Vater sein: Nichts, wofür man sich schämen muss
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Nichts, wofür man sich schämen muss

Lesedauer: 2 Minuten

Unser neuer Kolumnist Lukas Linder fragt sich, ob es sich steuern lässt, wie der Sohn den Vater in Erinnerung behält. Und wenn nein, was dann?

Text: Lukas Linder
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren

Als Schriftsteller treibe ich mich den ganzen Tag zu Hause rum und tue so, als würde ich arbeiten. Manchmal frage ich mich, wie spannend unser Sohn wohl mein Leben findet. Dann wünsche ich mir, ein Action-Dad zu sein, der frühmorgens zu einer geheimnisvollen Mission aufbricht, um am Abend entkräftet, aber glücklich heimzukehren. Ich denke an meinen Vater und den Klang seiner Stimme, wenn er zur Türe hereinkam und «Ich bin zu Hause» rief. Keine besonders überraschende Nachricht, doch wir nahmen sie auf, als wäre er geradewegs vom Mond heimgekehrt. 

In nostalgischen Momenten verlasse ich das Haus und streife stundenlang durch die Stadt, kontrolliere bei Orell Füssli, ob sie meine Bücher noch nicht ausgemustert haben, und schaue mir die Kakis in der Delicatessa vom Globus an. Doch wenn ich heimkehre, hört sich mein «Ich bin zu Hause» irgendwie falsch an. Es klingt nach Kaki, nicht nach Glück.

Kann man sich 18 Jahre lang zusammenreissen, ohne sich dabei selber zu zerfleischen?

«Wie soll mich das Kind in Erinnerung behalten?», lautet die etwas sentimentale Frage, die ich mir mit fortschreitendem Alter immer häufiger stelle: Als der exzentrische Kreativkopf, der Werke schuf, die nach seinem Ableben das Kind darüber hinwegtrösten, dass er nie Zeit für dessen Erziehung hatte? Als Kumpeltyp, der immer für einen Match zu haben war? Als ewig Junggebliebener? Oder vorzeitig Vergreister? Und: Habe ich überhaupt eine Wahl?

Ängste und Komplexe als Vater

Allerdings sind das nur Oberflächlichkeiten, die von einer Sache ablenken, die sich nicht so leicht kaschieren lässt: den eigenen Ängsten und Komplexen. All den Situationen, in denen man sich schwach und mutlos fühlt. Solche negativen Gefühle kann man vielleicht vor sich selber verstecken, nicht aber vor einem aufgeweckten Kind, schon gar nicht, wenn man als Vater die ganze Zeit zu Hause ist.

Ich habe meinen Vater nie weinen sehen. Das einzige Mal den Tränen nahe war er, als er mir erzählte, dass meine Mutter Krebs hatte, und das war am Telefon, darum bin ich mir nicht ganz sicher. Er war auch nie krank oder hat schwermütig auf dem Sofa gelegen und «Ich hasse die Welt, aber noch mehr hasse ich mich selbst» gestöhnt. Alles Dinge, die ich an einem einzigen verregneten Sonntagmorgen erledige. 

Wo verläuft die Grenze zwischen Fehlern und Versagen?

Es heisst, man müsse sich zusammenreissen. Bis das Kind aus dem Hause ist, dauert es jedoch eine Weile. Kann man sich 18 Jahre lang zusammenreissen, ohne sich dabei selber zu zerfleischen? Immer wieder höre ich den Rat, man solle zu seinen Fehlern stehen, denn so lerne das Kind, dass sie nichts sind, wofür man sich schämen müsse. Der Vater also als Vorbild, wie man es nicht machen soll? Nach dem Typ kann dem Kind nichts mehr peinlich sein. Wo aber verläuft die Grenze zwischen Fehlern und Versagen?

Ich schneide die Kaki auf, die ich dann doch noch gekauft habe, und lege sie für mich und meinen Sohn auf einen Teller. Ich schaue ihm dabei zu, wie er die orangefarbene Frucht andächtig auslöffelt. Und wie immer, wenn ich meinem Sohn beim Essen zusehe, beruhigt sich mein Herz. Wir Väter müssen keine Götter sein. Es reicht vielleicht schon, wenn wir unseren Kindern ab und zu eine Götterfrucht aufschneiden.

Lukas Linder, Kolumnist

Lukas Linder
studierte Germanistik und Philosophie. Der Dramatiker und Buchautor («Der Letzte meiner Art», «Der Unvollendete») hat einen Sohn und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Zürich.

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