Leben im Hier und Jetzt
Sich selbst bewusster wahrnehmen, die Sinne schärfen, innehalten und durchatmen im hektischen Alltag – das ist das Ziel von Achtsamkeit. Achtsamkeit ist zu einem Trend geworden – und hat auch in Klassenzimmern Einzug gehalten. Doch was bringen Achtsamkeitsübungen unseren Kindern, worauf sollten Schulleiter und Lehrpersonen achten? Und wie gelingt Achtsamkeit in der Erziehung?
Flurina Hodel blickt in die Runde und sagt mit ruhiger Stimme: «Ich stelle die Füsse auf den Boden und mache meinen Rücken gerade.» 20 Kinder auf Holzbänken, die zu einem Quadrat zusammengeschoben sind, tun es ihr gleich. «Jetzt ziehe ich meine Schultern megaweit nach oben», fährt die Klassenlehrerin fort, und 20 Schulternpaare wandern hoch, so hoch, dass die Köpfe der Primarschüler fast verschwinden. «Jetzt lasse ich die Schultern fallen » – und die ganze Klasse seufzt erleichtert auf, als die schweren Arme nach unten hängen.
Dann geht es weiter: die Handflächen auf die Knie legen, den Mund schliessen und ganz zum Schluss auch die Augen. Das, was die 1./2. Primarklasse im Luzerner Schulhaus Mariahilf da gerade macht, nennt sich «Stille Minute» und lehnt sich an die sogenannte Achtsamkeitspraxis an.
Gelernt und trainiert wird Achtsamkeit in sogenannten MBSR-Kursen. MBSR steht für Mindfulness-Based Stress Reduction (auf Deutsch: Achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung), ein Programm, das der US-amerikanische Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn bereits Ende der 1970er-Jahre entwickelte. Warum die Methode ausgerechnet jetzt so populär wird, weiss niemand so genau.
Einige Experten mutmassen, dass die Hirnforschung die Triebfeder ist. Neurowissenschaftler interessieren sich nämlich zunehmend dafür, was genau die Achtsamkeitspraxis – auch Achtsamkeitsmeditation genannt – mit unseren Köpfen anstellt. Dass die bewusste Wahrnehmung Strukturen und Leistungen des Gehirns beeinflussen kann, ist das Thema von immer mehr Tagungen und Fachkongressen. Google Trends verzeichnet seit etwa zehn Jahren eine stetig steigende Beliebtheit der Suchbegriffe Achtsamkeit und Meditation, und wer heute nach «Mindfulness» googelt, erhält mehr als 24 Millionen Treffer. Gleichzeitig wächst die Zahl der Ärzte, die ihren Patienten einen Achtsamkeitskurs empfehlen.
Wie viele Menschen genau sich regelmässig Zeit für bewusstes Innehalten nehmen, ist nicht bekannt. Es gibt keine Zahlen, die belegen, wie viele sich für Kurse anmelden, wie viele Achtsamkeitstrainer sich ausbilden lassen. Die Achtsamkeitspraxis ähnelt einem guten Kuchenrezept. Sie wird als Tipp weitergegeben, weil so viele gute Erfahrungen damit gemacht haben. Für manche ist sie eine Selbstverständlichkeit, für Buddhisten sind achtsam sein und meditieren Teil ihrer Religion.
Sportler raten ihren Teamkollegen zu einem Kurs, weil sie merken, dass die regelmässige Achtsamkeitspraxis ihnen dabei hilft, sich zu fokussieren und ihre Höchstleistung auf den Punkt genau abrufen zu können. Managerinnen und Anwälte, Lehrer und Verkäuferinnen, Ärztinnen und Büroarbeiter schaffen es mit Hilfe von Achtsamkeit, gelassener mit stressigen Tagen und ihren Mitmenschen umzugehen.
Achtsame fühlen sich wohler in ihrer Haut und wollen diese Erfahrungen gerne weitergeben. Wie Vera Isabella Renggli: Die Fachlehrerin für Bildnerisches und Technisches Gestalten praktiziert seit Jahrzehnten Achtsamkeit, sie ist ein selbstverständlicher Begleiter in ihrem Alltag geworden: bei jedem Gespräch, beim Tanzen oder Yoga unterrichten, bei ihrer Arbeit als Bildhauerin, beim Einkaufen, beim Unterrichten.
An der Luzerner Mariahilf-Schule ist Vera Isabella Renggli zudem Gesundheitsbeauftragte, und als solche fiel ihr auf, dass viele Kollegen im Lehrerteam mit Stress und Burnout zu kämpfen hatten, dass Lehrer und Schüler gleichermassen getrieben durch den Alltag hetzen.
Die stille Minute
«Das war für mich der Anlass, einen Achtsamkeitsimpuls zu setzen», sagt Renggli. Sie bot Achtsamkeitslektionen für die Lehrer an und begann, mit ihren Schülern zu Beginn einer Stunde verschiedene Achtsamkeitsübungen durchzuführen: die stille Minute zum Beispiel, eine Atemübung oder einen Bodyscan, eine gedankliche Reise durch den Körper. Beim Schulleiter rannte sie damit offene Türen ein. Das Kollegium war grundsätzlich offen, aber skeptischer. Das klaue wertvolle Unterrichtszeit, befanden einige, und ist ja irgendwie doch nur esoterischer Hokuspokus, oder?
Andere holten Vera Isabella Renggli in ihre Klasse, liessen sich die Übungen zeigen – und laden ihre Schüler inzwischen regelmässig zu einer kurzen Innenschau ein. Sie merken, dass die Kinder ruhiger werden und sich konzentrierter den anstehenden Aufgaben widmen können. «Die sind vorher irgendwo, mit der Achtsamkeitspraxis helfen wir ihnen, hier zu sein», sagt Vera Renggli. Der Knackpunkt sei die Kontinuität: «Die Lehrpersonen müssen den Wandel machen, es reicht nicht, wenn ich ab und an mal in eine Klasse gehe und mit ihr übe. Achtsamkeit wirkt vor allem über die Stetigkeit.»
Wenn ich mit Sorgen im Kopf aus der Mittagspause komme, hilft mir das, diese zu vergessen und im Unterricht anzukommen.
Rigona
Es ist kurz vor zwei Uhr, der Projektunterricht an der Sekundarstufe beginnt. Die Jugendlichen kommen aus der Mittagspause, ein aufgeregtes Schnattern erfüllt den Raum, es wird gerufen, gekichert, gelacht. Vera Renggli begrüsst die Klasse, und Sekunden später ist es so leise, dass man eine Stecknadel auf den Boden fallen hören könnte: 24 Schüler sitzen auf ihren Stühlen, Füsse aufgestellt, Rücken gerade, die Hände auf den Oberschenkeln und die Augen geschlossen. Sie reisen – angeleitet von Vera Rengglis ruhiger Stimme – durch ihren Körper, von den Zehen Stück für Stück nach oben bis zum Haarschopf. Sie spüren in jeden einzelnen Körperteil hinein, fühlen die Temperatur, nehmen Verspannungen wahr. Nach drei Minuten ist der Bodyscan vorbei.
Seit einem halben Jahr sind die 15- und 16-Jährigen nun mit dieser Technik vertraut. Bringt sie ihnen etwas? «Es macht mich ruhiger und fokussierter, ich habe das Gefühl, ich kann dann besser arbeiten», sagt zum Beispiel Manuel. Lyn schätzt es, sich mal ein paar Minuten auf sich selbst konzentrieren zu können. «Wenn ich mit Sorgen im Kopf aus der Mittagspause komme, hilft mir das, diese zu vergessen und im Unterricht anzukommen», sagt Rigona. An sich ein toller Einstieg, findet Yves die Achtsamkeitsübung, aber es mache ihn müde. In ihren Projektberichten schreiben einige Jugendliche, wie sehr sie den ungewöhnlichen Unterrichtsbeginn schätzten. Manch einer hat damit angefangen, auch zu Hause stille Minuten zu üben. Dass Achtsamkeit wirkt, ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen. Bei Erwachsenen. Aber tut Achtsamkeit auch Kindern und Jugendlichen gut?
Sich ein paar Minuten auf sich selbst konzentrieren
«Dieser Schluss liegt natürlich nahe», sagt Professor Gunther Meinlschmidt von der Universität Basel. Der Forschungsleiter der Klinik für Psychosomatik des Universitätsspitals Basel warnt aber davor, ihn zu ziehen: «Wir gehen ja auch nicht einfach davon aus, dass Medikamente, die Erwachsenen helfen, genauso bei Kindern wirken – der Effekt kann hier ein ganz anderer sein.»
Die Forschung kann bislang noch keine gesicherten Aussagen machen. Das liegt auch daran, dass die Qualität zahlreicher Studien zum Thema «nicht optimal» ist, wie es Gunther Meinlschmidt formuliert. Er ist jedoch zuversichtlich, dass derzeit laufende Studien und Untersuchungen in wenigen Jahren klarere Rückschlüsse erlauben. «Wenn eine gewisse Anzahl qualitativ hochwertiger Studien vorliegt, kann man auch darüber nachdenken, Achtsamkeitspraxis als Therapie zu etablieren oder sie sogar in den Lehrplan aufzunehmen», sagt Meinlschmidt.
Eben ist eine Studie erschienen, die 300 Schüler an öffentlichen Schulen in der US-amerikanischen Stadt Baltimore untersucht hat. Die Schulen gelten als «belastet» mit herausfordernden Schülern, die zu Hause zahlreiche Probleme haben. «Es hat sich gezeigt, dass ein Achtsamkeitsprogramm zur Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes der Schüler beigetragen hat», sagt Meinlschmidt, «die Kinder waren unter anderem weniger depressiv, hatten weniger negative Gefühle, vor allem auch sich selbst gegenüber, und sie litten weniger an posttraumatischen Belastungsstörungen.»
Eine weitere Studie aus dem vergangenen Jahr hat gezeigt, dass Jugendliche, die unter den Symptomen einer chronischen körperlichen Erkrankung leiden, ebenfalls von Achtsamkeit profitieren können. Auch interessant: Eine ebenfalls 2017 erschienene Metastudie mit dem Titel «Teaching mindfulness to teachers» hat mehrere Untersuchungen dazu ausgewertet, wie sich achtsamkeitstrainierte Lehrer auf das Wohlbefinden der Schüler auswirken. Sie kommt zum Ergebnis, dass derartig geschulte Lehrpersonen nicht nur positiven Einfluss auf die einzelnen Kinder haben, sondern sich auch die Atmosphäre in der Klasse insgesamt verbessert.
Achtsamkeit wirkt bei Kindern umso besser, je mehr sich auch die Eltern daran beteiligen.
Vera Kaltwasser umtreibt die Sorge, dass die Achtsamkeitspraxis instrumentalisiert werden könnte. Ein regelrechter Hype habe eingesetzt, sagt die Autorin und Achtsamkeitsexpertin. «Jeder ruft an und will mal schnell eine Anleitung, was er mit seinen Schülern machen könne», sagt Kaltwasser, «und ich muss ständig klarstellen, dass Lehrer nicht dafür da sind, Schüler ruhigzustellen.»
Dass Kinder sich besser anpassten und den Lehrpersonen womöglich Stress erspart werde, sei nicht die richtige Motivation, sich mit Achtsamkeit zu beschäftigen: «Wer so an die Sache rangeht, der macht aus der Achtsamkeitspraxis eine Ware, der hat die ganze Sache nicht verstanden.» Vera Kaltwasser war lange Lehrerin an einem Gymnasium in Frankfurt am Main und ist heute in der Lehrerfortbildung tätig. Sie hat die sogenannte Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR, Mindfulness- Based Stress Reduction) unter anderem bei Jon Kabat-Zinn, dem Erfinder dieses Programms, gelernt – eigentlich für sich selbst.
Achtsamkeit: Ein Konzept für die Schule
Die positiven Forschungsergebnisse zu MBSR hinsichtlich der Stressreduktion und Aufmerksamkeitssteuerung haben sie dann bewogen, ein achtsamkeitsbasiertes Currciulum für den schulischen Unterricht zu entwickeln. Mit Erfolg: Die erste Klasse, mit der sie Achtsamkeit übte, hat vor zwei Jahren das Abitur gemacht. Schüler würden sich noch heute bei ihr für die erlernten Techniken bedanken: eine Minute lang einfach mal bewusst stehen, in die Fusssohlen hineinspüren, 30 Sekunden lang die Augen schliessen und bewusst in sich hineinhorchen, sich auf den Atem konzentrieren.
Alle diese Übungen gehören zum umfassenden Konzept «AISCHU – Achtsamkeit in der Schule», das Kinder und Jugendliche kontinuierlich und in kleinen Schritten dafür begeistert, ihre Innenwelt zu erkunden und ihre Selbstwahrnehmung zu verfeinern. Spielerisch werden körperorientierte Übungen angeboten, aber auch kurze Einheiten, die altersgerecht Wissen über den menschlichen Organismus vermitteln.
«Wenn man Kinder bittet, sich ganz konkret eine Zitrone vorzustellen, dann nehmen sie erstaunt wahr, dass ihnen das Wasser im Mund zusammenläuft. Eine Vorstellung bewirkt also eine körperliche Reaktion. So können die Kinder nachvollziehen, dass sie sich mit Befürchtungen und Sorgen – obwohl es nur Gedanken sind – in Stress versetzen.
Der nächste Schritt ist dann, dass Kinder und Jugendliche lernen, selbsttätig ihre Stressreaktion zu entschärfen, indem sie zum Beispiel bewusst auf den Atem achten.» Es gehe, sagt die Pädagogin, vor allem darum, dass die Kinder zu Forschern in eigener Sache werden. Das Interventionsprogramm AISCHU war inzwischen auch auf dem wissenschaftlichen Prüfstand. Die beiden Forscher Niko Kohls und Sebastian Sauer haben in einer kleinen Pilotstudie untersucht, welchen Einfluss die Achtsamkeit auf Aufmerksamkeitsleistung, Lebensqualität, Wohlbefinden und Stress von Fünftklässlern hat.
Achtsame Kinder haben weniger negative Gefühle, vor allem gegenüber sich selbst.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich Achtsamkeit positiv auswirkt – besonders auffällig war die verbesserte Aufmerksamkeitsleistung. Die Wissenschaftler betonen, dass die Ergebnisse nur als erste Anhaltspunkte dienen können, die weiter abgesichert werden müssen. Eine weitere multizentrische Studie in Frankfurt ist geplant. Inzwischen gibt es auch Lehrerfortbildungen zu AISCHU.
In einem sind sich Wissenschaftler allerdings einig: Achtsamkeit bei Kindern funktioniert umso besser, je mehr sich auch die Eltern daran beteiligen. Diese nämlich, sagt Vera Kaltwasser, spielten eine sehr grosse Rolle als Vorbilder. «Wir wissen, dass verbale Ansprachen weit weniger wirksam sind als das Verhalten und die emotionale Zuwendung in all den täglichen Interaktionen zwischen Eltern und Kindern», sagt die Expertin. Wenn die Eltern für sich eine Achtsamkeitspraxis etablieren, verändert sich schon ganz viel im Miteinander in den Familien.
Achtsamkeit ist kein Allheilmittel
«Achtsamkeit im Alltag in der Familie zu praktizieren, ist einfacher, als sie in einem schulischen Zusammenhang zu verorten», bekräftigt der Basler Experte Gunther Meinlschmidt. Zum Beispiel bei einem Waldspaziergang: Tief einatmen und die einzelnen Düfte schnuppern, die Ohren spitzen und den Geräuschen der Tiere und Pflanzen lauschen, mal einen Baum anfassen und mit den Fingerspitzen die Rinde erfühlen – all das kann die Achtsamkeit fördern.
Oder auch die einfache Frage: Wie fühlst du dich? Das Kind muss dann ein wenig in sich hineinhorchen, um Gefühle erkennen und artikulieren zu können. Meinlschmidt rät Eltern, öfter mal mit ihren Kindern Detektiv zu spielen. Egal ob bei kleinen Unternehmungen oder beim Kochen daheim, vielleicht eingebettet in eine Geschichte. «So lernen Kinder in kleinen, immer mal wieder eingestreuten Momenten, was es heisst, wachsam und achtsam zu sein.»
Wer sich mittels Achtsamkeit in die Tiefen seines Selbst begibt, kann dort auch auf weniger angenehme Erinnerungen stossen.
Auch wenn sich die Hinweise, dass sich Achtsamkeit positiv auf das persönliche Wohlbefinden und die geistige Gesundheit auswirkt, wissenschaftlich belegen lassen – ein Allheilmittel ist sie nicht. «Achtsamkeitspraxis ist ein Aspekt, der das Leben vielleicht leichter machen kann, aber wenn eine Familie in schwierigen Umständen lebt und nur wenig Geld zur Verfügung hat, kann auch Achtsamkeit daran wenig ändern», sagt Paul Grossman. Der emeritierte Forschungsleiter der Abteilung für Psychosomatik und Innere Medizin der Universitätsklinik in Basel ist Mitbegründer und Leiter des Europäischen Zentrums für Achtsamkeit mit Sitz im deutschen Freiburg. Er gehört zu denjenigen, welche die wachsende Prominenz der Achtsamkeit auch kritisch sehen.
«Man muss aufpassen, dass Achtsamkeitsübungen nicht von Leuten angewandt werden, die selber wenig Erfahrung haben», sagt Grossman. Denn wer sich mittels Achtsamkeit in die Tiefen seines Selbst begibt und Gedanken und Empfindungen erkundet, kann dort auch auf weniger angenehme Erinnerungen stossen. «Das kann durchaus eine heikle Erfahrung für einzelne Kinder sein, es gibt ja leider viele, die traumatische Erfahrungen mit Formen der sexuellen oder emotionalen Belästigung gemacht haben», sagt Grossman.
Er plädiert daher eher dafür, Kindern als wesentlichen Aspekt der Achtsamkeit beizubringen, bestimmte Qualitäten zu kultivieren. Dazu gehören Wohlwollen, Mitgefühl, Toleranz, Geduld und Freundlichkeit – sowohl anderen als auch sich selbst gegenüber.
Doch dass schon die «Stille Minute» aus dem Unterricht zu ein bisschen mehr Achtsamkeit im Alltag animieren kann, haben die Primarschüler von Flurina Hodel gelernt. Sarah mag den ruhigen Unterrichtsbeginn, weil sie sich so besser konzentrieren kann, «und es hilft mir beim Schreiben».
Sie hat die Übung schon daheim mit ihrem Bruder gemacht.
Jetzt schnellen die Finger in die Höhe, jedes Kind will erzählen, wie es zu Hause auf Fantasiereise in den eigenen Körper geht. Rahana macht das am liebsten morgens, wenn sie vor ihren Eltern wach ist. «Ich bleibe dann in meinem Bett liegen und mache eine Kopfreise, so etwa zehn Minuten», erzählt sie. David wendet genau diese Technik am Abend an, wenn er nicht einschlafen kann. Und Louis hat ganz andere Situationen entdeckt, in denen für ihn nützlich ist, innezuhalten, tief zu atmen und mit dem Kopf auf Reisen zu gehen: «Ich mache das immer, wenn ich traurig bin oder jemanden sehr vermisse.»
Die Idee der Achtsamkeit stammt aus dem Buddhismus, sie wird dort als Vipassana bezeichnet. In seinem berühmten Vortrag Satipatthana Sutta lehrte Buddha die vier
Grundlagen der Achtsamkeit. Diese sind:
- Die Achtsamkeit auf den Körper. Wie fühlt sich der Boden an, aufdem ich laufe oder sitze? An welchen Stellen am Körper verspüre ich vielleicht gerade Schmerzen? Bin ich verspannt?
- Die Achtsamkeit auf die Emotionen. Was fühle ich gerade? Ist das ein positives Gefühl? Sind es negative Gedanken? Kann ich das neutral sehen?
- Die Achtsamkeit auf den Geist. Wie wach bin ich gerade im Kopf? Lenkt mich etwas ab? Bin ich verwirrt? Bin ich konzentriert?
- Die Achtsamkeit auf die Geistesobjekte. Welche Dinge und Objekte kann ich in diesem Moment wahrnehmen? Sehen? Hören? Riechen?
Vipassana ist ein Übungsweg der Einsicht und in der westlichen Welt hauptsächlich unter der Bezeichnung Achtsamkeitspraxis bekannt geworden. Die überlieferten Übungen sind alltagstauglich und können von jedem geübt werden.
Verschiedene Formen der Achtsamkeit finden sich allerdings auch in anderen Kulturen und Religionen. Achtsamkeitsexperten betonen daher, dass es sich bei der Achtsamkeitspraxis nicht um eine Religion handelt