leseprozesses, mithilfe freier Kapazitäten im Arbeitsgedächtnis, den Sinn des Gelesenen zu erfassen.

Durch den «Drill» wird somit das Arbeitsgedächtnis entlastet. Dadurch wird Arbeitsgedächtnisspeicher frei für das Verarbeiten von anderen Lösungsschritten. Darauf aufbauend erfolgt dann die flexible Anwendung. Ich muss mein Handwerkszeug beherrschen und wissen, wofür es taugt, um es dann flexibel handhaben zu können.

Wie muss Üben aussehen, damit es effektiv ist?

Einige Grundprinzipien für ein gehirngerechtes, effektives Üben sind: kleine Lernportionen, regelmässiges, möglichst tägliches Wiederholen am Anfang, kurze, zeitlich begrenzte Lernphasen, «weniger ist mehr». Wichtig ist auch ein «Überlernen». Nicht nur so lange üben, bis ein Kind etwas erstmals kann, sondern deutlich länger. Die Vergessensrate beim Menschen ist einfach schrecklich. Dem Vergessen kann aber nur durch ein Wiederholen des Gekonnten entgegengewirkt werden.

Lernen ist nie einfach. Tägliches, regelmässiges Üben hilft.
Lernen ist nie einfach. Tägliches, regelmässiges Üben hilft.

Wie motiviert man Kinder dazu, am Ball zu bleiben und etwas so lange zu üben, bis es richtig sitzt?

Ich erkläre dem Kind und natürlich auch den Eltern immer, wie das Gehirn funktioniert, was beim Lernen im Gehirn passiert. Zusätzlich kann man mithilfe von Gehirnscans belegen, dass das Ausmass der notwendigen Gehirntätigkeit deutlich abnimmt, je mehr ein Vorgang – z. B. lesen oder rechnen – automatisiert ist. Das Kind weiss also immer, warum es übt, etwas wiederholt.

Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund
sind Psychologen und leiten die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Die beiden eint der Wunsch, dass Kindergarten und Schule Orte sind, wo sich Kinder, Eltern und Lehrpersonen wohl fühlen und voneinander lernen können.

Alle Artikel von Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund

Mehr zum Thema Lernen

Künstliche Intelligenz kann Lernenden helfen.
Medienerziehung
Künstliche Intelligenz: Die Chancen für das Lernen nutzen
Die künstliche Intelligenz hält Einzug in die Schulen. Dies gilt es kritisch, aber aufgeschlossen zu begleiten.
Motivation beim Lernen
Lernen
Was Teenager zum Lernen motiviert
Beim Übertritt von der Primar- zur Sekundarstufe verlieren manche Schüler die Motivation. Drei Faktoren helfen ihnen, ­dranzubleiben.
Advertorial
Vermögen aufbauen mit der Clanq Familien-App
Die kleinen Ausgaben im Alltag machen einen gewaltigen Unterschied. 3 Tipps, wie auch mit kleinem Budget ordentlich Geld zusammenkommt.
Kosmos Kind: Lernen
Elternbildung
Selbstentdeckendes Lernen überfordert Kinder
Was Kinder zum Lernen brauchen und was nicht, erklärt Psychologin Elsbeth Stern im Interview und am 2. Juli im Kosmos Kind-Vortrag.
24-04 mercator-hausaufgaben-tipps-elternmagazin-sandra-markert hg
Lernen
Hausaufgaben – die Beziehung zum Kind geht vor
Hausaufgaben seien eine Belastung für ihr Kind, sagen viele Eltern. Mit diesen Tipps gelingt das Lernen zu Hause.
Stefanie Rietzler
Blog
Warum Gurgeln gegen Prüfungsangst hilft
Für viele junge Menschen sind Tests und Vorträge purer Stress. Die Angst, zu versagen, hockt ihnen im Nacken. Mit vier einfach umsetzbaren Soforthilfen können Kinder und Jugendliche ruhiger an belastende Situationen wie z.B. Prüfungsangst herangehen.
24-03-körper-privatschule-mercator-sandra-markert-schweizer-elternmagazinfritzundfraenzi hg
Lernen
Das erhoffen sich Eltern von einer Privatschule
Nicht einmal fünf Prozent der Schweizer Schülerinnen und Schüler besuchen eine private Lerneinrichtung. Die Mehrheit der Eltern kann sich jedoch vorstellen, ihr Kind dorthin zu schicken.
SRF erklärt künstliche Intelligenz, KI.
Lernen
Sind wir nun nicht mehr die Klügsten?
Die künstliche Intelligenz ist in aller Munde und macht auch nicht halt vor Kindern. Das sind die wichtigsten Fragen dazu.
Was hilft bei einer Erkältung?
Gesundheit
Erkältung: Immer dieser blöde Pfnüsel!
Jeden Winter dasselbe: Kaum sinken die Temperaturen, sind wir krank. Wie können wir uns am besten vor einer Erkältung schützen?
Lernen
Schulnoten unter der Lupe
Das Thema Schulnoten polarisiert. Wir haben Expertinnen und Experten gebeten, gängige Meinungen dazu einzuordnen.
Hausaufgaben ohne Diskussionen
Erziehung
Hausaufgaben: So klappt es ohne Diskussionen
Manche Kinder können den Hausaufgaben wenig abgewinnen: Das ist so langweilig! Warum muss ich das machen? Was Sie als Eltern tun können.
Lernen
Karrierenachteil Elternhaus
Die Schweiz hat zwar ein durchlässiges Bildungssystem, dennoch entscheidet vor allem die soziale Herkunft der Kinder über ihre Schullaufbahn.
Alternativen zur Note. Lehrer sitzt im Klassenzimmer mit Kind und bespricht dessen Leistung.
Fritz+Fränzi
Schulnoten: Unser Thema im Februar
Sie bilden das Leistungsvermögen nur ungenügend ab. Trotzdem halten sich die Noten hartnäckig. Weshalb das so ist und was die Alternativen taugen.
Lernen
Achtung, Fälschung!
Fake News oder glaubwürdige Quelle? Oft ist die Unterscheidung gar nicht so leicht. Wie man Nachrichten im Internet kritisch hinterfragt.
SRF Kids erklärt Fast Fashion.
Gesellschaft
Lieber fair statt schnell shoppen
Jedes Jahr werden etwa 60 neue Kleidungsstücke gekauft ​– häufig sogenannte «Fast Fashion». Was es mit diesem Begriff auf sich hat.
Lernen
Wie unsere Kinder politisch fit werden
Damit unsere Kinder ihre politische Verantwortung dereinst wahrnehmen können, müssen sie darin geschult werden – schon im Kindergarten.
Stefanie Rietzler
Blog
Aufschieben: Was wirklich hilft
Alles immer aufschieben? Wer daran etwas ändern will, muss sich mit seinen Emotionen auseinandersetzen, sagt unsere Kolumnistin.
Lernen
Der schöne Schein kann trügen
Social Media zeigt oft nur die makellosen Seiten des Lebens. Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber!
Lernen
Hyperaktive Kinder brauchen eine günstige Lernumgebung
Kinder mit der Diagnose ADHS haben spezielle Bedürfnisse. Was ihnen beim Lernen hilft, sind eine angepasste Unterrichtsatmosphäre sowie spezielle Lehrmittel.
Familienleben
Wie Eltern ihr Kind richtig loben
Um das Selbstbewusstsein von Kindern zu stärken, ist Lob nicht das wirkungsvollste Mittel.
Cybermobbing SRF Kids
Lernen
Zusammen gegen Cybermobbing
Wenn Kinder im Netz gemobbt werden, ist es wichtig, besonnen zu handeln. Das gilt es zu tun.
Lernen
Die Not mit den Noten
Schulnoten stressen Schülerinnen und Schüler. Auch Lehrpersonen empfinden sie oft als unfair. Dennoch halten sie sich. Warum eigentlich?
Lernen
Wie wird die Schule zu einem glücklichen Ort?
Menschen, Abläufe und Orte können Kindern dabei helfen, die Herausforderungen in einer Lernumgebung wie der Schule zu meistern.
Lernen
Wie werden Preise gemacht?
Angebot und Nachfrage bestimmen, wie teuer ein Handy oder ein Paar Turnschuhe sind. Doch es gibt auch noch viele weitere Faktoren.
Umfrage Schule Mercator Stiftung
Schule
Welche Schule will die Schweiz?
Die Mercator-Stiftung wollte von Eltern hierzulande wissen, wie sie sich die ideale Schule für ihr Kind vorstellen. Projektleiter Daniel Auf der Maur ordnet die Resultate ein.