Fokus Väter: Papa im Mittelpunkt der Familie

Bilder: Désirée Good / 13 Photo
Einst galt die Mutter als allein seligmachende Bezugsperson fürs Kind. Zum Glück haben sich die Zeiten geändert. Dank gesellschaftlicher Entwicklungen, aber auch dank neuer Väter, die mit alten Mustern brechen und sich nicht damit begnügen, im Leben ihrer Kinder eine Zuschauerrolle einzunehmen. So geht es den Familienmännern damit.
Während Mütter und ihr Einfluss auf die kindliche Entwicklung schon vor 300 Jahren Forschungsgegenstand waren, ist die Väterforschung eine vergleichsweise junge Disziplin, die erst seit Mitte der 1990er-Jahre breites Interesse auf sich zieht. «Väter waren lange Zeit die vergessene Klientel der Familienforschung. Die Wissenschaft hat ihren Beitrag zur kindlichen Entwicklung über viele Jahre ignoriert und sie lediglich in der Rolle des Brotverdieners betrachtet», sagt Wassilios Fthenakis, Pionier der Väterforschung. (Lesetipp: Papa-Tipps vom Profi)
Auch abseits der Kür, wie sie etwa gemeinsame Hobbys darstellen, widmen Väter heute ihren Familien viel mehr Zeit als früher.
Und eine Studie des Deutschen Jugendinstituts fasst zusammen: «Heute eint die Definitionen von neuer Vaterschaft in erster Linie die Abgrenzung von einem Modell, das den Vater auf die Ernährer-Rolle reduziert. Einig ist man sich auch, dass das neue Vaterbild durch mehr Engagement für das Kind, Emotionalität, Fürsorglichkeit und möglichst viel gemeinsame Freizeit gekennzeichnet ist.»
Mehreinsatz zu Hause trotz Vollpensum im Job
2019 arbeiteten in der Schweiz rund neun von zehn Männern, die mit Partnerin und Kindern von 4 bis 12 Jahren zusammenlebten, Vollzeit. Der grössere Einsatz der Väter zu Hause sei kaum oder nur am Rand mit Veränderungen in der Erwerbsarbeit erklärbar, hält das BFS fest, «sondern beruht zu einem grossen Teil auf einer effektiven Zunahme ihres Zeitaufwandes für Haus- und Familienarbeit».

Seine Frau, sagt Marco, spiele mit dem Gedanken, ihr Kursangebot aufzustocken. «In dem Fall müssten wir unsere Organisation überdenken», meint er. «Mein Arbeitgeber ist familienfreundlich, ich habe Glück. Niemand beschwert sich, wenn ich mal kurz weg bin, um ein Kind zum Zahnarzt zu fahren, wenn ich länger Mittag mache oder abends früher gehe. Aber eine gewisse Flexibilität muss ich als Mitarbeiter ja auch bieten können.» Auch wenn ihm keiner Vorwürfe mache, habe er das Gefühl, sich oft rechtfertigen zu müssen, sagt Marco: «Im Job, weil ich schon wieder früher weg muss, zu Hause, weil das Büro ruft. Das stresst.»
Die gemeinsam geteilte Arbeitslast überwiegt – ausser im Haushalt
Was es damit auf sich hat, untersuchte Stamm im Rahmen ihrer TARZAN-Studie, einem Folgeprojekt zu einer Langzeitanalyse, an der sich zwischen 2009 und 2013 300 Schweizer Familien beteiligt hatten. 2015 erhob Stamm bei ihnen zusätzliche Daten zur Frage, in welchem Umfang sich die Väter in der Familien- und Hausarbeit engagierten, ausserdem dazu, wie die Männer Vaterschaft und Beruf vereinbarten und welchen Beitrag sie zur Förderung ihres Kindes leisteten – etwa durch Hausaufgabenhilfe, gemeinsames Lesen oder Spielen. «Der Vorwurf, Väter seien daheim wenig präsent und kaum aktiv, lässt sich mit unserer Untersuchung nicht bestätigen», sagt Stamm. (Lesetipp: Frau Stamm, warum fühlen sich Väter oft nur als Babysitter?)
In Partnerschaft lebende Väter leisten im Schnitt pro Woche 29 Stunden Haus- und Familienarbeit – meist neben einem Vollzeitjob.
Zudem seien es nicht allein die Männer, die an ihrem Engagement als Familienernährer festhielten. «Für das Modell mit dem Vater als vollzeitberuflichem Haupternährer entscheiden sich Paare in aller Regel gemeinsam», weiss Stamm aus ihren Untersuchungen. Frauen äusserten dann explizit den Wunsch, dass sie mehr Zeit mit den Kindern verbringen wollten als im Beruf. «Tradierte Vorstellungen darüber, was eine gute Mutter ausmacht, leisten nach wie vor ganze Arbeit», vermutet Stamm.
Wenn eine Frau nicht oder nur in kleinem Rahmen berufstätig sei, sei es logisch, wenn sie bei Hausarbeit und Familienmanagement auch mehr Verantwortung übernehme, findet Stamm. «Das Problem sehe ich da, wo die Frau 60, 70 Prozent oder mehr arbeitet und diese Last überwiegend allein trägt. Das ist eine grosse Ungerechtigkeit – aus der wir aber nicht schliessen können, dass Väter das faule Geschlecht sind. Wir müssen ihr Engagement immer vor dem Hintergrund des jeweiligen Erwerbsmodells betrachten, alles andere ist wenig sinnvoll.»
«Neue Väter brauchen neue Mütter»
Wie Männer ihre Vaterrolle gestalten, hat auch die Soziologin Diana Baumgarten als Mitglied eines Forschungsteams an der Universität Basel untersucht. Im Rahmen einer Nationalfonds-Studie aus dem Jahr 2012 interviewten die Wissenschaftler 60 Deutschschweizer zwischen 25 und 60 Jahren. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass das Vaterschaftskonzept eines Mannes eng damit zusammenhängt, ob er vor der Familiengründung einen eigenen Kinderwunsch hatte und wie ausgeprägt dieser war.
«Manche Männer wünschen sich auch unabhängig von einer konkreten Paarbeziehung ein Kind und eine eigenständige Beziehung zu diesem. Dies nennen wir einen Kinderwunsch im eigentlichen Sinn», sagt Baumgarten. «Anderen Männern geht es mehr um die Lebensform Familie, die Frau und Kinder beinhaltet. Das bezeichnen wir als Familienwunsch. Er bezieht sich eher auf den Status des Familienvaters als Teil einer männlichen Normalbiografie – und weniger auf das Kind als Gegenüber.»
Der «emotional involvierte, präsente Ernährer-Vater» ist ein immer weiter verbreitetes Ideal von Vaterschaft.
Allerdings stosse der Wunsch, der Familie mehr Zeit zu widmen, mitunter auf grosse Widerstände. «Dazu gehören betriebliche und staatliche Rahmenbedingungen», sagt Baumgarten, «aber ebenso die noch immer starke Wirkung tradierter Geschlechternormen.» So zeigt die Basler Väterstudie, dass die Befragten durchweg hohe Ansprüche an Vaterschaft haben. «Gleichzeitig bestätigen unsere Ergebnisse, dass Erwerbsarbeit nach wie vor ein zentraler Bestandteil männlicher Identität ist.» Eine schwergewichtig auf den Beruf fokussierte Lebensführung werde nicht nur gesellschaftlich gefordert, sondern in der Regel auch von den Männern selbst gewünscht.
«Beides zusammen – der Wunsch nach Präsenz als Vater bei gleichzeitiger Hauptverantwortung für das Familieneinkommen – führt zu einem Spannungsfeld aus Ansprüchen, die einander im Prinzip zuwiderlaufen», weiss Baumgarten. Daraus resultiere ein immer weiter verbreitetes, jedoch ambivalentes und in der Umsetzung anspruchsvolles Ideal von Vaterschaft: Die Basler Forscher nennen es den «emotional involvierten, präsenten Ernährer-Vater» – vermutlich ist Marco ein gutes Beispiel dafür.

ist Interaction-Designer, seine Frau Janina, 36, Sekundarlehrerin. Der Vater von Malea, 7, und Luano, 3, will für seine Familie da sein, aber auch im Job à jour bleiben. (Lesen Sie hier seine Erzählung)
Im Schatten der Übermutter
«Männer erleben oft eine entscheidende Identitätsveränderung, wenn ein Kind kommt», weiss Garstick. «Vaterwerden kann zu einer bereichernden Erweiterung ihrer männlichen Identität führen, aber auch Selbstzweifel und Zukunftsängste schüren, die zur Krise führen. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang auch die nachweisbare hormonelle Veränderung, die junge Väter durchlaufen – besonders dann, wenn sie sich intensiv auf ihr Baby einlassen», sagt Garstick.
Auch der Individualismus unserer Zeit und die Suche nach dem perfekten Glück lassen Männer straucheln.
Manche Väter zweifelten an sich, weil sie merkten, dass das Vaterbild aus ihrer Herkunftskultur nicht mit hiesigen Werten vereinbar sei, wieder andere lägen mit sich im Clinch, weil sie die Erwartungen ihrer Eltern, was es im Leben zu erreichen gelte, ungenügend erfüllt hätten. «Eine positive Ablösung von der Herkunftsfamilie ist wichtig, damit ein Mann als Vater das nötige Selbstvertrauen entwickeln kann», sagt Garstick. Aber auch der dem Zeitgeist geschuldete, zuweilen überbordende Individualismus und die damit verbundene Suche nach dem perfekten Glück liessen Männer straucheln. «In Zeiten scheinbar unendlicher Wahlmöglichkeiten ist es schwieriger, sich auf eine Erfahrung einzulassen, die für die eigene Freiheit so einschneidend ist wie Elternwerden», sagt Garstick.

In den 1950er-Jahren hielt die Annahme, die Mutter sei für ihr Kind die allein seligmachende Bezugsperson, auch Rückenwind aus der Wissenschaft. Damals begründete der britische Kinderarzt und Psychiater John Bowlby die Bindungstheorie, die die Mutter-Kind-Verbindung als einzige frühe Intimbeziehung beschrieb. Bowlby vertrat die Ansicht, «dass der Vater von keinerlei direkter Bedeutung für die Entwicklung des Kleinkindes ist, er kann insofern von indirektem Wert sein, als er die finanzielle Absicherung gewährt und eine emotionale Stütze für die Mutter ist».
«Väter sind eine enorme emotionale Ressource, auf die Kinder heute endlich auch zurückgreifen können», sagt Margrit Stamm.
Die neuen Väter hätten sich aber nicht einfach gesellschaftlichen Erwartungen gefügt, stellt Soziologin Baumgarten klar: «Es ist genauso das zunehmende Bedürfnis der Männer nach fürsorglicheren Beziehungen, das eine neue Norm von Vaterschaft begründet.» Auch in der Wissenschaft rückte der Vater als Bezugsperson in den Fokus. Hierzu leistete die Bindungsforschung mit neuen Erkenntnissen einen wichtigen Beitrag: Diese zeigen, dass Väter nicht nur ihre Partnerinnen unterstützen, sondern selbst eine innige und eigenständige Beziehung zu ihrem Neugeborenen aufbauen können.
Bindung ist keine Frage des Geschlechts

Dies hat aber auch zu neuen Abhängigkeiten geführt, sagt Erziehungswissenschaftlerin Stamm. «Mit dem Projekt Kind verbindet sich zunehmend der Wunsch nach Sinn und Verankerung, ein Glücksanspruch», sagt sie. «So bringen die Mütter und Väter ihren Kindern heute vermutlich mehr Liebe entgegen denn je – die Kehrseite dieser Medaille ist, dass sie diese Liebe auch von ihren Kindern einfordern, während es früher ‹nur› Respekt und Gehorsam waren.» Dies sei mit ein Grund, warum heute auch Väter zunehmend unter Druck stünden, alles richtig zu machen; ihrem Kind gegenüber, aber auch der Partnerin.
Doch bei allen Unsicherheiten, vor die unsere moderne Gesellschaft Väter stelle, würden die neuen Gestaltungsmöglichkeiten überwiegen, die sie ihnen biete. «Väter», findet Stamm, «sind ein riesiges Potenzial für Gesellschaft und Familie, eine enorme emotionale Ressource, auf die Kinder heute auch endlich zurückgreifen können.»
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