Väter in Teilzeit
Immer mehr Väter wünschen sich Teilzeitjobs, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Doch oft stecken sie in alten Rollenmustern fest. Und auf dem Arbeitsmarkt herrschen nach wie vor traditionelle Vorstellungen – und ungleiche Löhne.
Der Montag ist der Tag, an dem Alain Mazenauer aus Zürich seinen zweijährigen Sohn schnappt und in den Veloanhänger setzt. Mit dem Mountainbike geht es hinauf auf den Uetliberg, sein Sohn juchzt hinter ihm vor Freude. Später gehen sie in den Supermarkt. Der Kleine schiebt einen Einkaufswagen für Kinder. Bis seine Mutter aus dem Büro nach Hause kommt, steht der Znacht auf dem Tisch.
Für Vater Alain sind die Montage sehr wichtig. An diesen Tagen ist er komplett off von der Arbeit und nur für seinen Sohn da. So hatte er sich das vorgestellt, als er mit der Geburt des Kindes seine Vollzeitstelle um 20 Prozent reduzierte. Der Gedanke kam ihm bereits, während seine Frau schwanger war. Und die fand es von Anfang an sinnvoll, dass auch Papa mehr zu Hause beim Kind ist. Sechs Monate nach der Geburt stieg sie wieder in ihren Job ein, mit einem Pensum von 60 Prozent.
Obwohl sich eine solche Aufteilung viele Familien in der Schweiz wünschen, setzen sie nur wenige um. Heute immerhin etwas mehr als noch vor zehn Jahren. Teilzeit arbeitende Männer und Väter sind nach einer empirischen Forschung von Wissenschaftlerinnen der Hochschule für Angewandte Psychologie in Olten SO aus dem Jahr 2018 «keine Seltenheit mehr, sondern eine sichtbare Minderheit». Das gilt auch noch drei Jahre später.
Warum sind Teilzeit arbeitende Väter noch immer in der Minderheit? «Die Gründe sind vielschichtig», sagt Tobias Oberli von der Fachstelle UND in Zürich, die sich für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Wirtschaft und Gesellschaft einsetzt. «Einerseits gibt es finanzielle Überlegungen. Andererseits sind Rollenbilder stark in unseren Köpfen verankert.»
Bei vielen Vätern prallen neue und alte Männlichkeitsideale aufeinander: der fürsorgliche Familienmensch und der leistungsbereite Angestellte.
Viele Männer begreifen sich bewusst oder unbewusst auch heute noch als Ernährer, der zwar präsent sein will im Familienleben, für den an erster Stelle aber berufliche Verpflichtungen stehen. «Gerade Männer, die den Anspruch haben, Ernährer und involvierter Vater zugleich zu sein, haben mit Belastungen zu kämpfen» sagt Tobias Oberli, 44, selbst Vater dreier Kinder im Alter von 5 bis 11 und zu 60 Prozent mit zwei freien Werktagen in der Woche als Berater bei der Fachstelle angestellt. «Mental Load ist kein Geschlechterthema, es betrifft Frau und Mann», sagt er über die psychische Belastung, sich für alle alltäglichen Aufgaben rund um Haushalt und Familie verantwortlich zu fühlen.
Wie die Untersuchung der Solothurner Hochschule darstellt, prallen bei vielen Vätern alte und neue Männlichkeitsideale aufeinander: der leistungsbereite Angestellte, immer erreichbar und voller Elan, sowie der fürsorgliche Familienmensch. Als «Nischenstrategie» bezeichnen die Soziologinnen jenes Vorgehen von Vätern, im Rahmen von Gleitzeitmodellen neue Zeitfenster für die Familie zu reservieren – ohne Arbeitszeit zu kürzen. Oder sie nutzen Homeoffice, um verpasste Arbeit am Abend oder Wochenende nachzuholen. Sie sind laut den Wissenschaftlerinnen Väter, die «eine starke emotionale Bindung zum Kind zeigen – ohne das Fürsorgeprimat der Mutter infrage zu stellen».
Die zweite Kategorie Väter reserviert feste Zeitblöcke für die Familie, gerne einen bestimmten Wochentag. Das kann, muss aber nicht mit einer Verkürzung der Arbeitszeit verknüpft sein. Nach Erfahrung von Tobias Oberli sind unter den nicht-traditionellen Familienmodellen diejenigen «mit einem Papi-Tag» am verbreitetsten. An diesen Tagen verbringen die Kinder mit Papi exklusiv Zeit, die Mütter sind abwesend.
«Meine Frau wollte selbst bald wieder zurück in den Beruf», erklärt Alain Mazenauer seine Familiensituation. Finanzielle Gründe hätten bei ihren Überlegungen keine Rolle gespielt. Im Vordergrund stehe für sie der Ausgleich zur Kinderbetreuung. Arbeiten im Haushalt erledige er an seinem Papi-Tag ebenfalls, an den anderen Tagen bleiben diese grösstenteils an seiner Frau hängen.
Alain Mazenauer ist studierter Maschinenbauingenieur und Abteilungsleiter bei einem globalen Industrieunternehmen in Baden – also eine Führungskraft in Teilzeit. «Ich denke, ich habe damit einen Präzedenzfall bei mir in der Firma geschaffen», sagt der 40-Jährige. Er sei die erste männliche Führungskraft in Teilzeit gewesen. Es gebe zunehmend Arbeitskollegen, die das ähnlich wollen, und bei ihnen im Unternehmen würden inzwischen viele Stellen optional als 80-Prozent-Stellen ausgeschrieben.
Mazenauer gestand seinem Vorgesetzten im Halbjahresgespräch seinen Wunsch. Vorab waren ihm viele Gedanken durch den Kopf gegangen. «Ich hatte Angst vor dem Gespräch», erinnert sich Alain Mazenauer, «doch dann war ich positiv überrascht.» Sein Vorgesetzter, selbst Vater, stimmte unmittelbar zu. «Er meinte, er hätte es auch gerne so gemacht und sich mehr Zeit für seine Tochter genommen.»
80 Prozent Anstellung mit 120 Prozent Arbeit
Das Arbeitspensum reduzieren und dann stressfrei Familienzeit geniessen? So einfach ist es leider nicht. Wenn Führungskräfte in Teilzeit arbeiten, wird das nach Erfahrung von Diana Baumgarten, die an der Uni Basel im Zentrum Gender Studies forscht, von Arbeitgebern gerne missverstanden. «Es heisst oft: 80 Prozent Anstellung bei 120 Prozent Arbeit», sagt sie.
«Es ist ja so», bestätigt Alain Mazenauer, «in meinem Vertrag stehen 32 Stunden pro Woche, aber ich arbeite deutlich mehr. Ich gebe vier Tage Vollgas.» Dienstag bis Freitag seien es oft lange und intensive Tage, dafür hat er von Anfang an darauf bestanden, dass der Montag als freier Tag gesetzt und unantastbar ist. «Ich habe vorgeschlagen, einen Teil meines Teams auf andere Führungspersonen zu verteilen», sagt er. Sein Chef nahm diese Idee an. Unterm Strich sind alle Beteiligten zufrieden mit der Situation. Mazenauer: «Und für mich ist es ein sehr gutes Gefühl, zu wissen, dass ich für unseren Sohn eine wichtige Bezugsperson bin.»
Männer fürchten, als nicht leistungsorientiert zu gelten.
Markus Gygli, Vizepräsident des Verbands Männer.ch
Erst kürzlich veröffentlichte die Frauenzeitschrift «Annabelle» eine Umfrage unter Frauen. Viele Mütter stellen sich eine partnerschaftliche Aufteilung der Kinderbetreuung am liebsten so vor, dass die Väter zu 80 Prozent berufstätig sind und sie als Mütter etwas weniger, gerne 50 Prozent. Aktuellste Zahlen des Bundesamts für Statistik belegen, dass Männer zunehmend Teilzeitarbeit nachgehen.
Die Zahlen steigen im Jahresvergleich langsam, aber stetig. So arbeiteten 2020 in der Schweiz 45’900 Männer Teilzeit, das sind 1’600 mehr als im Vorjahr, 15’200 Männer mehr als 2010. Markus Gygli aus Bern, Vizepräsident des Verbands Männer.ch, sieht das positiv und fordert, dass die rechtlichen Bedingungen in Richtung Parität ausgelegt werden. «Unabhängig vom Geschlecht sollte es beiden Eltern besser möglich sein, ihr Arbeitspensum zu reduzieren», so Gygli. «Paare sollten sich gleichberechtigt aufteilen können.» Eine gerechte Lastenverteilung sei erst dann möglich.
Viele können sich eine Reduktion des Arbeitspensums nicht leisten
In einzelnen Kantonen gebe es für Arbeitnehmer bereits das Recht, einen geringen Zeitanteil von 10 bis 20 Prozent zu reduzieren. Aber das sei noch die Ausnahme. Eine grundsätzliche Herausforderung für die Schweiz sei die Überarbeitung von Rollenbildern, sagt der 53-Jährige. «Männer fürchten, als nicht leistungsorientiert zu gelten.» Teilzeit-Führungsmodelle für Männer seien noch rar. Gesellschaftliche Realität sei leider auch, dass Teilzeitstellen «ein Luxus sind, den sich viele Familien gar nicht leisten können».
Der Staat sollte Eltern und ihre Bedeutung für das Land stärker gewichten, wünscht sich Gygli. Kindertagesstätten sollten nichts kosten. Elternzeitmodelle, vom Staat gefördert wie in Deutschland, würden aus seiner Sicht helfen.
Er selbst arbeitet auf 60-Prozent-Basis als Organisationsentwickler bei den SBB und ist noch teilselbständig. Für die beruflichen Perspektiven von Frauen hält er es für wichtig, dass Männer häufiger noch stärker reduzieren, damit Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub zu einem höheren Prozentsatz wieder einsteigen können. Dann hätten Arbeitgeber auch ein grösseres Interesse daran, in die Laufbahnen von beiden Geschlechtern gleichermassen zu investieren.
Kurioserweise sind aber ausgerechnet Väter in der Schweiz faktisch weniger in Teilzeitbeschäftigung angestellt (12 Prozent) als der Rest der Männer (etwa 18 Prozent). Eine Familiengründung trage oft zur Stabilisierung der beruflichen Laufbahnen bei, heisst es in der Untersuchung von Diana Baumgarten und Kolleginnen. «Die meisten Väter verbleiben – unabhängig vom Erwerbsmuster der Partnerin – während der gesamten Familienphase überwiegend hundertprozentig im Beruf.» Es gibt Studien, in denen Väter gefragt wurden, in welchen Bereich sie mehr investieren wollen würden, wenn sie mehr Zeit zur Verfügung hätten. Das Ergebnis: in den Beruf. Wollen sich Väter also tatsächlich zu Hause mehr engagieren oder geben sie das nur vor?
Tobias Oberli von der Fachstelle UND sagt: «Ich bin mit dieser Fragestellung nicht so glücklich.» Es gebe ja schliesslich auch andere Studien. Man könne auch nicht von «den Männern» und «den Vätern» sprechen, Wünsche und Vorstellungen seien etwas Individuelles. Es sei so, dass es für Männer schwieriger sei, eine Verkürzung der Arbeitszeit zu realisieren. Sie müssten dies oftmals «durchsetzen». Während ein Anspruch für Frauen, insbesondere Mütter, in fast allen Branchen ungeschriebenes Gesetz sei. Allerdings oft verbunden mit Verlust von fachlicher und personeller Verantwortung.
In manchen Berufen längst gängig
René Kuster aus Gommiswald im Kanton St. Gallen gehört zu jenen Vätern, die ganz bewusst Parität leben, beruflich wie privat. «Ich war schon immer zur Hälfte zu Hause», sagt der 40-Jährige. Sein Sohn ist heute elf Jahre alt. Seit einigen Jahren leben sie als Eltern getrennt und praktizieren alternierende Obhut. Alltagsaufgaben, Arbeit um Haushalt und Kinderbetreuung erledigen wie selbstverständlich beide.
Seine Arbeitszeit verkürzte René Kuster bereits direkt nach der Geburt auf 70 Prozent. «Aus meinem Umfeld gab es nie negative Reaktionen auf meine Teilzeitanstellung», sagt er. «Im Gegenteil, die Rückmeldungen waren durchwegs positiv.» Schulsozialarbeiter würden oft ohnehin zu maximal 80 Prozent arbeiten, weil sie im Jahresarbeitszeitmodell angestellt sind und die Schulferien dadurch frei haben.
Diana Baumgarten vom Zentrum Gender Studies teilt den Eindruck, dass Teilzeit-Arbeitsmodelle in manchen Berufsgruppen für Männer gängig geworden sind. In anderen Branchen sei es für Männer aber offenbar umso schwerer, Teilzeit zu etablieren. Dabei assoziierten viele von Baumgarten befragte Väter eine gute Vaterschaft «in erster Linie mit der Zeit, die ein Vater mit seinem Kind verbringen kann».
Als grösstes Hindernis auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung bei Hausarbeit und Kinderbetreuung sieht Männerberater Lu Decurtins aus Zürich eine nach wie vor bestehende Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern. «Das ist ein totaler Missstand», sagt der 57-Jährige. Deshalb komme es dazu, dass sich junge Familien für alte Rollenbilder entscheiden: Frau bleibt zu Hause, Mann geht das Mehr an Geld verdienen.
Die Männer machen sich ihre Blockaden im Kopf selbst, auch heute noch.
Lu Decurtins, Männerberater
Decurtins warnt Männer davor, sich den Erwartungen konservativer Arbeitgeber zu fügen und Vollzeit zu arbeiten, obwohl sie sich nach Familienzeit sehnen. Für solche Väter könne es bei einer Scheidung «zur grössten Bauchlandung kommen, die sie je erlebt haben». Denn wer sich vorher wenig in die Kinderbetreuung eingebracht habe, wird das unter Umständen auch später nicht mehr tun können.
Noch vor wenigen Jahren hatten manch junge Väter regelrecht Angst davor, Familienarbeit zu übernehmen, blickt Lu Decurtins zurück. «Zu mir kam ein Vater in die Beratung, der hat immer erst die Bettlaken auf der Wäscheleine im Garten aufgehängt, um sich mit dem Rest der Wäsche vor den Blicken der Nachbarn verstecken zu können», erzählt Decurtins, selbst Vater von drei inzwischen erwachsenen Kindern und langjähriger Teilzeitmann.
Die Männer machten sich ihre Blockaden im Kopf selbst, auch heute noch. Die Corona-Pandemie stimmt Lu Decurtins hoffnungsvoll, dass vor allem Väter durch die Erfahrung mit Homeoffice den Wert von Familienzeit besser erkennen. Das müsse aber erst noch bewiesen werden, ergänzt er skeptisch. Seine Botschaft an alle, die den Wunsch nach Teilzeit spüren, aber die Frage danach fürchten: «Wenn Mann will, geht das.»